Ökologie

Gekommen um zu bleiben – Waldbesetzung in Ottendorf-Okrilla

22. August 2021 - 18:40 Uhr - 3 Ergänzungen

Seit Mitte letzter Woche besetzen etwa 30 Aktivist:innen ein Waldstück in der Nähe der Kleinstadt Ottendorf-Okrilla bei Dresden. Die Besetzung haben sie „Heibo“ – Heidebogen – genannt und sie sind gekommen, um zu bleiben. Ihr Ziel ist es, die drohende Rodung des Waldes zur Erweiterung der nahegelegenen Grube Würschnitz durch die Kieswerk Ottendorf-Okrilla GmbH & Co. KG zu verhindern.

Es sind nur wenige Meter von den Baumhäusern und Plattformen in den Wipfeln der Bäume bis zur Abbruchkante und die Sonne scheint warm zwischen den Bäumen hindurch. Den Eingang des Camps markiert eine kleine Barrikade aus Holz und Hinweisschilder zum Hygienekonzept auf der Besetzung. Dahinter kommt auf der Linken die Raucher:innenecke, danach die erste Plattform in den Bäumen. Hammerschläge sind zu hören, eine Person wird gerade in die Kletterausrüstung eingewiesen, während andere wiederum Brötchen schmieren.

Innerhalb weniger Tage sei das Camp hier entstanden. Die erste Plattform hätten sie in einer nächtlichen Aktion auf einem Lastenrad her gefahren und dann an einem passenden Baum empor gezogen, sagt uns ein:e vermummte Aktivist:in und lacht dabei. Nun sei alles entspannter und immer mehr Leute kämen hinzu. Zwischen den Baumhäusern sind Hängematten gespannt, am Boden gibt es ein kleines mit Planen überdachtes Essenslager.

Das Kieswerk plane die Rodung einer Fläche, die etwa 190 Fußballfeldern entspreche, sagen uns die Aktivist:innen. Das hätte fatale Folgen für die nahegelegenen Moore, die zwar von den Rodungsarbeiten ausgeschlossen, aber dennoch betroffen seien. Der natürliche Wasserkreislauf im Ökosystem werde gestört. Außerdem würde die an den Kiesabbau anschließende Verkippung der Grube die Moore vergiften. Den Besetzer:innen nach, wird die Auffüllung mit Bauschutt vorgenommen, der zahlreiche Schad- und Fremdstoffe enthalte, die ausgespült und so in die Moore gelangen würden

Die Angst um die Zerstörung der Moore teilt auch ein großes Bündnis von Bürgerrechts- und Umweltgruppen, darunter etwa der Naturschutzbund Deutschland (NABU). In der Berbisdorfer Erklärung bezeichnen sie den laufenden und geplanten Kiesabbau auf einer Fläche von 900 Hektar inmitten einer für Grundwasser- und Klimaschutz äußerst wichtigen Waldlandschaft als zunehmende Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen. Sie befürchten insbesondere eine Verschlechterung der Grundwasserqualität und unterstreichen die Bedeutung des Erhalts von Wäldern, Waldböden und Mooren für den Klimaschutz. Erst nach 40 Jahren nach Ende der Auskiesung, so die Einschätzung der Besetzer:innen, wird sich vielleicht wieder ein Ökosystem entwickelt haben, welches allerdings nicht vergleichbar mit dem jetzigen Wald wäre. Auf die Frage hin, wie alt der Wald denn sei, deutet unser:e Gesprächspartner:in in den Wald. Dort steht ein als Naturdenkmal geschützter Baum, der etwa 240 Jahre alt sei. Der vorherrschende Bestand an Kiefern sehe zwar jünger aus, aber auch nur deshalb, weil Kiefern keine dicken Stämme ausbildeten.

Im Umfeld der Besetzung ist keine Polizeipräsenz zu beobachten, auch keine Security des Kieswerks sei bisher aufgetaucht, wird uns erzählt. Die Besetzung solle sich nicht nur gegen den Kiesabbau richten, sondern mit ihrer Präsenz auch einem Austausch dienen und zu Auseinandersetzungen anregen. Schließlich sei klar, dass auch der Abbau von Rohstoff für Baumaterial benötigt werde. So wie es jetzt läuft, kann es aber nicht weitergehen, sagen die Aktivist:innen. 

Die immer größere Zerstörung der Natur zu Gunsten wirtschaftlichen Profits wollen sie nicht mittragen. Am besten würde die Logik des Kapitalismus noch heute durchbrochen. Statt Umweltzerstörung für Profitinteressen und der Ausbeutung von Arbeiter:innen, setzen sich die Aktivist:innen mit ihrer Besetzung für eine hierarchiefreie und egalitäre Gesellschaft ein. Gemeinsame Treffen, um Gruppenentscheidungen zu fällen, ein Schutzraum für FLINT*A¹ auf einer der Plattformen und nicht zuletzt der respektvolle Umgang mit der Natur sind für sie zentral. In Zukunft wollen sie auch die lokale Bevölkerung einbinden – oder zumindest kennenlernen, Berührungspunkte suchen und Vorurteile abbauen.

Auf dem Weg in den Wald konnten wir in einem der Orte im Vorgarten eines unscheinbaren Reihenhauses eine Reichskriegsfahne hängen sehen. Auf die Frage hin, ob Nazis für sie hier ein Thema seien, antworten die Besetzer:innen, ja schon. Natürlich ist ihnen klar, dass das hier nicht das Rheinland sei. Nach Angriffen auf eine Waldbesetzung im sachsen-anhaltinischen Seehausen, hätten die Aktivist:innen auch hier darüber gesprochen, wie sie mit Provokationen und Angriffen umgehen sollten. Auch bei Protesten von Ende Gelände in der weiter nördlich gelegenen Lausitz waren 2016 Klimaaktivist:innen von Nazis angegriffen worden. Wir lassen uns nicht einschüchtern, ist die einhellige Position der Besetzer:innen bei Würschnitz. 


¹ Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans-, agender Personen


Veröffentlicht am 22. August 2021 um 18:40 Uhr von Redaktion in Ökologie

Ergänzungen

  • Im Falle von „eine vermummte Aktivist:in“ kann man den „:“ auch weglassen. Über Satzbau und Lesbarkeit macht sich auch keiner mehr Gedanken. Andernfalls wäre „eine:r vermummte:r Aktivist:in“ sinnvoller.

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