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Antifa Ost Prozess: Die Bundesanwaltschaft fordert Haftstrafen

6. April 2023 - 07:00 Uhr

In zwei Verhandlungstagen hat die Bundesanwaltschaft (BAW), vertreten durch den Staatsanwalt Lorenz Mödl und die Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn, ihren Schlussvortrag vorgetragen. Wie erwartet bleibt die BAW in großen Teilen bei der Darstellung aus der Anklageschrift. Die Strafzumessung für die angeklagten insgesamt neun Straftatkomplexe fiel entsprechend hoch aus: Sie fordert lange Haftstrafen.

Allen vier Angeklagten legte die BAW die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, die seit mindestens 2018 bestünde, zur Last. Im Fall Linas, so die BAW, komme erschwerend eine führende Rolle, strafbar als Rädelsführerinnenschaft, hinzu. Weiterhin sei sie des räuberischen Diebstahls und der gefährlichen Körperverletzung in mehreren Fällen für schuldig zu befinden. Darum beantrage man eine Haftstrafe von 8 Jahren und darüber hinaus die Fortsetzung der Untersuchungshaft. Für einen weiteren Angeklagten forderte die BAW 3 Jahre und 3 Monate Haft. Ihm legt sie neben dem Verstoß gegen § 129 StGB auch gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Urkundenfälschung zur Last. Ein Angeklagter sei zu 3 Jahren, 9 Monaten zu verurteilen, da eine Beteiligung an einer Tat in Wurzen ebenso erwiesen sei, wie die Beihilfe beim Angriff auf den Neonazi Leon Ringl im Dezember 2019. Besonders schwer falle seine besondere ideologische Festigung ins Gewicht. Dem vierten Angeklagten sei lediglich eine Beteiligung am Überfall am Wurzener Bahnhof nachweisbar gewesen, was mit einer Haftstrafe in Höhe von 2 Jahren und 9 Monaten zu bestrafen sei.

Edgar Lopez begleitete auch diesen Prozesstag auf Twitter.

Eine „militant antifaschistische Ideologie

An den Beginn ihres Plädoyers stellte die Anklägerin Geilhorn ein Vorwort, in dem sie auf die gesellschaftlichen Umstände der angeklagten Taten hinwies. Sie verglich die aktuelle politische Situation mit der politischen Verfasstheit der Weimarer Republik. Diese sei, durch die sich gewaltsam bekämpfenden politischen Lager an den politischen Rändern, Faschist:innen und Kommunist:innen, letztlich zu Fall gebracht worden. Eine Gewaltspirale wie in den 1920er und 1930er Jahren müsse verhindert werden. Es sei darum die unbedingte Aufgabe der Justiz, bei jeder Form politischer Gewalt einzuschreiten, um einem vergleichbaren Zusammenbruch der Demokratie zuvor zu kommen. 

Diese Deutung verkürzt die historischen Ereignisse um den Niedergang der Weimarer Republik auf die Auseinandersetzung zweier politischer Extreme und ignoriert die Rolle bürgerlicher Kreise und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vollständig. Die Gleichsetzung von links und rechts, gern kombiniert mit der Verbildlichung als Hufeisen, ist als Extremismustheorie seit Jahrzehnten virulent und wurde insbesondere in Sachsen forciert und hat hier einer gesellschaftlichen Rechtsverschiebung den Weg bereitet. Antifaschist:innen wehren sich seit Jahren gegen diese Art der Verunglimpfung und verliehen ihr das Prädikat „extrem unbrauchbar„.

