Antifa

Gedenken an die Novemberpogrome 

16. November 2022 - 14:37 Uhr - 3 Ergänzungen

Am 9. November fanden in Dresden zahlreiche Veranstaltungen in Erinnerung an die Novemberprogrome im Jahr 1938 statt. Die Stadt Dresden und die Jüdische Gemeinde zu Dresden gedachten am Nachmittag an der Gedenkstele am Hasenberg der Zerstörung der alten Semper-Synagoge und der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen:Juden durch die Nationalsozialist:innen. Neben Oberbürgermeister Dirk Hilbert sprach Michael Hurshell, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, und Hildegart Stellmacher von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. Kantor Eliya Schwarz sprach das „El male Rachamim“ und das Kaddisch.  

Anschließend führte ein Gedenkrundgang über das Stadtmuseum Dresden, wo aktuell eine Ausstellung zu Lea Grundig im Außenraum gezeigt wird, die Sporergasse, in der sich ein so genanntes Judenhaus befunden hat, über den Kulturpalast mit dem Stolperstein für Robert Eger zum Alten Leipziger Bahnhof. 

Dort hatte in der Installation des Instituts für Räumliche Resilienz ein breiter Zusammenschluss um 11 Uhr ein Pop-up Dokumentationszentrum errichtet. Anliegen dieser historiografischen Aktion war es, die Notwendigkeit eines Dokumentationszentrums zum Nationalsozialismus in Dresden zu illustrieren. Die Aufbewahrung bisheriger Rechercheergebnisse erfolge aktuell bei jüdischen Organisationen, zivilgesellschaftlichen Initiativen, lokalen Historiker:innen und Akteur:innen der Erinnerungskultur. Die Resultate der Sammlungen und Forschungen sollen an einem zentralen Ort zusammengeführt werden. Es gehe darum, Interessierten einen Zugang zu Informationen und Dokumenten zu erleichtern.

In einem zukünftigen Dokumentationszentrum solle daher Platz sein für ein Archiv, für Forschung, für Ausstellungen und für offenen Fragen an die Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus – die Opfer, die Täter:innen, die Tatorte, die Verstecke, die Zeug:innen, die Widerständigen u.v.m. Dies fordert ein Zusammenschluss aus dem Archiv zum Buch der Erinnerung, dem Archiv des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, audioscript und HATiKVA e. V.

Darüber hinaus fanden vielerorts weitere Gedenkrundgänge, oft in Verbindung mit dem Putzen von Stolpersteinen, statt. Die Fan-Initiative 1953international gedachte in direkter Nähe zur Schauburg, dem Gründungsort der Sportgemeinschaft, mit Blumen und Kerzen der Familie Urbach und Nathan Arthur Levi

Der Einladung der Antifaschistischen Initiative Löbtau (A.I.L) zu einem Gedenkweg durch Löbtau und Friedrichstadt folgten etwa 50 Personen. Auf dem Rundweg wurde an die Familie Steinhart erinnert, die in der Kesselsdorfer Straße das Kaufhaus Steinhart betrieben hatte. Ein großer Teil der Familienmitglieder wurde in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. Nur Emma Steinhart und Werner Steinhart gelang die Flucht in die USA. Weitere Stationen des Rundganges waren die ehemalige Jüdische Schule in der Fröbelstraße und der Standort der so genannten Städtischen Entseuchungsanstalt in der Fabrikstraße, in der die letzten noch in Dresden verbliebenen Jüdinnen:Juden im November 1942 entwürdigenden Untersuchungen unterzogen wurden, bevor sie in das Judenlager Hellerberg verbracht wurden.

Auch an den Stolpersteinen für Ruth und Bertha Kirschbaum in der Bodelschwinghstraße wurden Kerzen und Blumen abgelegt. Ruth Kirschbaum, 7 Jahre alt, wurde 1941 in der Kinderfachabteilung des Krankenhauses Leipzig-Dösen, einer eigens zur Ermordung kranker Kinder eingerichtete Institution, umgebracht. Ihre Mutter, Bertha Kirschbaum kam 1942 in der Landesheil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz ums Leben.

