Ökologie

Proteste gegen sächsische Kohle- und Klimapolitik

6. Juni 2023 - 03:42 Uhr

Ein Bündnis aus Klima- und Umweltschutzgruppen protestierte am 7. Mai in Nochten für einen früheren Ausstieg aus der Braunkohle und gegen die sächsische Klimapolitik. Diese blockiert beim Klimaschutz im bundesweiten Vergleich besonders stark. Zudem fördert der sächsische Ministerpräsident eine breite Ablehnung in der Bevölkerung weiter. Eine weitere Demonstration ist am 25. Juni geplant.

Für den 7. Mai hatten verschiedene Umweltverbände und Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung zu Protesten gegen den Braunkohleabbau bis Ende der 2030er Jahre in der Lausitz aufgerufen. Gegen Mittag versammelten sich in Schleife nahe des Tagebaus in Nochten mehr Menschen als von den Organisator:innen erwartet worden waren. In dem kleinen Ort kamen etwa eintausend Aktivist:innen und lokale Akteur:innen zusammen, um gegen die klimaschädliche sächsische Kohlepolitik zu demonstrieren, darunter Mitglieder der Grünen Liga, des BUND einschließlich dessen Jugendorganisation, Fridays for Future, Alle Dörfer bleiben, Greenpeace, Klima Allianz Deutschland, Parents for Future, Serbski Sejm und Jugendorganisationen verschiedener Parteien. Die Versammlung lief von Schleife auch zum Tagebau Nochten.

Statt einen klimapolitisch notwendigen schnellstmöglichen Ausstieg aus fossilen Energien zu forcieren will Sachsen besonders lange an der Braunkohle zur Energiegewinnung festhalten. Obwohl die Braunkohle mit einem Kohlenstoffdioxidausstoß von 1.093 Gramm pro Kilowattstunde erzeugtem Strom (CO2/kWhel) der klimaschädlichste aller Energieträger ist und auch in Sachsen die Klimakrise längst angekommen ist, sollen nach Plänen des Energiekonzerns LEAG noch etwa 270 Millionen Tonnen Kohle im Tagebau Nochten gefördert werden.

Die Teilnehmer:innen des Protests forderten daher einen früheren und 1,5 Grad kompatiblen Kohleausstieg, einen sozial gerechten Strukturwandel in der Lausitz sowie den Erhalt eines durch den Tagebau Nochten bedrohten Waldes und des Dorfes Mühlrose. Dazu müsse eine nachhaltige Wertschöpfung und zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen, erneuerbare Energien dezentral ausgebaut werden und der Kohleausstieg in der Lausitz wesentlich früher erfolgen. Auf einer Bühne sprach unter anderem Luisa Neubauer sowie Vertreter:innen der sorbischen Minderheit, die bisher besonders stark unter dem Abbau der Braunkohle zu leiden haben.
Neubauer kritisierte den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer deutlich, da er selbst Stimmung gegen Klimaschutzmaßnahmen mache und sich mit seiner Anti-Haltung respektlos gegenüber der jungen Generation zeige, indem er ihr mit seiner Politik jegliche Perspektive nehme.
Hagen Domaska schilderte für den Serbski Sejm wie der Braunkohleabbau bisher 130 Dörfer zerstört, Flüsse vergiftet und ausgetrocknet und Wiesen und Felder in Abraum umgewandelt habe. Auch sie forderte den Erhalt des Dorfes Mühlrose. 

Der Protest wurde zeitlich in die aktuelle Verhandlungsphase zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium mit dem sächsischen Kohlekonzern LEAG über einen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung in der Lausitz gelegt. Das Verhandlungsziel der Grünen ist die Umsetzung der Beschlüsse aus dem Koalitionsvertrag den „Kohleausstieg idealerweise 2030“, vor dem Beginn der Landtagswahlkämpfe in Brandenburg und Sachsen im nächsten Jahr. Jedoch hatten Arbeitnehmervertreter von LEAG ihre Ablehnung des Beschlusses zum Kohleausstieg von 2030 bereits im März durch ihre Abwesenheit von der Fraktionsklausur der Grünen ausgedrückt.

