Soziales

Rückendeckung für Dresdner Polizisten nach Schusswaffendrohung

21. September 2020 - 20:15 Uhr

Am vergangenen Sonntagnachmittag demonstrierten rund 400 Menschen für die Evakuierung der provisorischen Lager auf der Insel Lesbos in Griechenland. Aufgerufen hatte ein Zusammenschluss aus „Undogmatischen radikale Antifa Dresden“ (URA), der „Seebrücke Dresden“ und der „Antifaschistischen Jugend Dresden“ und vielen weiteren Gruppen. Nachdem die Demonstration zunächst friedlich vom Alaunpark in die Dresdner Innenstadt lief, drohte nach der kurzzeitigen Blockade einer Kreuzung auf dem Pirnaischen Platz der für das Einsatzgeschehen an dem Tag zuständige Beamte der Dresdner Polizei die Versammlungsteilnehmer mit dem Einsatz der Schusswaffe. Die auf Video festgehaltenen und anschließend in sozialen Netzwerken verbreiteten Geschehnisse sorgten am Sonntagabend für bundesweites Aufsehen. Mittlerweile hat sich auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu dem Vorfall geäußert.

Die zuvor ohne Zwischenfälle verlaufene Demonstration erreichte am Sonntagnachmittag den Pirnaischen Platz im Stadtzentrum von Dresden. Dort musste die Versammlung kurz warten, da eine parallel stattfindende Fahrraddemonstration die Aufzugstrecke kreuzte, gleichzeitig stellte der Ort den Endpunkt der Demonstration dar. Einige Teilnehmer:innen der Versammlung packten daraufhin ein 23 Meter langes Banner mit der Aufschrift „Beendet das Morden an den Grenzen – Fight Fortress Europe“ aus und begaben sich auf die Kreuzung, um diese kurzzeitig zu blockieren. Dazu wurden lilafarbene Rauchtöpfe gezündet. Anliegen der protestierenden Menschen war es, mit der Aktion auf die Situation geflüchteter Menschen an den EU-Außengrenzen zu erinnern. Zugleich wurde dazu aufgerufen, die Lager auf den griechischen Inseln aufzulösen und die dort unter katastrophalen Bedingungen untergebrachten Menschen nach Deutschland zu evakuieren.

Der Einsatzleiter, der mit nur wenigen Beamten:innen präsenten Dresdner Polizei begab sich daraufhin zum Transparent und trat, wie Videoaufnahmen belegen, den Rauchtopf in Richtung der Demonstrierenden. Daraufhin soll nach Aussagen von Beobachter:innen der Situation der Beamte in das Banner hineingelaufen und zurück geschubst worden sein. Anschließend ist zu sehen und zu hören, wie der Einsatzleiter in einem Wortgefecht gegenüber einem Protestierenden sagt: „Schubs mich und Du fängst Dir ’ne Kugel“. Die Aussage führte zu Protesten seitens der Demonstrierenden, die den Beamten erneut wegdrückten, woraufhin dieser zurückwich, den Halfter seiner Dienstwaffe öffnete und die Pistole ein stückweit aus der Halterung zog. Nur wenige Sekunden später kam eine weitere Beamtin hinzu und beide entfernten sich vom Ort des Geschehens. Kurz darauf wurde die Blockade durch die Aktivist:innen aufgelöst. 

In den von der Situation angefertigten Videos, die sich innerhalb kürzester Zeit hundertfach in den sozialen Medien verbreiteten, wurde das Vorgehen des Beamten zum Teil scharf kritisiert. Auf Grund dessen sah sich die Polizei noch am gleichen Abend genötigt, eine eigene Stellungnahme zu dem Sachverhalt zu veröffentlichen. Dresdens Polizeipräsident Jörg Kubiessa rechtfertigte darin das Verhalten des eingesetzten Polizisten. Dieser wollte nach Angaben der Polizei den Rauchtopf als Beweismittel sichern. Dabei sei er von 25-30 Vermummten bedrängt worden und habe einen Stoß gegen seine Brust verspürt. Der Griff zur Dienstwaffe sei demnach nicht zum Einsatz gedacht gewesen, sondern nur zur Sicherung vor Wegnahme derselben. Für Kubiessa sei das Vorgehen in dieser „angespannten Situation“ richtig und „absolut angemessen“ gewesen. Der Spruch, so räumt Kubiessa ein, sei so von dem Beamten gesagt worden. „Bei der Bewertung seines Verhaltens muss man die Umstände – eine hektische, unübersichtliche Situation – sicher mit einbeziehen“, milderte der Präsident jedoch das Verhalten seines Kollegen ab. Einen Anlass für disziplinarrechtliche Schritte sah er aus diesem Grund nicht.

