Soziales

Nachrichten aus dem Süden Europas – Griechenland (1)

14. Mai 2013 - 15:26 Uhr - 3 Ergänzungen

Seit mehreren Jahren schon werden in den Medien die unterschiedlichsten Bilder über die Zustände in den von der Wirtschafts- und Finanzkrise am stärksten betroffenen Länder Südeuropas vermittelt. Wir haben uns aus diesem Grund auf die Suche nach Menschen gemacht, die über die Situation in ihren Herkunftsländern berichten können. In unserem ersten Teil wird euch dazu eine Griechin von den Zuständen und den Auswirkungen der von der Politik als „notwendige Strukturanpassungen“ verkauften europäischen Krisenpolitik in ihrem Land erzählen.

Hallo Georgia, du bist vor drei Jahren aus privaten Gründen von Griechenland nach Berlin gezogen und arbeitest dort inzwischen als Architektin. Heutzutage versuchen ja viele, gerade junge Griechen auf der Suche nach Arbeit, das Land zu verlassen. War das damals auch schon der Fall?

Nein, als ich vor ungefähr vier Jahren nach Berlin gekommen bin, da waren Griechen, die ins Ausland zum Arbeiten gegangen sind, eher die Ausnahme. Es gab zwar auch damals viele junge Menschen, die im Ausland gewohnt haben (die meisten innerhalb Europas: England, Italien, Deutschland, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Schottland etc.). In den meisten Fällen lag der Grund darin, ein Studium aufzunehmen. Heute hört man immer öfter, dass jemand ins Ausland gezogen ist, weil die Person keinen Job mehr in Griechenland finden konnte. Persönlich habe ich diese Veränderung mitgekriegt, als meine Eltern, die bis vor ein paar Jahren gegen meinen Entschluss waren, in Berlin zu wohnen, aufgehört haben mich zu drängen, nach Griechenland zurückzukehren und stattdessen angefangen haben, meine Entscheidung nach dem Motto: „Vielleicht ist es besser dort, wo du bist, bleib lieber da!“, zu begrüßen.

Wohin zieht es junge Griechen heutzutage und welche Ursachen hat das?

Die Länder, die heutzutage bei jungen Griechen hoch im Kurs stehen, sind die „reichen“ europäischen Länder wie England und Deutschland, aber auch die Türkei. Die Gründe, warum diese Länder besonderes beliebt sind, sind verschieden. Die meisten jungen Griechen sprechen ein gutes Englisch, welches sie in der Schule gelernt haben. Aber auch, weil viele schon ein paar Jahre in den angesprochenen Ländern zum Studieren verbracht haben und sich deswegen dort wohl fühlen. Ganz ähnlich sind auch die Gründe, die viele junge Griechinnen und Griechen nach Deutschland ziehen. Die Struktur der Sprache ist zwar komplizierter, aber viele haben in der Schule trotzdem Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt. Dazu kommt, dass Deutschland den Ruf eines Sozialstaates hat, was als Magnet für vielen Griechen wirkt, die große Hoffnungen hegen, Unterstützung vom Staat für den Beginn ihres neuen Lebens zu bekommen.

Das Nachbarland Türkei ist deshalb beliebt, weil es außer seinem großen wirtschaftlichen Wachstum in den letzten Jahren, ein ähnliches Klima und eine ähnliche Kultur wie Griechenland zu bieten hat. Viele Griechen fühlen sich, trotz der Tatsache, dass die beiden Länder oft als „Feinde“ bezeichnet werden, sehr wohl dort. Aber eigentlich ist die Mentalität der Leute dort vergleichbar mit denen der Neugriechen. Dazu die Ähnlichkeiten in der Sprache, die als nicht besonderes schwierig gilt. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass seit ungefähr zwei Jahren ständig Seifenopern, die billig aus unserem Nachbarland gekauft worden sind, sehr erfolgreich im griechischen Fernsehen laufen. Wahrscheinlich hat dieser Umstand mit dazu beigetragen, unsere „großen Unterschiede“ zu überbrücken.

Alle Griechen, die ich kenne, haben in Privatschulen Englisch und/oder andere Fremdsprachen gelernt. Das bedeutet, die Eltern müssen für den Unterricht bezahlen. In der Schule haben wir zwar auch Englischunterricht, aber ich kenne niemanden, der es geschafft hat, nur mit normalem Schulunterricht Englisch zu lernen. Obwohl es wirklich teuer sein kann, lernen es fast alle Kinder auf diese Weise. Der Grund, weshalb viele Leute echt gut Englisch sprechen können, ist, dass wir jeden Tag in Kontakt mit dieser Sprache stehen: durch den Tourismus, durch Musik und Fernsehen (alle Filme laufen immer mit Untertiteln) oder durch Computer (die meisten Computerprogramme haben keine griechische Übersetzung).