Versammlung am 7. Mai. Quelle: PfF DD
Versammlung am 7. Mai in Schleife bei Nochten. Bildquelle: PfF DD

Sachsen gegen Kohleausstieg 2030 

2020 hatte sich die schwarz-rote Bundesregierung mit dem Kohleausstiegsgesetz auf eine „schrittweise Reduzierung der Erzeugung elektrischer Energie durch den Einsatz von Kohle“ bis 2038 geeinigt.
Die Ergebnisse der Verhandlungen dazu wurden dabei oft „Kohlekompromiss“ genannt, unter anderem weil einerseits Energiekonzerne erwartungsgemäß an ihren Geschäftsmodellen so lange wie irgend möglich festhalten, jedoch aus klimawissenschaftlicher Perspektive der Ausstieg viel zu spät und zu langsam geplant wurde.
Nach der Bundestagswahl 2021 hatte sich die neue Regierung aus SPD, FDP und Grünen gebildet und im Koalitionsvertrag vereinbart, den Kohleausstieg „idealerweise“ um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Seit dem wehrt sich Sachsen jedoch gegen dieses Ziel .

Eine Ende April von Wissenschaftler:innen der Europa-Universität Flensburg (EUF) und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) vorgestellte Studie zeigte jedoch, dass die Kraftwerke bereits ab 2024 gedrosselt und spätestens 2030 abgeschaltet werden müssten, um die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens von 2015 einhalten zu können. Die Auslastung der Kohlekraftwerke in der Lausitz müsse ab sofort jährlich um 25 Prozent gedrosselt werden oder aber der Kohleausstieg bis zum Jahr 2026 abgeschlossen sein.  
Auch eine von BUND Sachsen Mitte April veröffentlichte Studie im Auftrag des unabhängigen Forschungsinstituts Energy Brainpool belegt die Notwendigkeit eines Kohleausstiegs bis 2030 und zeigt, wie die aktuellen Kohleausstiegspläne das deutsche Klimaschutzgesetz boykottiert .
Eine weitere Studie von Agora Energiewende führte zudem die Verfehlung der Klimaziele Deutschlands auf den verstärkten Einsatz von Kohleverstromung als Gasersatz zurück .

Obwohl Deutschland im letzten Jahr wegen hoher Preise etwas Energie eingespart hatte, wurde der Klimaeffekt der Einsparungen durch die Nutzung fossiler Energien wieder zunichte gemacht. 2022 hatte Deutschland mit der Erzeugung von über 760 Millionen Tonnen CO2 seine selbstgesetzten Ziele um 5 Millionen Tonnen überschritten.
Trotz verschiedener Nachweise, dass ein gesamtdeutscher Kohleausstieg bis 2030 bei sinkenden Strompreisen und gleichbleibender Versorgungssicherheit möglich ist, trotz vorhandener Ausstiegskonzepte für die verschiedenen Kohleregionen Deutschlands und gar konkreter Pläne für die Energiewende in der Lausitz weigert sich Sachsen bisher über einen früheren Ausstieg aus der Braunkohle vor 2038 ernsthaft zu diskutieren.

Schließlich wären wir nicht in Sachsen, wenn nicht der rückwärtsgewandte Kampf um das Bestehende, das durch die Klimakrise sowieso nicht erhalten werden kann, nicht dafür sorgen würde, dass aktuelle und zukünftige Entwicklungen sowie wissenschaftliche Tatsachen weiterhin ignoriert werden.

Sächsische Kohlepolitik ignoriert Auswirkungen der Klimakrise

Obwohl ein geplanter Kohleausstieg bis 2038 nachweislich nicht ausreicht das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten, sind in Sachsen dennoch Teile der SPD und fast die gesamte CDU gegen einen vorzeitigen Kohleausstieg. Politiker:innen beider Parteien versuchen die Öffentlichkeit mit der Angst vor einem drohenden Strukturwandel gegen einen vorgezogenen Kohleausstieg aufzubringen, um zu verhindern, dass am Ausstiegsdatum 2038 gerüttelt wird. 

Die Wirtschaftspartei FDP ist zwar in Sachsen in der Opposition, zeigt sich entsprechend ihrem bisherigen politischen Profil in der Ampelregierung aber auch hier besonders uneinsichtig. Statt politische Macht auf den eigenen Einflussbereich auszuüben, wird auf andere Länder wie China verwiesen. Damit wird die Verantwortung im eigenen politischen Zuständigkeitsbereich abgegeben und tatsächliche Einflussmöglichkeiten verleugnet. Auch hier scheint das Hauptziel der FDP die Durchsetzung von Profitinteressen vor allen anderen Interessen auf Kosten der nachfolgenden Generationen, der Natur und des gesamten Planeten.
Statt schnelle wie notwendige gesellschaftliche Transformationsprozessen umzusetzen, um die Klimakrise auszubremsen, wird hier die Herrschaft des Kapitals über alle Interessen hinweg besonders anschaulich. Trotz der Forderung von Klimawissenschaftler:innen die Subventionierung und den Abbau fossiler Energien sofort einzustellen, trotz der Zerstörung der Landschaft, der Verschmutzung der Gewässer, der zunehmenden Trockenheit in der Region und der Vertreibung von Menschen einer kulturellen Minderheit, der sogar der letzte sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich angehörte und der dennoch nichts gegen die weitere Zerstörung der sorbischen Dörfer unternahm, setzt sich hier das vorherrschende Ziel des finanziellen und kurzfristigen Profits durch, das die Zukunft aller Lebewesen auf dem Planeten aufs Spiel setzt.

