Antifa

Nazis und Proteste am 5. März in Chemnitz

6. März 2010 - 13:36 Uhr

Gestern am 5. März war in Chemnitz ein Naziaufmarsch anlässlich der Bombardierung von Chemnitz im Zweiten Weltkrieg geplant. Ein breites Bündnis konnte durch eine Blockade eine verkürzte Route für die 750 versammelten Nazis erzwingen. Anreisende Gegendemonstranten per Bus aus Dresden blieben erst im Stau und dann in der Vorkontrolle stecken. Die Demonstration unter dem Motto „Das Tränenmeer trocken legen“ konnte am Abend nicht mehr starten. Ein Bericht aus „Dresdner Sicht“.Aus Dresden hatte der AK Antifa einen Bus zu den Gegenaktivitäten organisiert. Dieses Angebot wurde spektrenübergreifend genutzt und die Karten waren schnell ausverkauft. Als es dann gestern um kurz vor 14 Uhr losging, ahnten nur die Wenigsten, dass man für die ca. 60 Kilometer Landstraße nach Chemnitz 5 Stunden brauchen würde. Da die Autobahn durch Massenkarambolagen schon seit etwa 9 Uhr gesperrt war, hatten sich riesige Rückstaus auch auf den Alternativrouten gebildet. Dazu kam dann irgendwann noch der für Freitagnachmittag übliche Berufs- und Pendelverkehr mit einigen kleineren Unfällen und Pannen auf der Strecke zwischen Dresden und Freiberg. Nachdem der Bus dann irgendwann in Freiberg ankam, dort die letzten Fahrgäste eingesammelt hatte, wurde die Straße zwar freier, jetzt trat aber Team Green (bzw. Schwarz weil BFE) auf den Plan. Diese setzten sich mit mehreren Fahrzeugen vor und hinter den Bus und bildeteten ein uneingeladenes Ehrengeleit. Als der Busfahrer an einer Tankstelle anhielt, um die vorgeschriebenen 15 Minuten Pause nach 4 Stunden Fahrt einzuhalten, kamen die zum Teil vermummten BFEler wütend zum Bus gerannt um den Busfahrer anzuschnauzen, was das soll. Diese hatten vorher selbstverständlich nicht bei uns nachgefragt, wer wir sind und was wir wollen, und vor allem, ob wir sie überhaupt dabei haben wollen, taten jetzt aber so, als hätten wir gegen irgendwelche Absprachen mit ihnen verstoßen. Bei dem Halt wurde auch schnell klar, warum man so aufgeregt war. Offensichtlich spielte im Gefährdungsszenario der Polizei für den Tag der Dresdner Bus die Rolle, die sonst die Berliner Busse bei überregionalen Mobilisierungen einnehmen. Binnen kurzer Zeit rauschten weitere BFE-Einheiten heran, die den Bus und die pausierenden Teilnehmer umstellten. In den weiteren Gesprächen kam raus, dass uns am Stadtrand von Chemnitz noch eine Vorkontrolle mit Identitätsfeststellung erwartet. Jetzt wollte man bei der Polizei auf Nummer sicher gehen, und das Führungsauto fuhr mit dem Schriftzug „Bitte Folgen“ vorne weg, während der Rest der Kolonne hinter dem Bus her fuhr.

In Chemnitz angekommen wurde unser Bus zum Pennymarkt an der Dresdner Straße dirigiert. Dort hatten die BFE-Einheiten ihre Vorkontrolle aufgebaut und wollten damit auch umgehend beginnen. Zu ihrem Ärger traten aber weitere Verzögerungen ein, da sich die Businsassen erst einmal über die rechtliche Grundlage der Identitätsfeststellung versichern wollten, und zu diesem Zweck Rechtsauskünfte einholten und auf Abgeordnete von der Linken warteten. Kurz nachdem die Beamten schon etwas ungehalten ihre Helme aufgesetzt hatten, traf dann der Bundestagsabgeordnete Michael Leutert von der Linken ein und übernahm die Verhandlungen mit der Polizei. Letztendlich setzte die Polizei wenig überraschend, wie schon bei den Kontrollen von Antifaschisten auf dem Weg nach Halbe und Wunsiedel im Jahr 2004, ihre Identitätskontrolle durch, da sie sich durch ihr selbst konstruiertes Gefahrenszenario eine rechtliche Grundlage für die Maßnahme geschaffen hatten. Nun wurden alle einzeln aus dem Bus heraus geführt, durchsucht und mussten ihren Ausweis abgeben. Anfangs wollte die Polizei noch aufschreiben, wer auf welchem Platz gesessen hatte, vermutlich um irgendwelche im Bus zurückgelassenen Sachen zuordnen zu können, was sie jedoch schnell aufgaben. Die nach vorn drängelnden Raucher brachten die Sitzordnung durcheinander und durchkreuzten damit unwissentlich diese Pläne.

Während man auf die Rückgabe der Ausweise wartete, gab es die ersten Informationen von der Situation in Chemnitz. Dort hatte ein eher zivilgesellschaftliches Bündnis unter dem Motto „Kein Platz für Nazis!“ nach einer Spontandemonstration in Richtung Naziroute eine erste Blockade errichtet. Von der Demonstration der Antifaschistischen Aktion Karl-Marx-Stadt wurde uns berichtet, dass diese erst losgehen wollen, wenn unser Bus eingetroffen ist. Über die Nazis und ob sie noch laufen werden, gab es völlig widersprüchliche Aussagen. Zahlen von 150 bis 350 wurden genannt. Nach fast einer Stunde Rumstehen auf dem Parkplatz war der entsprechende Beamte endlich mit dem Abschreiben oder Abtippen der Ausweise fertig und es konnte weiter gehen. Nach einer kurzen sightseeing-Tour auf der späteren Naziroute kam der Bus dann am Hauptbahnhof an.