Du warst gerade in Athen, wie würdest du die Stadt und die aktuelle Situation dort beschreiben?

Athen war nie eine schöne Stadt. Manche Stadtteile, wie zum Beispiel der Bezirk um die Akropolis und die wohlhabenderen Stadtteile lassen sich zwar als wirklich schön und sehenswert bezeichnen, aber der Großteil der Stadt war immer zu dicht mit hohen Betongebäuden bebaut worden. Dazu kommen die oft engen, verstopften Straßen und die sehr schmalen Bürgersteige, die schmutzig und voll mit Schildern, Werbung und geparkten Motorrollern sind.

Trotz der schon erwähnten dekadenten Seite der Stadt, sind die Veränderungen, die durch die Krise im letzten Jahr passiert sind, nicht zu übersehen. Die Zahl der Läden, die geschlossen sind und leer stehen, wird immer größer. Man sieht immer mehr Menschen, die gezwungen sind, auf der Straße zu leben. Dazu kommen auch Tonnen von Müll in jeder Ecke, weil die Müllabfuhr wieder im Streik ist und Frauen, die meisten mit Migrationshintergrund, die sich prostituieren. Aber was am stärksten ins Auge fällt, ist die Unzufriedenheit, die in den Gesichtern der Leute auf der Straße zu sehen ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man sich in einem Athener Vorort oder in den Stadtteilen Athens aufhält, die die Krise noch nicht so stark verändert haben. Es sind aber auch ein paar positive Veränderungen festzustellen: es sind sehr viel weniger Autos auf den Straßen, was weniger Stau und Abgase für die Stadt bedeutet. Der Grund sind die in den letzten Jahren stark angestiegenen Benzinpreise, die dazu geführt haben, dass viele Leute mittlerweile ihr Auto stehen lassen.

Natürlich muss man diesem Bild noch die Demonstrationen hinzufügen, die fast täglich im Zentrum der Stadt stattfinden. Als ich dagewesen bin, haben gerade die Leute wegen dem Tod zweier Studenten in Larissa demonstriert. Die konnten sich die Heizung für den Winter nicht leisten; und da die Kälte zu der Zeit für griechische Verhältnisse unerträglich gewesen ist, hatten die fünf Studenten beschlossen, alle zusammen in einem Zimmer zu schlafen, welches von einem selbstgebauten Ofen beheizt worden war. Zwei von ihnen sind in einer dieser kalten Winternächte ums Leben gekommen und drei vom Gas vergiftet ins Krankenhaus gebracht worden. Eine tragische Geschichte, die leider kein Einzelfall ist und die meiner Meinung nach für sich selbst spricht, denn sie sagt viel über die aktuelle Situation der Menschen in Griechenland aus.

In den Nachrichten finden sich in er letzten Zeit verstärkt Meldungen über die schlechte Situation im Gesundheitswesen, kannst Du uns sagen, wer davon betroffen ist und welche Auswirkungen das für den Alltag gerade der auf medizinische Hilfe angewiesenen Menschen hat?

Das Gesundheitswesen Griechenlands ist, seit ich denken kann, einer der korrupteren Sektoren des Staates. Alle Berufstätigen haben die Pflicht, bei einer staatlichen Krankenkasse versichert zu sein (welche, hängt von der Art des Berufs ab). Viele Selbständige, wie zum Beispiel Architekten, Ingenieure oder Händler müssen ihre Krankenversicherung bei Arbeitslosigkeit weiter bezahlen, unabhängig dessen, was sie verdienen, sonst verlieren sie die Erlaubnis, auch in Zukunft ihre Berufe auszuüben. Trotzdem, wenn man die finanzielle Unterstützung der Krankenkasse braucht, ist es praktisch unmöglich, sie zu bekommen. Die Wartelisten für Untersuchungen oder Operationen sind so lang, dass man eigentlich seine Gesundheit riskiert. Außerdem ist die Situation in den staatlichen Krankenhäusern der meisten großen Städte katastrophal. Es ist nicht ungewöhnlich Patienten zu sehen, die auf Liegen im Korridor liegen, weil es nicht genug Platz für alle gibt oder weil es Menschen gibt, die sich aus finanziellen Gründen ein ganzes Krankenzimmer leisten können und so mehr Platz für sich in Anspruch nehmen. Etwas besser ist die Situation für die Leute, deren Krankenkasse mit privaten Ärzten kooperiert. Die können direkt zum Arzt gehen, müssen ihn aber auch selbst bezahlen und dann mit der Rechnung zu ihrer Krankenkasse gehen, um einen Teil oder den gesamten Betrag, den sie ausgegeben haben, erstattet zu bekommen. Auf jeden Fall ist die Losung immer: wer Geld hat, kann es sich leisten, in eine Privatklinik zu gehen oder den Ärzten und Krankenschwestern ein bisschen Geld zustecken, um schneller einen Termin zu bekommen. Die ökonomische Krise der letzten Jahre hat, wie zu erwarten, die schon beschriebene Situation dramatisch verschlechtert.

