Soziales

Bettellobby will Rechte von BettlerInnen stärken

4. September 2017 - 18:50 Uhr - 3 Ergänzungen

In Dresden hat sich eine Bettellobby gegründet. Das Netzwerk besteht aus verschiedenen Initiativen u.a. der Gruppe gegen Antiromaismus, dem Flüchtlingsrat Sachsen, der gruppe polar, RomaRespekt, Romano Sumnal – Roma-Verein-Sachsen sowie der FAU Dresden und möchte nach dem Vorbild der Bettellobby Wien eine Gegenstimme in der gegenwärtigen Diskussion um das geplante Bettelverbot sein. Die Bettellobby Dresden kritisert die Debatte als autoritär und diskriminierend gegenüber Armen und insbesondere Roma. Derzeit steht das Verbot von Betteln mit und durch Kinder zur Debatte. Offenbar ist aber den Akteuren, die sich für ein Verbot aussprechen, wie etwa Ordnungsbürgermeister Sittel, nicht vordergründig am Kindeswohl gelegen, sondern vielmehr werden bettelnde Menschen als störend empfunden. Nicht anders lässt sich das Interview interpretieren, das Sittel der Sächsischen Zeitung gab, in dem er ganz offen seine Hoffnung formulierte, mit dem Verbot eine „örtliche Verdrängung in andere Städte“ zu erreichen.

Die Bettellobby hingegen hat sich zum Ziel gesetzt, Bettelverbote in Dresden zu verhindern. Das Netzwerk solidarisiert sich mit Menschen, die betteln müssen und betont, dass Betteln zu können, die eigene Not zu äußern, ein Menschenrecht darstellt. Um das Menschenrecht dennoch einschränken zu können, greifen Stadtverwaltungen zum Instrument der Polizeiverordnung. In der neuen Verordnung, die dem Dresdner Stadtrat am 19. September zur Diskussion vorgelegt werden soll, heißt es: „Wer in Begleitung eines Kindes bettelt oder Kinder betteln lässt“, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Dafür drohen bis zu 1.000 Euro Bußgeld.“

Die gruppe polar weist in ihrem Statement auf die Zwänge hin, die zugewanderte Rom*nja, andere Südosteuropäer*innen und deren Kinder unterliegen. „Sie haben ohne Meldeadresse keinen Anspruch auf Schule und Kita. Ohne Arbeitsvertrag können sie keine Wohnung mieten – und haben folglich keine Meldeadresse. Aufgrund der Diskriminierung erhalten Romn*ja keine Arbeit mit Sozialversicherung, mit Arbeitsrechten und Arbeitsschutz. Nun stehen Bettler*innen da und haben ihre Kinder dabei. Aber wo sollen die Kinder denn sonst bleiben?“

Die grüne Stadträtin Tina Siebeneicher, Sprecherin für Asyl, Migration und Jugendpolitik fordert, dass bei der Debatte um ein mögliches Bettel-Verbot im Mittelpunkt stehen sollte, ob damit den betroffenen Kindern tatsächlich geholfen wird. Die Familienmitglieder – jung wie alt – betteln aus Armut. Deshalb sollten bei den Beratungen zur Polizeiverordnung auch die Möglichkeiten ausgelotet werden, diese Gruppe von EU-Bürgern gezielt zu unterstützen.

Petra Sejdi von Romano Sumnal – dem Verein für Roma in Sachsen macht ebenfalls deutlich, dass in der Debatte um das Bettelverbot niemand über Möglichkeiten spricht, wie die Situation bettelnder Menschen grundlegend verbessert werden kann. Sie verweist auf Beratungsstellen, wie es sie z.B. in Berlin gibt, die gemeinsam mit den Betroffenen prüfen, welche Hilfen ihnen zustehen, um nicht betteln zu müssen. Um den Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen gibt es – ebenfalls in Berlin – die Möglichkeit die Kinder an einer zentralen Adresse zu melden. Da in der Dresdner Debatte soziale Hilfsangebote nicht erwogen werden, sondern das ordnungspolitische Durchgreifen im Mittelpunkt steht, vermutet Sejdi einen allseits verbreiteten Antiromaismus in Politik und Verwaltung.

