Freiräume

Proteste gegen Großen Zapfenstreich

23. November 2010 - 02:00 Uhr - 4 Ergänzungen

Bei nasskaltem Novemberwetter versammelten sich am gestrigen Abend am Königsufer neben Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) zahlreiche Persönlichkeiten aus Militär und Politik und verfolgten einen Großen Zapfenstreich. Anlass für das höchste Zeremoniell der Bundeswehr vor historischer Altstadtkulisse waren „20 Jahre Armee der Einheit“. Während der gespenstischen Zeremonie versuchten etliche Menschen die Veranstaltung mit Sprechchören und Trillerpfeifen zu stören. Minutenlang ertönte aus einem Lautsprecherwagen die Rede von Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast vom 18. Februar 1943. Inzwischen hat die Polizei gegen einige der Störerinnen und Störer Ermittlungen aufgenommen.

Auf der Brühlschen Terrasse am gegenüberliegenden Elbufer protestierten zeitgleich etwa 100 vor allem junge Menschen gegen die Glorifizierung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Dabei versuchten die anfangs nur wenigen uniformierten Einsatzkräfte der Polizei immer wieder mit Gewalt die Jugendlichen am friedlichen Protestieren zu hindern. Auf Trillerpfeifen und lautstarke Sprechchöre reagierten einige der Beamten abseits der Fernsehkameras immer wieder mit Faustschlägen und Tritten. Schon im Vorfeld auf das Live im Fernsehen übertragene Ereignis hatten mehrere Hundertschaften der Polizei die Gegend weiträumig abgesperrt und willkürlich zahlreiche Platzverweise erteilt. Das Königsufer war zu diesem Zeitpunkt bereits für Stunden zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden und wurde von bewaffneten Feldjägern kontrolliert.

Die Anlage unterhalb des Sächsischen Finanzministeriums war nach den Plänen des Dresdner NSDAP-Bürgermeister Ernst Zörner 1936 zu einem „Forum für nationale Kundgebungen“, einem thingstättenartigem Freilufttheater, umgebaut worden. Auch im Nationalsozialismus war das Königsufer immer wieder Schauplatz von Veranstaltungen der Wehrmacht. Der Große Zapfenstreich in seiner heutigen Form entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nachdem der damalige preußische König Friedrich Wilhelm III. die Ausweitung des Zapfenstreiches um das Präsentieren des Gewehrs, einem stillen Gebet und des Blasens eines Militärliedes erweitert hatte.

Am ersten Tag der Kommandeurstagung im Hotel Westin Bellevue am Elbufer hatte zuvor Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Eckpunkte einer tiefgreifenden Reform der Bundeswehr vorgestellt. Darin wurde nach 56 Jahren die Aussetzung der Wehrpflicht für den 1. Juli 2011 und ein Umbau der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee beschlossen.

Proteste gegen den „Großen Zapfenstreich“ in Dresden:


Veröffentlicht am 23. November 2010 um 02:00 Uhr von Redaktion in Freiräume

Ergänzungen

  • Die Art der Inszenierung war schon bizarr, so bisschen DDR 2.0. Das das Aussperren der eigenen Bevölkerung notwendig ist, um eine brauchbare Propagandasendung fürs Staatsfernsehen hinzubekommen, sagt eigentlich schon alles. Putzig die Details: Sämtliche irgendwie historischen Gebäude am anderen Elbufer wurden extra fürs Fernsehen beleuchtet (und die Scheinwerfer bewacht), genau wie die Elbe. Die Kunsthochschule erhielt vor dem Ereignis Post, man solle bitte einheitlich das Licht im Gebäude anlassen. Später überlegte man es sich anders – neue Devise war „Licht aus“. Ein paar Studenten schlossen sich in Ateliers ein und liessen die Fenster blinken. Es dauerte nicht lang, da kam die telefonische Aufforderung, das zu unterlassen…

    (Warum nenne ich das „öffentlich-rechtliche“ ARD Propagandafunk? Nach der Liveübertragung des Militärfaschings lief ein Familienporträt der zu Guttenbergs im ARD. Klar, wenn man die Zielgruppe für sowas schon mal am Schirm hat… Dazu kommen regelmäßig unglaublich einseitig besetzte Talkshows, die Tagesschau, die 2,5 Minuten über den neuen Schumi als Aufmacher bringt usw. usf.)

  • @ Sepp 23. November 2010 um 20:03
    > Jap, sehr gut!
    Genau diese Überlegung hatte ich auch, das die tolle DEUTSCHE Demokratie solch „Aussgrenzungen“ benötigt, um ihre „demokratischen“ Traditionen leben zu können… *hust*

    >> Es sollte sich wirklich keiner, aber auch gar KEINER mehr über „Vorkomnisse“ in Russland, Nordkorea, oder anderswo brüskieren…

    Es lebe unser Zentralstaat 3.0 […]

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