Menschen, die vorher das Geld hatten, sich in einer privaten Klinik behandeln zu lassen, können sich das nicht mehr leisten und müssen sich nun auch in die Wartelisten der staatlichen Krankenhäuser einschreiben. Und wenn man dazu rechnet, wie viele Leute von dem Krankenpflegepersonal wegen der neuen Sparmaßnamen ihre Stelle verloren haben und wie viele Tage im letzten Jahr die Krankenhäuser wegen der Streiks geschlossen waren, kann man sich ungefähr vorstellen, wie lang die Wartelisten im Augenblick sind. Im Unterschied dazu gibt es immer noch einige Menschen, die genug Geld für nicht unbedingt notwendige medizinische Eingriffe haben. Der Fakt, dass trotz der Auswirkungen der Krise im Gesundheitssektor die Zahl der Schönheitsoperationen, die außerdem viel günstiger geworden sind, gestiegen ist, spricht für sich selbst.

Es wird ständig über die Entlassungen tausender Staatsangestellter und normaler Arbeitnehmer berichtet, welche Folgen haben die von der Regierung beschlossenen und den europäischen Geldgebern geforderten „Strukturanpassungen“ für die Normalbevölkerung?

Die Antwort auf diese Frage kann mit nur einem Wort zusammengefasst werden: Arbeitslosigkeit. Die Leute, die ihre Jobs verlieren, finden keinen neuen. Wer genug Glück hat, wird von seiner Familie finanziell unterstützt. Das Arbeitslosengeld in Griechenland war, als ich noch dort gelebt habe, ein Witz: Die circa 300 Euro, die es drei bis sechs Monate für Angestellte gibt, haben oft nicht einmal ausgereicht, die Miete zu bezahlen. Für Selbstständige gab und gibt es keine Form der finanziellen Unterstützung. Manche ziehen zurück aufs Dorf und beschäftigen sich mit Landwirtschaft. Viele verlassen jedoch auch Griechenland und suchen sich einen Job im Ausland. Die wenigen Unternehmen, denen es im Moment gut zu gehen scheint, sind Agenturen, die Jobs für Griechinnen und Griechen im Ausland finden. Dazu kommt, dass viele Unternehmen auch den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften spüren, weil gut ausgebildete Leute inzwischen das Land verlassen haben. Selbst in den Behörden merkt man das. Und natürlich ist mit der gestiegenen Nachfrage nach Jobs auch die Zahl der Menschen gestiegen, die für immer weniger Geld und unter schlechten Arbeitsbedingungen bereit sind, zu arbeiten.

Welche Sektoren sind von den Sparmaßnahmen besonders betroffen und wie können wir uns in diesem Zusammenhang das griechische Lohnniveau vorstellen?

Die Sektoren die am stärksten von der Krise betroffen sind, sind die, die es auch zuerst erwischt hat. Ich würde sie „Luxussektoren“ nennen. Alles was mit Immobilien und dem Baugewerbe zu tun hat. Desweiteren sind Einzelhandel und kleine Unternehmen besonders stark betroffen. Selbstverständlich gab es ebenso gewaltige Einschnitte im Kulturbereich, wie auch in der Forschung. Viele Angestellte der Tourismusindustrie haben bisher außerhalb der Saison Arbeitslosengeld beziehen können. Diese Option ist für sie nun weggefallen, weshalb ebenso viele Existenzen auf dem Spiel stehen.

Gibt es nach den ganzen negativen Seiten der Krise für die griechische Bevölkerung auch Anzeichen einer Verbesserung?