Auch die Gruppe gegen Antiromaismus kritisiert dass die Debatten um Betteln und Straßenmusik mit antiromaistischen Vorurteilen gespickt sind: „Sinti und Roma sind immer wieder Gegenstand der Berichterstattung. Ob im Zusammenhang mit der Migration aus neuen EU-Ländern nach Deutschland, mit Betteln, Straßenmusik, mit Kriminalität oder im Zusammenhang mit Kulturveranstaltungen: Selbst in gut recherchierte Medienbeiträge schleichen sich oft stereotype Bilder, Ungenauigkeiten und Fehler ein. Sobald es um die größte Minderheit in Europa geht, ist es scheinbar leicht, ins Fettnäpfchen zu treten.“

Die gruppe polar führt in ihrem Beitrag aus, dass bettelnde Menschen als Belästigung empfunden werden, weil sie Armut sichtbar machen. Selbst wer rund um die Uhr arbeitet, ist vor Armut nicht gefeit. Während die Bundesregierung die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als Erfolg feiert, sind immer mehr Menschen gezwungen, in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs ihr Geld zu verdienen. Obwohl die Wirtschaft in Deutschland wächst und die Arbeitslosigkeit sinkt, steigt die Armutsquote, insbesondere bei kinderreichen Familien, Arbeitslosen, Alleinerziehenden, ­Migrant*innen und Rentner*innen. Menschen in existentieller Not sind daher im Straßenbild häufiger geworden. Menschen die Pfandflaschen sammeln, betteln oder im Freien Übernachten. Sie tragen nicht die Schuld für ihre Situation. Und dennoch ist die Abscheu gegenüber armen Menschen und das Bedürfnis sie für ihre Armut zu bestrafen, weit verbreitet und äußert sich zudem immer häufiger durch Gewalt, der besonders Wohnungslose schutzlos ausgeliefert sind.

Die Bettellobby Dresden betont: „Betteln will niemand, aber erlaubt muss es sein. Nicht Kosmetik und Repression in Notsituationen, sondern eine wirklich unterstützende Sozialpolitik muss her. Wir appellieren an Solidarität und Menschenliebe und für eine Stadt, die sich mit den Schwachen solidarisiert und genug Platz für alle hat.“ Gegen die neue Polizeiverordnung und gegen den Kampf gegen Arme (statt Armut) organisiert sie eine Veranstaltungsreihe.


Veröffentlicht am 4. September 2017 um 18:50 Uhr von Redaktion in Soziales

Ergänzungen

  • Betr.: Presseanfrage für Artikel zur Bettlerlobby in der Tageszeitung Neues Deutschland

    Liebe Leute von der Bettellobby,

    ich will für das ND einen Artiel über Eure Initiative schreiben und habe dazu einige Fragen aufgeschrieben. Es würde mich freuen, wenn Ihr mir die Antworten schnell zurück schicken könntet, möglichst bis Anfang nächster Woche. Für fernmündliche Kontakte habe ich meine Handynummer angegeben.

    Danke im Voraus und kollegiale Grüsse

    Peter

    Hier die Fragen.

    1..) Was war der unmittelbare Anlass für Eure Gründung. Gibt es aus der Politik eine Kampagne gegen Bettler_innen?
    2.) Was ist Eurer Ziel?

    3.) Ist es denn für eine emanzipatorische Linke sinnvoll eine Lobby für Bettler_innen zu gründen und nicht vielmehr gegen die Verhältnisse anzugehen, die Menschen zum Betteln zwingen?

    4.) Welche Rolle spielt in Eurer Arbeit, dass meistens Bettler_innen aus Osteuropa Ziel der Hetze sind, während sich rechte Parteien als Unterstützer_innen für „deutsche Bettler_innen“ aufspielen?

    5.) Welche Aktionen plant Ihr in der nächsten Zeit?

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