Left Vision im Gespräch mit dem Historiker Wolfgang Wippermann

Die einigende Ideologie ist ein Dreh- und Angelpunkt in der Argumentation der BAW. Auch in ihrem Schlussvortrag wies die BAW darauf hin, dass es nach wie vor Unklarheiten bezüglich der Vereinigungsstruktur gebe, die auch durch die Beweisaufnahme nicht ausgeräumt werden konnten. Die geteilte Ideologie in Kombination mit der Beteiligung an Einzelstraftaten und den durch Johannes Domhöver aufgedeckten Trainings belege aber, dass es hier einen Zusammenschluss gegeben habe, der die entsprechenden Straftaten beging. Außerdem komme es, so die BAW, letztlich nicht auf den genauen Nachweis der Vereinigungsstruktur oder ein Gründungsdatum an, denn der Gesetzgeber habe diese in einer Novelle von 2017 explizit ausgenommen. Diesen Umstand hatte der Ermittlungsausschuss (EA) Dresden und das Solidaritätsbündnis Antifa Ost in mehreren Veröffentlichungen kritisiert. Es handele sich hier um eine bewusste Aufweichung des Strafrechts, mit der die Anwendbarkeit der §§ 129 a/b StGB auf jegliche politischen Zusammenhänge sicher gestellt würde.

Die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen

Der Vortrag der Ankläger:innen fußte nicht zuletzt auf der Aussage des Kronzeugen Johannes Domhöver. Zwar hätten sich die zahlreichen anderen Indizien in der Gesamtschau zu einem stimmigen Ganzen fügen lassen, aber dessen Aussagen hätten weitere Taten ans Licht gebracht und den Gruppenzusammenhang erhellt. Die Geschlossenheit der Aussage Domhövers über die zwölf Befragungstermine am Gericht, welche sich mit den Aussagen bei der Polizei decken würden, stelle dessen Glaubhaftigkeit unter Beweis. Ein Lügenkonstrukt sei so lange nicht aufrecht zu erhalten. Für den Kronzeugen ist dieses Urteil von hoher Bedeutung, denn, wie er selbst sagte, wird er von den Behörden nur unterstützt, wenn er neues, belastendes Material liefert und eine glaubhafte Aussage vor Gericht macht.

In einem Punkt wich die BAW dann aber doch von ihrem eigenen Zeugen ab. Dieser hatte ausgesagt, dass ihm von einem der Angeklagten ein Auto zu Verfügung gestellt worden sei, um am 14. Dezember 2019 nach Eisenach zu fahren. Auf Nachfrage, ob dieser sein Auto wissentlich für den Angriff auf Leon Ringl verliehen hätte, sagte Domhöver, er gehe nicht davon aus. Die BAW unterstellt hier aber, dass der Angeklagte von anderer Seite, auf unbekanntem Weg, über den Angriff informiert worden sei und wertet die Schlüsselübergabe somit als strafbare Beihilfe. An diesem Beispiel wird die von der Verteidigung kritisierte Beweislastumkehr deutlich. Es ist klar, dass der Angeklagte über die Verwendung seines PKW an dem Abend im Nachhinein erfuhr, denn der Kronzeuge Domhöver war geblitzt worden. Es gibt hingegen schlichtweg keinen belastbaren Beweis dafür, dass der Angeklagte Kenntnis von dem Angriff hatte. Es gibt viel mehr die entgegengesetzte Aussage des Kronzeugen, der sich außerdem regelmäßig besagten Pkw lieh. Und doch behauptet die BAW, der Angeklagte habe im Vorfeld von dem Angriff gewusst.

https://twitter.com/uklinggraeff/status/1643592985106317312
Der Verteidiger Ulrich von Klinggräff kommentierte den Vortrag der BAW auf Twitter.

Hingegen gab die BAW zu, dass die beiden von der Verteidigung vorgelegten Alibis, entlastend zu werten seien. Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ bekräftige auch das nur mittelbare Alibi. In beiden Fällen hatte die Verteidigung die Interpretation von überwachten Gesprächen durch eigene Ermittlungen wiederlegt und vermutlich darauf gehofft, dass die Anklage die Interpretation weiterer Gesprächsmitschnitte überdenken könnte. Dies tat sie explizit nicht.


Titelbild: Solidaritätsbündnis Antifa Ost


Veröffentlicht am 6. April 2023 um 07:00 Uhr von Redaktion in Antifa, Nazis

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