An die Familie Frischmann erinnerte am 10.11. der antifaschistische Chor Pir-Moll aus Pirna mit Kerzen, Blumen und einem Text am ehemaligen Wohnhaus in der Louisenstraße / Ecke Rothenburger Straße. Else und Georg Frischmann hatten dort mit ihrer Tochter Ilse Frischmann in einer Wohnung dieses Hauses gelebt und im Erdgeschoss ein Zigaretten- und Briefmarkengeschäft betrieben. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren auch die Scheiben dieses Geschäftes eingeworfen worden. 

Das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen verwies in einer Stellungnahme anlässlich des 9. November darauf, dass in Zusammenhang mit dem Gedenken richtigerweise von einer Pogromwoche die Rede sein müsste, denn der Gewaltexzess gegen als Jüdinnen:Juden Verfolgte dauerte bis zum 16. November an. Reichsweit seien etwa 1.400 Synagogen und Gebetsräume zerstört sowie mehr als 10.000 Geschäfte und Betriebe demoliert worden. Dazu kämen noch ungezählte Verwüstungen von Wohnungen, Schulen und Friedhöfen. 31.000 Jüdinnen:Juden wurden in Konzentrationslagern interniert. Mehr als 1.000 Menschen kamen in diesen Tagen des Terrors ums Leben. Das Bündnis bedauert, dass dieser Aspekt bei den Gedenkveranstaltungen regelmäßig zu wenig vermittelt wird. 

Gleichzeitig kritisiert das Bündnis die Verharmlosung der nationalsozialistischen Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik, wie sie während der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie vielfach zu beobachten war. Dazu zähle die Gleichsetzung der Maßnahmen gegen die Pandemie mit der Gleichschaltung im Nationalsozialismus, die Stilisierung der Ungeimpften als die neuen ‚Juden‘ – was regelmäßig mit dem Tragen eines gelben Sternes mit der Inschrift „Ungeimpft“ unterstrichen wird – oder die Behauptung der Querdenker:innen, sie befänden sich in einem Widerstandskampf vergleichbar mit dem gegen das NS-Regime.

Während in anderen Bundesländern für das Zeigen von Ungeimpftsternen auf Demonstrationen oder im Internet Urteile wegen Volksverhetzung gesprochen wurden, entschied das Amtsgericht Pirna am 19. September anders. Ein auf Facebook gepostete Bild, welches einen gelben Stern mit dem Wort „Ungeimpft“ zeigte, sei nicht geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören und erfülle damit nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB). Der Facebook-Nutzer wurde freigesprochen. Die Richterin äußerte außerdem Verständnis für sein Gefühl der Ausgrenzung als Ungeimpfter.

Auch auf der am 29. Oktober in Dresden durchgeführten bundesweiten Querdenken-Demonstration wurden erneut Shoa-Verharmlosungen und antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet. Ein Redner bezeichnete Ärzte, die impfen, als „Mengeles Enkel“, Andreas Hofmann (aka “DJ Happy Vibes”) von den rechtsradikalen “Freien Sachsen” fabulierte von einer “weltumspannenden Krake”, ein anderer Redner von einer angeblichen “impffaschistischen Diktatur”. Auch auf mitgeführten Schildern, wie etwa einem mit dem Schriftzug „Damals (1945) hieß es Nie wieder! Vergessen?“ sowie einer aufgemalten Impfspritze und einem roten „Stop!“, wurden die Impfung gegen schwere Krankheitsverläufe bei einer Infektion mit SARS-CoV-2, und die NS-Verbrechen gleichgesetzt. Die Polizei Sachsen ging nicht dagegen vor. „Antisemitische Straftaten erkennen und konsequent verfolgen“ – der gemeinsame Leitfaden der Generalstaatsanwaltschaft und des Landeskriminalamts Sachsen zielt offenbar nicht auf die Strafverfolgung von Shoah-Verharmlosung bei Querdenken-Versammlungen ab.

Währenddessen harrt die vom Bündnis gegen Antisemitismus wegen Volksverhetzung eingereichte Klage gegen das Transparent mit der Aufschrift „Bombenholocaust“, welches von der Partei Die Rechte am 13. Februar diesen Jahres gezeigt wurde, noch immer in der Bearbeitung. Aus diesem Grund forderte das Bündnis in seiner Stellungnahme die Staatsanwaltschaft Dresden auf, ihre Blockade bei der Klärung des Sachverhalts aufzugeben und endlich aktiv zu werden.

Foto: audioscript


Veröffentlicht am 16. November 2022 um 14:37 Uhr von Redaktion in Antifa

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