In der Lausitz wird für ein bißchen Profit und 3.000 Arbeitsplätze, die 1,5 Prozent der Beschäftigten in der sächsischen Lausitz im Bergbau ausmachen und die zwangsläufig sowieso auslaufen, nicht nur die Klimakrise vorangetrieben, sondern sogar die aktuellen sichtbaren Veränderungen nicht in den Zukunftsplänen berücksichtigt. Denn Sachsen ist seit Jahren messbar vom Klimawandel betroffen und wird in absehbarer Zeit trockener und heißer werden. Und in der Lausitzer Region ist das Problem noch größer. Denn bereits ohne zunehmende Hitze und Trockenheit durch den Klimawandel ist der Wasserhaushalt durch den Braunkohleabbau seit Jahrzehnten schwer gestört. Viele Flüsse führen nur noch die Hälfte Wasser, einige gar nichts mehr und die geplanten Seen, die durch die Füllung der Tagebaue entstehen sollen, werden wegen dem zunehmenden Wassermangel langfristig nicht gefüllt werden können. Auch die neu geplanten Industrieansiedlungen im Zuge des Strukturwandels können nicht durchgeführt werden, ohne die bereits vorhandene Wasserknappheit und damit auch andere Probleme vor Ort zu verschärfen. 
Da in den bisherigen 40 Milliarden Euro für den bundesweiten Strukturwandel kein Geld für das Wasserproblem enthalten sei, bleibt fraglich, ob verantwortliche Politiker:innen und Planer:innen die Entwicklungen in der Region kennen und die Bedeutung von Wasser als Grundlage aller menschlichen Siedlungs- und Infrastrukturprojekte überhaupt verstehen. Wenn die immer stärker werdene Wasserkrise nicht in allen Planungen berücksichtigt wird, wer plant solche Projekte? Welche Kompetenzen haben diese Menschen?

Zudem seien die Effekte der 17 Milliarden Euro des Bundes für den Strukturwandel des Lausitzer Reviers auf sächsischer und brandenburgischer Seite eher überschaubar. Die zwei Großforschungseinrichtungen, die nach Sachsen kommen sollen, existierten bisher nur auf dem Papier.
Bisher ist nicht nachvollziehbar wie der Strukturwandel mit den geplanten Seen und großen Ansiedlungen umsetzbar ist. Beispielsweise werden laut Grüner Liga für den Ostsee bei Cottbus, der mit 19 Quadratkilometern Fläche der größte künstliche See Deutschlands werden sollte, 256 Millionen Kubikmeter Wasser benötigt, das  überwiegend aus der Spree kommen soll. Jedoch führt auch diese schon länger regelmäßig Niedrigwasser wegen fehlender Niederschläge. 
Inzwischen sind die Pläne auch juristisch ausgebremst worden.

Ohne Wasser kann weder Gewerbe noch die geplanten wissenschaftlichen Institutionen oder die vor Ort lebende Bevölkerung existieren. Stattdessen sollten die Erkenntnisse der Klimawissenschaft zur Einsicht befähigen, dass die Gegend irgendwann ohnehin zu trocken und zu heiß wird, um in mehreren Jahrzehnten dort menschliche Ansiedlungen mit lokaler Wasserversorgung zu garantieren, geschweige denn viel zu große Infrastrukturprojekte zu planen oder durch unnötig lange bestehenden Braunkohlebergbau die Probleme weiter zu eskalieren.

Sächsischer Ministerpräsident fördert aggressive Proteste 

Um an der Braunkohle festzuhalten wird in Sachsen von den mächtigsten politischen Personen auch auf die Förderung von Ängsten und nicht belegbare Bedrohungsszenarien gesetzt.

