Feminismus

„Schwangerschaftsabbruch: Unser Recht, unsere Entscheidung!“ – Demonstration zum internationalen Safe Abortion Day

3. Oktober 2022 - 16:57 Uhr

Am 28. September – dem internationalen Tag für sichere Schwangerschaftsabbrüche – hatten pro choice Dresden und e*vibes zu einer Demonstration aufgerufen. Zeitgleich mit zahlreichen weiteren feministischen Initiativen in über 50 Städten wurde die Forderung nach Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch stark gemacht. Die aktuelle Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch entmündige Betroffene und verweigere eine würdevolle, selbstbestimmte Entscheidung. Auch die medizinische Versorgungssituation sei zunehmend kritisch, da immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Im Mittelpunkt stand die Forderung nach dem Recht auf kostenlose, wohnortnahe und sichere Schwangerschaftsabbrüche ohne Beratungszwang. Laut pro choice Dresden habe der Druck aus der feministischen Bewegung für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung im Juni für die Streichung des § 219a StGB – dem sogenannten „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche – gesorgt. Nun müsse auch der § 218 gestrichen werden, denn Schwangerschaftsabbrüche seien eine normale Gesundheitsleistung und keine Straftat.

In verschiedenen Redebeiträgen wurde auch die mangelnde Versorgungslage thematisiert. Die Demonstration startete am Diakonissenkrankenhaus, weil dort wie in sehr vielen anderen Kliniken keine Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden. Die Zahl der Einrichtungen, die bundesweit Schwangerschaftsabbrüche durchführen, befindet sich im Sinkflug – von 2.050 Praxen und Kliniken im Jahr 2003, auf aktuell 1.089. Selbst in Kliniken, die Abbrüche anbieten, sind ungewollt Schwangere nicht vor Demütigung sicher, wie eine Recherche der Redaktion CORRECTIV von März 2022 über ein Chemnitzer Krankenhaus zeigt.

In diesem Zusammenhang betonte Ursula Seubert, Landesgeschäftsführerin von Pro familia in Sachsen, dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ohne Zugang zu einem Abbruch für schwangere Menschen außer Kraft gesetzt ist. Sie kritisierte auch den Umstand, dass sich 45 % der Beratungsstellen für Schwangerschaftskonflikte in konfessioneller Hand befinden, während hingegen lediglich 20 % der in Sachsen lebenden Menschen konfessionell gebunden sind.

Eine weitere Station der Demonstration widmete sich einer solchen Beratungsstelle. Es handelte sich dabei um den Kaleb e.V. in der Bautzner Str. 52. Kaleb steht für „Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren“ und die Betreiber*innen sind christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen, zumindest hatten sie noch bis einschließlich 2016 offen Busfahrten zum „Marsch für das Leben“ in Berlin organisiert. Sie bieten Schwangerschaftskonfliktberatungen an, stellen aber keine Beratungsscheine aus. Diese sind allerdings Voraussetzung für einen straffreien Abbruch. Im Redebeitrag wurde der Kaleb daher als „ergebnisunoffene Beratungsfalle“ bezeichnet und die Aberkennung aller Kaleb-Standorte als staatlich anerkannte Schwangerschaftsberatungsstellen gefordert. 

Vor diesem Hintergrund sei die Einrichtung einer Pro familia-Beratungsstelle in Dresden im Mai 2022 ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zugleich würde damit auch eine Forderung der Kundgebung von letztem Jahr umgesetzt. Pro Familia berät ergebnisoffen und unterstützt schwangere Personen unabhängig von ihrer Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft und sei damit eine wichtige Bereicherung in der Beratungsstellenlandschaft.

Women on Web richteten sich in ihrem Grußwort mit aufmunternden Worten an die Demonstrationsteilnehmer*innen. Denn trotz aller Verschlechterungen wie aktuell in den USA bleibt ungewollt Schwangeren zumindestens bis zur 12. Schwangerschaftswoche der Einsatz sicherer „self-managed abortions“ mit den Medikamenten Mifepriston und Misoprostol. Women on Web versorgen ungewollt Schwangere weltweit mit Abtreibungsmedikamenten und Online-Begleitung.