Anders sehen dies die Aktivist:innen der „URA“. Sie warfen der Polizei vor, bewusst Fehlinformationen verbreitet zu haben. So sei durch die Polizei zu keinem Zeitpunkt versucht worden, den Rauchtopf zu sichern, stattdessen wurde dieser durch den Polizisten in Richtung der Demonstrierenden getreten. Auch die Anzahl der involvierten Personen würde nach Ansicht der Aktivist:innen nicht der Wahrheit entsprechen. Sie sprechen von rund einem dutzend Personen, die sich hinter dem Transparent eingefunden hätten. Nach Sichtung der existierenden Bilder und Aussagen von Beobachter:innen vor Ort, kommt die Redaktion von addn.me zu einem ganz ähnlichen Bild. Darüber hinaus sei die Aussage, der Beamte habe die Waffe lediglich gesichert, falsch, da der Einsatzleiter erst einen Schritt zurückging, bevor er die Handlung vollzog. Den Videos nach zu urteilen, war der Einsatzleiter für die Versammlung in diesem Moment nicht in unmittelbarer Nähe der Blockade, so dass die Notwendigkeit einer Sicherung nicht mehr bestand.

„Vielmehr sind diese Lügen Schutzbehauptung, welche den Korpsgeist der Polizei auszeichnen“, erklärte die Gruppe gegenüber addn.me. Besonders im Kontext der unlängst aufgedeckten rechten Netzwerke innerhalb der deutschen Polizei sieht die URA eine große Gefahr, die mit der Bagatellisierung des Vorfalls durch die Polizeileitung einhergeht. Sie appellierten an Zivilgesellschaft, Journalist:innen und Aktivist:innen „dem Sicherheitsapparat auf die Finger zu schauen anstatt deren Inhalte unhinterfragt wieder zu geben“. Erst in der vergangenen Woche waren mehrere Fälle rechter Beamt:innen bekannt geworden. Während in Sachsen Beamt:innen mit rechter Gesinnung wie in den nie aufgeklärten Fällen der „Gruppe Freital“ kaum mit Konsequenzen zu rechnen haben, wurden die Staatsbediensteten, die in der vergangenen Woche wegen ihrer Beteiligung an rechten Netzwerken durchsucht wurden, vorerst vom Dienst freigestellt oder suspendiert.

Auch über antifaschistische Akteur:innen hinaus regt sich inzwischen Kritik am Verhalten der Polizei im Nachgang zum Vorfall. Der Journalist Andreas Szabó legt einen Tweet offen, warum die Polizeimitteilung durch Journalist:innen hätte kritisch eingeordnet werden müssen. Dabei stützt er auf Grundlage der bislang veröffentlichten Videos im Großen und Ganzen die Darlegung der URA und fügte zugleich an, dass die Mitteilung am Sonntagabend um 20:56 Uhr veröffentlicht wurde. Dies, so Szabó weiter, sei bewusst oder unbewusst kurz vor Redaktionsschluss der Printausgaben der Tageszeitungen geschehen und würde die Möglichkeit zur eigenen Recherche zusätzlich erschweren. Eine der Folgen ist, dass anschließend häufig unhinterfragt die polizeiliche und damit einseitige Perspektive auf die Ereignisse verbreitet wird. So gab es in den Ausgaben der großen Tageszeitungen am Montagmorgen auch keinerlei einordnenden Beiträge.

