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Kultur: Offener Brief an Oberbürgermeisterin Helma Orosz

2. November 2008 - 11:55 Uhr

Von Mirko Glaser, Rudolf-Leonhard-Straße 13, 01097 Dresden

An
Helma Orosz
Oberbürgermeisterin der Stadt Dresden

Sehr geehrte Frau Orosz,

gestatten sie mir ein paar in Worte zum Thema Kultur und der Umgang mit ihr in Dresden. Ich selbst, um sie nicht unaufgeklärt zu lassen, betreibe in Gemeinschaft den Jazzclub BLUE NOTE in der Dresdner Neustadt und bin auch sonst sehr kulturinteressiert, aber dieser Fakt tut hier wenig zur Sache.
Den Meldungen der letzten Tage entnahm ich, dass sie vorhaben, die Dresdner Werbung- und Tourismus GmbH aufzulösen, ein Vorhaben, bei welchem ich sie nur tatkräftig unterstützen kann. Allerdings aus vermutlich anderen Beweggründen. Doch dazu später. Der Umstand, welcher mich veranlasst, ihnen diesen Brief zu schreiben, ist ein anderer.
Soeben kam ich, wohlgemerkt zu Fuß, aus dem ALTEN SCHLACHTHOF, und musste mit Verwunderung feststellen, dass nahezu alle in unmittelbarer Nähe dieser Lokalität geparkten Autos ein sogenanntes Knöllchen am Scheibenwischer klemmen hatten. Einerseits verstehe ich natürlich, dass es in einer sozialen Gemeinschaft, und als solche begreife ich natürlich auch meine Heimatstadt, gewisse Regeln geben muss, ohne deren Einhalt ein Zusammenleben kaum denkbar wäre, andererseits sollte es selbst bei strenger Einhaltung der Regeln, wofür wir deutschen ja immerhin weltweit bekannt sind, einen gewissen Spielraum geben.
Obwohl selbst unbetroffen vom Fleiß der Polizeibehörde, machte ich mir die Mühe, einige Straßen abzuschreiten, um mich zu vergewissern, inwiefern eine etwaige Behinderung eventuell notwendiger Einsatzfahrzeuge vorgelegen haben könnte. Und sieh an, kaum eines der Fahrzeuge stand in irgendeiner Art und Weise irgendjemandem bei der Ausführung seiner Tätigkeit im Wege. Die Fahrzeuge wurden ab zirka 19 Uhr geparkt und wurden gegen 23.30 Uhr weggefahren. Andere Parkmöglichkeiten gibt es im Umkreis nicht. Das lässt bei mir nur den Schluss zu, und zwar nicht erstmalig, denn ich beobachte diese Art Umgehensweise mit „Sündern“ schon des längeren, dass hier offensichtlich ganz gezielt Personal des Ordnungsamtes geschickt wird, und zwar nicht um der Ordnung willen, sondern explizit um das Stadtkässel zu füllen.
Eine Stadt wie Dresden sollte meines Erachtens froh darüber sein, ein kulturell breites Spektrum abdecken zu können, wohl wissend, dass ein großer Teil dessen aufgrund privatwirtschaftlicher Initiativen geschieht, ohne jeden Cent städtischer oder staatlicher Fördermittel. Vielmehr wird durch die Stadt Gewerbesteuer kassiert und auch sonst jede Möglichkeit genutzt, um sich jeden auch noch so geringen Aufwand geldwert vergüten zu lassen. Jedoch schickt die Stadt, die sich als Kulturstadt zu vermarkten sucht, ihre Bediensteten aus, um auch noch zu später Stunde am Kulturinteresse der Bürger zu profitieren. Pfui!, sage ich da, das gehört sich nicht. Ich kann nicht einerseits so tun, als läge mir als Kommune etwas an Kultur, andererseits tue ich ebensowenig dafür, dass Gäste derselben sich wohlfühlen. Verstehen sie mich, verehrte Frau Orosz, nicht falsch. Ich rufe keinesfalls zum wahllosen Falschparken 24 Stunden rund um die Uhr auf, aber ich kann mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass Ordnungsamtsbedienstet extra losgeschickt werden, um bei größeren Veranstaltungen im Interesse der Stadt Knöllchen zu verteilen. Ich nähere mich dem Ausgangspunkt. Ein Vorgehen dieser Art ist mir nicht zum ersten Mal aufgefallen. Insgesamt mangelt es der Stadt Dresden meines Erachtens nicht nur an behördlicher Toleranz, insbesondere bei Großveranstaltungen, nein, mein geliebtes Dresden leidet auch darunter, in der Außenwirkung an Attraktivität zu verlieren.
Dazu tragen soeben genannte Dinge bei, ebenso wie die bisherige Konzentration auf Dresden als Barock, als Semperoper, als Grünes Gewölbe. Diese Stadt lebt, und das wissen wahrscheinlich die wenigsten Menschen dieser Welt, von ihrer Kreativität, von den Menschen, die außerhalb der DWT, außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, etwas tun, um sich kulturell zu verwirklichen. Es gibt viele Beispiele, die ich ihnen gern nenne, falls ihrerseits Interesse besteht, aber ich denke, es ist der falsche Weg, Menschen, die ob ihres kulturellen Interesses keinen Hehl machen, die vielmehr aus der Ferne Anreisen, dies im übrigen ein Unterfangen, welches mittels Bahn und ÖPNV aufgrund mangelnder Abdeckung kaum noch machbar ist ( versuchen sie mal, gegen 17 Uhr in Kamenz loszufahren, um gegen 20 Uhr in Dresden ein Konzert sehen zu können und danach einen Anschlusszug nach Hause zu erreichen…), durch Stadtangestellte abzustrafen. Einfacher wäre es, ein sinnvolles Parkkonzept zu erstellen, bei dem auch private Veranstalter integriert werden könnten.
Ebenso wäre eine Ausweitung des Werbekonzeptes der Stadt Dresden auf das Unentdeckte, auf die Subkultur, auf alles, was sich außerhalb der wiederhergerichteten Altstadt abspielt durchaus von großem Wert. Glauben sie mir, wenn ich ihnen sage: ein großer Teil der jüngeren Touristen kennt Dresden nur zufällig, weil es am Wege liegt. Kleiner Stop zwischen Prag und Berlin gefällig? Ah, Dresden, we know Dresden China. Doch damit ist Meißner Porzellan gemeint. Kaum ein Tourist unter 35 weiß, dass es in der sächsischen Landeshauptstadt eine kreative (Untergrund-)Szene gibt, kaum ein Besucher nimmt vor seinen zufälligen Entdeckungen war, dass Malerei, Musik, Theater & Kino nicht nur im 26er Ring vorhanden sind.
Letztendlich schließt sich der Kreis nun endlich. Natürlich brauchen wir keine DWT, die sich ausschließlich der Vermarktung des Barock verpflichtet fühlt. Umsomehr brauchen wir tragfähige Konzepte um diese Stadt attraktiver zu machen. Dazu gehört die Schaffung sinnvollen Parkraums ebenso wie die Ausweitungen des Marketings auf andere Teile der Stadt und vieles andere mehr. Neustadt, Laubegast, Striesen, Hechtviertel und alle anderen Quartiere sind voller entdeckenswerter Dinge. Man muss sich nur die Mühe machen, diese entdecken zu wollen.
Diese Stadt lebt jetzt und nicht vor 300 Jahren!

Hochachtungsvoll
Mirko Glaser

Quelle: Blue Note Dresden


Veröffentlicht am 2. November 2008 um 11:55 Uhr von Redaktion in Freiräume, Kultur

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