Am Bahnhof Dresden-Neustadt widmete sich ein Redebeitrag nach dem Revidieren des Grundsatzurteils von Roe vs. Wade durch den Obersten Gerichtshof den aktuellen Entwicklungen in den USA. In 14 Bundesstaaten in den USA ist inzwischen ein Totalverbot in Kraft, d.h. ein Schwangerschaftsabbruch ist ausnahmslos verboten, selbst bei Vergewaltigung oder Inzest. In dem Beitrag wurde auch an die Anwesenden appelliert, aktiv für reproduktive Rechte einzutreten – auch um gegenüber der religiösen Rechten, die auch in Deutschland mobil macht, in die Offensive zu kommen.

Das Grußwort von Las Jaibas aus Kolumbien erinnerte daran, dass in anderen Teilen der Welt und insbesondere in Lateinamerika bzgl. reproduktiver Rechte in der jüngsten Vergangenheit große Erfolge gefeiert werden konnten. In Kolumbien beispielsweise können seit Februar 2022 Schwangerschaftsabbrüche bis zur 24. Woche ohne Angabe von Gründen in Anspruch genommen werden.

Die Demonstration führte vom Bahnhof Neustadt über die Augustusbrücke vor die Hofkirche auf dem Schloßplatz für die Abschlusskundgebung. Passend zum architektonischen Setting wurde hier in Redebeiträgen über den Schulterschluss von Kirche und Rechten im Zusammenhang mit dem Berliner „Marsch für das Leben“ berichtet sowie über die globale Vernetzung ultrakonservativer Katholiken, Evangelikaler und Rechtsradikale informiert und welche Gefahr von ihr für die bisher erkämpften sexuellen und reproduktiven Rechte ausgehen. 

Die Queer Pride Dresden ergänzte in ihrem Redebeitrag, dass die antifeministische Allianz der fundamentalistischen Rechten neben den reproduktiven Rechten auch die Rechte von trans Menschen angreift und forderte aus diesem Grund, feministische Kämpfe solidarisch miteinander zu verbinden.

Die Pressesprecherin von pro choice Dresden äußerte sich im Anschluss gegenüber addn zufrieden: „Wir haben den Sprung von der Kundgebung zur Demonstration gewagt und auch wenn sich die Teilnehmer*innenzahl nur wenig erhöht hat, bereuen wir diese Entscheidung nicht, weil es uns wichtig war, unsere Kritik an die konkreten Orten zu tragen.“

In Zusammenhang mit dem internationalen Safe Abortion Day fand am 30. September außerdem ein digitales, international besetztes Podium statt. Unter dem Motto „abortion across borders – abortion without borders“ diskutierten Silvia De Zordo (Spanien),  Krystyna Kacpura (Polen) und Steph Black (USA) über die aktuelle Situation der reproduktiven Rechte in ihren Ländern und Verknüpfungen des transnationalen Abtreibungsreisens. So berichtete Krystna Kacpura von der Organisation Federa, dass sehr viele Frauen aus zahlreichen europäischen Ländern, darunter Schweden, Norwegen, Belgien und Frankreich, nach der Gesetzesverschärfung in Polen im Oktober 2020 ihre Unterstützung angeboten haben. Sie waren in den 1970er und 1980er Jahre für Schwangerschaftsabbrüche nach Polen gereist und wollten nun etwas für die damalige Unterstützung zurückgeben.

Eine ebenfalls auf dem Podium diskutierte Frage war, wie Mediziner*innen stärker für reproduktive Rechte mobilisiert werden können. Denn nicht nur die rechtliche Situation ist entscheidend, sondern auch die tatsächlichen Zugänge zum Schwangerschaftsabbruch. Entsprechende Überlegungen haben hierzulande die Doctors for Choice Germany e.V. angestellt und anlässlich des Safe Abortion Days eine neue Kampagne bekannt gemacht: „Ich mache Abbrüche, und Sie?“ soll mehr ärztliche Kolleg*innen dazu motivieren, selbst an der Versorgung ungewollt Schwangerer teilzunehmen und Abbrüche anzubieten.

Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion steht hier zur Verfügung.

Titelbild: vue.critique


Veröffentlicht am 3. Oktober 2022 um 16:57 Uhr von Redaktion in Feminismus

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