Soziales

Mehr Klassenkampf wagen: Auftaktrally zur Kampagne „Genug ist genug!“

14. November 2022 - 17:41 Uhr - Eine Ergänzung

Blick auf eine Bühne, davor viele Menschen. Auf der Bühne ein Transparent mit der Aufschrift "Genug ist genug!"

Um kurz nach 18 Uhr waren alle Plätze im Richard-Teichgräber-Saal im Volkshaus belegt: Eilig wurden weitere Bänke herangeschafft, damit alle Gäste an der „Rally“ genannten Auftaktveranstaltung der „Genug ist genug“-Kampagne in Dresden teilnehmen konnten. Und dann ging es auch schon los: Dem Vorbild der britischen „Enough is enough“-Kampagne folgend, hatten in den nächsten 90 Minuten diejenigen das Wort, die von der derzeitigen Preisanstiegen besonders schwer getroffen sind. Wer deswegen niedergeschlagene Stimmung erwartet hatte, sah sich getäuscht. Stattdessen trafen oft persönliche wie auch kämpferische Reden auf konkrete Mitmachangebote.

Annika, Lieferando-Fahrerin und NGG-Gewerkschaftsmitglied berichtete eindringlich von den alltäglichen Herausforderungen: „Ich liefere Pizza, die ich mir selbst nicht leisten kann, weil die Pizza teurer ist als mein Stundenlohn als Fahrerin.“ Sie problematisierte, dass diese Niedriglöhne vom Staat etwa mit Wohngeld subventioniert werden, obwohl doch zuallererst Lieferando in der Pflicht wäre, angemessen zu bezahlen. Die Fahrerin erklärt, dass hierzulande arm zu sein, nicht so schlimm ist, wie in anderen Ländern, dennoch gilt: „Armut wird vererbt“. Und das ist ein Problem, schon wegen der damit verbundenen zeitraubenden, alltäglichen Unsicherheit und der zermürbenden Bürokratie. „Ich will weniger Angst haben, dass der Laptop kaputt geht.“ Sie wünschte sich, dass sich die Leute zusammentun und sich gegen die Verhältnisse zur Wehr setzen. Dafür brauche es keinen starken Anführer: „Lasst uns die Ellenbogen einfahren und nicht nach unten, sondern nach oben treten!“

Dorit, Sozialarbeiterin am Städtischen Klinikum, thematisierte das derzeitige Ringen darum, Hartz 4 durch ein so genanntes Bürgergeld zu ersetzen. Obwohl die Verbesserungen nicht ausreichend seien, geht der rechte Block auf die Barrikade: „CDU/CSU wollen Sanktionen und die AfD fordert sogar Zwangsarbeit.“ Dorit findet es ärgerlich, dass sich etwa die SPD angesichts solcher Absurditäten immer noch gesprächsbereit zeige. Dies passe auch nicht zu den Appellen der Bundesregierung, welche Solidarität einfordert. Die gelte jedoch oft nur einseitig und fordere vor allem Verzicht von Leuten, die eh schon wenig hätten. Wütend mache sie, dass Konzerne ungeachtet dessen, weiter daran verdienen. Solidarität müsse hingegen heißen, sich zusammen zu tun: „Solidarität heißt Arbeitskämpfe und Streiks zu organisieren.“

Said ist Student der Sozialen Arbeit und seit 2015 Dresdner. Er berichtete über die Schwierigkeiten von Personen mit Fluchterfahrungen: „Es reicht einen nicht-deutschen Namen zu haben, um weniger Geld zu verdienen oder eine Wohnung zu finden.“ Als Student sei es zudem schwer, neben dem Vollzeitstudium ausreichend Geld zu verdienen. „400 Euro für eine Wohnung? Das ist utopisch!“, sagt der angehende Sozialarbeiter. Said beklagte zudem den Umgang mit Asylsuchenden, die oft jahrelang in Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen müssen: „Die dürfen nicht arbeiten, obwohl sie wollen. Das muss geändert werden!“

Joseph ist Betreiber des Kaffee Konkurs. Er hat das Café gerade erst mit Hilfe zahlreicher Unterstützer*innen geöffnet: „Es braucht Orte zum Zusammenkommen, gerade in schwierigen Zeiten.“ Ziel mit dem Café sei es, sowohl physische aber auch finanzielle Barrieren abzubauen: „Auch Menschen mit wenig oder kein Geld sollen bei uns einen Kaffee trinken können.“ Jetzt wird es aber immer schwieriger: „Die Miete steigt, der Strom wird teurer, der Wareneinkauf auch.“ Preiserhöhung bedeutet, Menschen auszuschließen: „Ich will das nicht, sondern solidarische Umverteilung im kleinen.“ Dass reicht aber nicht, macht Joseph klar: „Das Problem heißt Kapitalismus und es ist an der Zeit auf die Straße zu gehen.“ Das Café Konkurs wolle er deswegen als Ort für ein Protestcafé zur Verfügung stellen.

Anne ist ausgebildete Intensivkrankenpflegerin und studiert heute noch einmal. Sie war bis vor einem Jahr noch Teil der Berliner Krankenhausbewegung, welche mit 33 Tagen Streik einen Entlastungstarifvertrag erkämpft hat. In der Anfangszeit der Pandemie habe es geheißen, u.a. die Pflegekräfte seien systemrelevant. Das gelte aber nur, sagt Anne, solange bis du Forderungen stellst. „Ich bin nicht so systemrelevant um zu entscheiden, wie mein Arbeitsumfeld aussehen müsste, um qualitativ gute Arbeit zu leisten.“ Das Krankenhaussystem habe sie gebrochen. Aufgeben will sie aber keineswegs. Vielmehr müssten sich die Menschen organisieren: „Lasst uns die Politik zwingen, uns zuzuhören. Lasst uns etwas beweisen in den Betrieben und auf den Straßen: Genug ist genug!“

Die Reden stießen auf breite Zustimmung und wurden von den über 120 Menschen im Saal kräftig beklatscht. Am Saalmikrofon meldeten sich weitere Menschen zu Wort. Darunter eine Friday-For-Future-Aktivistin, die erklärte, dass sie die krummen Deals der Politik nicht mehr wolle. „Einem Schritt in die richtige Richtung, folgen drei Schritte in die falsche.“  Etwa wenn das 9-Euro-Ticket durch ein 49-Euro-Ticket ersetzt wird. Eine Rednerin von „Herz statt Hetze“ betonte mit Blick auf die rechten Proteste: „Die Parole ‚Unser Land zuerst‘ ist für die gemacht, die genug haben.“ Ein Student störte sich daran, wie viele Dinge mittlerweile einfach akzeptiert werden: „Wir müssen Sachen verändern.“ Entsprechend habe er sich sehr gefreut, als er auf dem Weg in die Uni die „Genug ist genug!“-Plakate gesehen hat. Eine Person fragte nach den nächsten Schritten: „Wir brauchen eine soziale Bewegung auf der Straße? Wie kommen wir dahin?“

Eine Frage, auf die die Organisator*innen gewartet hatten. Drei Angebote wurden vorgestellt, für die Unterstützer*innen gesucht werden. Es geht unter anderem um die Frage, wie Kolleg*innen im Betrieb aktiviert werden können und mit welchen Angeboten „Genug ist genug“ in der Stadt bekannter gemacht werden könnte. Viele der Anwesenden trugen sich noch vor Ort in die Listen ein, um die Aktionen auch in Zukunft zu unterstützen.


Veröffentlicht am 14. November 2022 um 17:41 Uhr von Redaktion in Soziales

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