Natürlich. Da sind immer zwei Seiten. Positiv sehe ich zum Beispiel die Tendenz, dass viele Menschen, die in großen Städten gelebt haben, nun in kleinere Dörfer ziehen. Es ist auch auf jeden Fall positiv, dass die Leute aus Kostengründen nicht mehr so viel ihr Auto benutzen. Generell würde ich sagen, dass man eine Wende weg von „Quantität“ hin zu „Qualität“ spüren kann. Die Beziehungen zwischen den Menschen sind enger geworden: man verbringt mehr und intensiver Zeit mit seinen Freunden und der Familie. Die Leute, insbesondere auf dem Land, versuchen sich gegenseitig zu helfen. Viele haben angefangen, ihre Produkte oder Leistungen zu tauschen, anstatt Geld als Tauschware zu benutzen. Man findet neue Wege sich zu unterhalten, Hobbys, wofür nicht unbedingt viel Geld gebraucht wird. Die Menschen gehen wandern, fischen, schwimmen, bauen oder reparieren alles zu Hause und nähen selbst ihre neuen Klamotten. Es ist endlich nicht mehr das Wichtigste im Leben, das schnellere Auto, das größere Haus und den teuersten Schmuck zu besitzen…


Veröffentlicht am 14. Mai 2013 um 15:26 Uhr von Redaktion in Soziales

Ergänzungen

  • a) Da stehen Menschen auf der Straße, die keine medizinische Versorgung mehr bezahlen können,
    b) da stehen mit ihnen Leute auf der Straße, deren Beruf es ist, medizinische Versorgung zu leisten
    c) sie finden nicht zueinander, weil es den Link nicht mehr gibt, mit dem sie bisher gewohnt waren, ihre Beziehungen untereinander zu regeln: Das Geld. Das haben ihnen Gauner entwendet.

    Warum in aller Welt, gehen diese Leute nicht aufeinander zu und beginnen, über die Zwischenstufe standardisierter privater Schuldverschreibungen (die ja nicht verboten sind) Regionalwährungen und damit ihre eigenen Wirtschaftskreisläufe, ihre eigene Ökonomie aufzubauen, wenn sie vom Ganovensystem Kapitalismus ausgespuckt wurden?
    Man sollte froh sein, wenn man von diesem Manchesterkapitalismus verstoßen wird – denn damit wird der Weg frei für eine neue politische Ökonomie, aufbauend auf humaneren Regeln als denen des konkurrierenden Belauerns, der gegenseitigen Ausbeutung und Vernichtung des über den Tisch gezogenen.

    Die Entgleisung des Kapitalismus ins eindeutig Verbrecherische ist doch eine ideale Gelegenheit, diesem Prinzip ein für allemal den Rücken zu kehren und den Spieß umzudrehen:

    Statt sich zu beklagen, daß das kapitalistische System die Armen nicht mehr zu integrieren bereit ist und statt daß die Armen wieder in den Schoß der Ausbeutung zurückwollen, sollten sie besser den Blick nach vorne richten und ihre eigenen Genossenschaften zur gegenseitigen grundsichernden Versorgung, ihre eigenen Verwaltungsorgane und Organisationsstrukturen aufbauen.

    Vermögen ist nicht das, was man im Portemonnaie hat, sondern das, was man VERMAG!

    Das Vermögen der Ausbeuter ist ihr schmutziges Geld und ihre schmutzigen Regeln – das Vermögen aller anständigen und friedliebenden Menschen ist ihre GEGENSEITIGE Solidarität!
    Aus dieser sollten sie etwas besseres machen, als das jahrtausendealte Ausbeutersystem zu reparieren – oder ist auch die Mehrheit Armen nur verhinderte Kapitalisten??

    Ist ihre Kritik am Kapitalismus wirklich eine grundsätzliche, ethische(?), oder ist sie nur davon gespeist, daß sie persönlich nun gerade nicht am Tische der Ausbeuter sitzen?
    Wie viele „gute Linke“ mußte ich in meinem Leben schon kennenlernen, die von der Idee der Gerechtigkeit plötzlich nichts mehr wissen wollten, als es ihnen selber vergönnt war, Profite zu machen?! …

    Wenn das Prekariat selbst in Zeiten der Not nicht zueinander findet, deutet das darauf hin, daß seine Kapitalismuskritik nur aus individuellen egoistischen Motiven gespeist ist und – ganz nach dem Rezept Bismarks („Zahlt den Arbeitern eine Mark mehr und die ganze Sozialdemokratie bricht zusammen.“) mit heben und senken des Brotkorbes durch die Kapitalisten manipuliert werden kann.

    Wenn es keine Gerechtigkeit und keine sozialverträglichen Verhältnisse auf unserem Planeten gibt, dann nur deshalb, weil selbst die Mehrheit der Opfer der Ausbeutung im Stillen immer noch hofft, einmal selbst Ausbeuter sein zu können und deshalb ihre eigenen Interessen und Notwendigkeiten verrät, indem sie selbst im Angesicht des eigenen Unterganges auf eine vage und völlig unzutreffende Hoffnung hin das sie Schädigende System noch unterstützt.

    Hella

  • „Dein Kommentar wartet auf Freischaltung. “

    Heute nennt man es beschönigend „Freischaltung“ – aber es ist natürlich immer noch und immer wieder:

    Zensur!

    Orwell läßt grüßen …

    H.

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