https://twitter.com/reDDakteur/status/1307982168988282881

Polizei und Presse waren in den vergangenen Wochen immer wieder in die Kritik geraten, unzureichend über Sachverhalte zu berichten. Unter anderem bezog sich die Kritik auf den Vorfall der Messerattacke durch einen mutmaßlich rechten Jugendlichen auf einer FreeParty in der Dresdner Heide. Obwohl der Tat eine rassistische Beleidigung und ein Hitlergruß vorausgegangen war, berichtete die Polizei in ihrer Mitteilung nicht darüber. In den Dresdner Zeitungen wurde erst darüber geschrieben, nachdem das unabhängige Journalistenkollektiv „Straßengezwitscher“ bei der Polizei den Sachverhalt erfragt hatte. Auch der Deutsche Journalisten-Verband ruft mittlerweile dazu auf, „Meldungen und Informationen der Polizeibehörden in allen Fällen kritisch zu hinterfragen“. So ergäben sich durch eigenen Recherchen häufig andere Sachverhalte, als aus den Mitteilungen der Polizei. „Ein Polizeibericht ist für Redaktionen eine wichtige Ausgangsinformation, mehr nicht“ erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall

Trotz der offensichtlichen Fehlinformationen in der Pressemittlung der Polizei und dem mindestens fragwürdigen Verhalten des Beamten bekräftigte Ministerpräsident Kretschmer am Montagmorgen die Aussagen. Gegenüber dem „Recherche Netzwerk Deutschland“ (RND) bestätigte er die Aussagen der Pressestelle, dass „Aktion und Reaktion nicht verwechseln“ werden dürfe. Darüber hinaus sprach er davon, dass der Beamte umringt von Menschen gewesen wäre, „die potenziell als Angreifer und Gewalttäter einzustufen sind“. Das RND ist wichtige Quelle für Journalistisch:innen. Jedoch war auch in ihrer Berichterstattung keine Einordnung der Situation und der vorhandenen Video zu entnehmen. So hätte das „Verhalten eines Polizei-Einsatzleiters bei einer Demonstration zur Aufnahme von Flüchtlingen in Dresden für Kritik gesorgt“, war im entsprechenden Beitrag zu lesen.

Die an der Organisation ebenfalls beteiligte Seebrücke Dresden forderte in einem heute veröffentlichten Statement eine transparente Aufarbeitung des Fehlverhaltens seitens der Polizei und entsprechende Konsequenzen. „Menschen zu erschießen, oder dies auch nur anzudrohen, darf niemals zum Mittel der Einschüchterung in unserem demokratischen Diskurs werden“ erklärte die Gruppe, die sich seit mehreren Jahren für die Aufnahme von Geflüchteten einsetzt, gegenüber addn.me. Sie verurteilte darüber hinaus die Stellungnahme der Polizei, die „unter dem demokratischen Deckmantel der Eigensicherung und Notwehr“ ein aggressives Verhalten und die Androhung des Schusswaffengebrauches vertuschen würde.

Sowohl die Seebrücke, als auch URA zeigten sich übereinstimmend schockiert, dass erneut das Verhalten der Dresdner Polizei in den Fokus des medialen Diskurs gerückt sei, anstatt über die Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Lagern zu reden. Nach dem Brand im Lager Moria leben mehrere tausend Menschen auf den Straßen der Insel. Wie das „Dunya Collective“ unlängst berichtete, hat die griechische Polizei mittlerweile damit begonnen, die Menschen in provisorisch errichtete Lager zu treiben. Um den Maßnahmen zu entgehen, sollen sich hunderte Menschen in den Bergen und dem Umland versteckt haben. Politiker:innen aller Parteien zeigen sich zwar bestürzt, sind jedoch unwillig eine größere Anzahl an geflüchteten aufzunehmen. Unlängst hatten im Ausschuss für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt SPD und die Grünen gemeinsam mit der CDU und AfD gegen einen von der Linken eingebrachten Antrag gestimmt, welcher die Aufnahme von 500 Menschen in Sachsen zum Ziel hatte.

Bild: Protestfotografie Dresden


Veröffentlicht am 21. September 2020 um 20:15 Uhr von Redaktion in Soziales

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