Wiederholt fiel der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer mit emotionalen Abwehrreaktionen gegen die bereits sehr schwachen Kompromisse einer nicht zukunftsfähigen Klimapolitik auf. Dabei grenzen seine Aussagen auch an Desinformationskampagnen, wenn über drohende Blackouts spekuliert wird, obwohl diese nach mehreren oben benannten Gutachten durch den Kohleausstieg bis 2030 nicht zu erwarten sind. Wenn er wiederholt von Energiekrise redet schürt er soziale Ängste vor steigenden Preise und nicht bezahlbaren Energierechnungen. 
Doch er fördert nicht nur Ängste sondern redet auch einen Widerstand in der Bevölkerung herbei, der reaktionäre und gewaltaffine Kräfte eher motiviert, statt sie zu verurteilen. In seiner Kritik am Gebäudeenergiegesetz warnte er vor „Aufruhr in der Bevölkerung“ wegen den Ampel-Klimaplänen.
Hier die gleiche Situation: Obwohl die Klimaschutzpläne der Regierung laut Expert:innen unzureichend sind und der Großteil der Kosten für Hausbesitzer:innen vom Staat übernommen werden sollen, wehrt Kretschmer den Gesetzesentwurf ab, ebenso wie die FDP, die sich mit ihrem Heiligtum vom Schutz des Eigentums ebenfalls der Realität verweigert. 

Kretschmer warnt vor „Aufruhr“, obwohl ihm die sozialen Effekte solcher Prophezeihungen bekannt sein müssten. Solche scheinbar spekulativen Aussagen sind keine harmlosen orakelhaften Glaskugel-Wahrsagungen, sondern fördern selbst die eigenen Voraussagen.
Sie bestätigen Menschen in ihren wütenden Emotionen über die Klimapolitik und ermutigen damit vor allem das Spektrum Derjenigen, die die Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen bisher wenig einsehen oder ganz ablehnen. Diese Bestätigung von Emotionen, die sich in aggressiven Meinungsäußerungen in den sogenannten Sozialen Medien oder teils gewalttätigen Straßenprotesten äußern, fördern zudem die breite Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen, die irgendeinen spürbaren Effekt auf die Alltagsabläufe von Menschen haben. Mit dem geäußerten Verständnis für die emotionalen Abwehrhaltungen, die sich in Aufständen kanalisieren würden, wird Aggression, Wut und Gewalt diskursiv gerechtfertigt, die von Gegner:innen von Klimaschutzmaßnahmen ausgeht. Damit dient die Prophezeihung der vorwegnehmenden Legitimierung solcher Aufstände ganz im Sinne der eigenen politischen Haltung.  Zudem sind die gewaltfördernden Effekte von geäußerten Verständnis für Wut und Aggression bei den aktuellen Protesten der Letzten Generation zu beobachten. Politiker:innen und konservative Medien von Welt bis Bild haben durch ihre Verurteilung dieser harmlosen Form von passiven Widerstand, einseitiger Aussagen bis juristisch falscher Bewertungen zur Strafbarkeit der Aktionen sowie des Notwehrrechts die Gewalt gegen die Aktivist:innen gefördert und aggressive Autofahrer:innen zur Selbstjustiz ermutigt

Mit dieser Form der Orakelei zur eigenen Profilierung und zur Gewinnung von Wähler:innenstimmen verstärkt Kretschmer nicht nur die Ablehnung von Klimaschutz generell, sondern bedient sich auch an einer der Hauptstrategien der Neuen Rechten: Die Instrumentalisierung sozialer Ängste und die Inszenierung als Kümmerer und Versteher der reaktionären Teile der Bevölkerung, die an etwas festhalten, was ohnehin nicht zu bewahren ist.
Diese Förderung reaktionärer Abwehrreaktionen im Namen des Konservatismus hat in Sachsen Tradition und ist spätestens seit PEGIDA immer wieder zu sehen. Statt gegen Vorurteile, Diskriminierung oder die grundsätzliche Ablehnung von notwendigen Veränderungen zu argumentieren, werden sie zu legitimen „Sorgen“ und „Nöten“ umgedeutet. Die Abgrenzung dieser Strategie von reiner Desinformation ist schwierig. Damit trägt diese Strategie zur Spaltung von Befürworter:innen und Gegner:innen bei. Und sie ist besonders dazu geeignet, demokratischen Institutionen und Prozessen erheblichen Schaden zuzufügen. 
Die Klimagerechtigkeitsbewegung muss also besonders in Sachsen stark bleiben und wohl ihre Proteste ausweiten, wenn es mit der Energiewende vorangehen soll. 

Die nächste Demonstration für einen klimagerechten Ausstieg aus der Kohle im Osten ist für den 25. Juni am  Tagebau Welzow angekündigt.

Alle Bilder von Parents for Future DD.


Veröffentlicht am 6. Juni 2023 um 03:42 Uhr von Redaktion in Ökologie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.