Am Hauptbahnhof trennten sich vorübergehend die Wege. Ein Großteil ging zu der wartenden Demonstration auf dem Bahnhofsvorplatz. Etwa 200 Teilnehmer waren noch vor Ort, die von einer guten Anlage bei Laune gehalten wurden. Die Menge war dort aufgrund der langen Wartezeit dennoch schon stark geschrumpft.Die Dresdner Morgenpost berichtet in der heutigen Ausgabe von rund 500 Antifaschisten am Bahnhofsvorplatz, die vermutlich am Anfang da waren. Die Stimmung war bei den verbliebenen Teilnehmern wenig kämpferisch, das lag nicht zuletzt an einem großen Polizeiaufgebot darunter einige ziemlich aggressive Polizisten, die zwischenzeitlich von ihren eigenen Kollegen weggezogen werden mussten. Der Demonstration, die in Richtung Reitbahnstraße ziehen sollte, wurde jetzt von der Versammlungsbehörde untersagt, noch loszuziehen. Auch eine spontane Demonstration wurde nicht mehr zugelassen. Es durften sich nur Gruppen von maximal 30 Personen gleichzeitig entfernen und selbst das musste zum Teil noch gegen die Polizeiketten durchgesetzt werden. Nachdem das alles vorbei war, musste man auch schon wieder zum Bustreffpunkt zurück, da die verbliebenen zwei Stunden Zeit bevor der Bus wieder zurück musste, schon wieder vorbei waren.

In der Zwischenzeit hatten sich Andere auf den Weg zu den Nazis gemacht. Zuerst sollte es zur Blockade gehen. Die vielen entgegen kommenden Menschen verhießen jedoch nichts Gutes. Auf Fragen wie denn jetzt die Situation sei, konnten entgegen Kommende keine klare Antwort geben. Einigen war es einfach zu kalt und zu spät, und sie wollten nach Hause, von anderen erfuhr man, dass die Blockade aufgelöst war. Warum wusste von den Befragten niemand und auch nicht wo die Nazis waren. Am ehemaligen Blockadepunkt angekommen, taten sich erste Zweifel am Erfolg der Blockade auf. Diese befand sich offenbar in der Georgstraße im Bereich der Karl-Liebknecht- und der Mühlenstraße. Ein kurzer Blick auf die Karte mit der Naziroute zeigte, dass damit keineswegs die Nazis blockiert werden konnten. In der Dresdner Morgenpost stand dazu heute, dass man mit dieser Blockade eine Verkürzung der Route erzwungen hat. Es ist durchaus möglich, dass die Nazis das tatsächlich geplant hatten, über eine der beiden Straßen zu gehen, letztendlich sind diese aber doch über die naheliegende Route auf der Straße der Vereinten Nationen gezogen. Das war vermutlich auch der Grund, dass die Blockade aufgelöst war. Was offensichtlich die meisten nicht wussten, die Nazis waren nämlich schon vorbei gezogen, während die Masse offenbar völlig unwissend von der Blockade und den Nazis weg strömte. Die Informationsweitergabe auf der Blockade muss katastrophal gewesen sein.

Jetzt begann das übliche Spiel, nämlich sich in kleinen Grüppchen in Richtung Nazis durchzuschlagen. Das ging erstaunlich einfach, da die große Masse gar keine Versuche unternahm, und die Polizei sich ihrer Sache ziemlich sicher war. Die Polizeisperren wurden immer nachlässiger und so war es ohne große Umwege möglich am Einkaufszentrum Sachsenalle sich einzeln direkt an die Zwischenkundgebung der Nazis heranzubewegen. Diese waren gerade dabei sich mit Fackeln im Karree aufzustellen. Dort war schon absehbar, dass weit mehr als, die auch in der Dresdner Morgenpost fälschlicherweise angegebenen, 350 Nazis da waren.

Während der Zwischenkundgebung hielt eine Sprecher einer Chemnitzer Neonazitruppe aus dem Umfeld der Freien Kräfte eine Rede. In dieser Rede wurde weitestgehend kontextlos ein Schadensbericht von den Luftangriffen auf Chemnitz abgeliefert mit Aufzählung von Straßenzügen und Opferzahlen, was dann in der Verlesung der Namen von 38 Kindern, die während der Bombardierung umgekommen waren, gipfelte. Im Gegensatz zu Dresden scheinen die Nazis in Chemnitz die Zahlen nicht sonderlich nach oben zu fälschen. Dagegen wurde versucht den deutschen Luftkrieg als integer gegenüber dem britischen Luftkrieg darzustellen. Die deutsche Luftwaffe hätte im Gegensatz zur Royal Airforce nur unterstützend militärische Ziele angegriffen. Dabei wurden mit irgendwelchen Zitaten belegt, dass die Briten schon lange gegenüber den Deutschen die Samthandschuhe ausziehen wollten, aber hinterhältigerweise den Deutschen den vermeintlichen ersten Schritt tun lassen wollten. Den Briten wurde unterstellt, den deutschen Angriff auf Rotterdam, der nicht mehr rechtzeitig genug abgebrochen werden konnte, gemeinerweise als Anlass zu nehmen, um Terror gegen deutsche Städte zu verbreiten. Dass diese Argumentation ziemlich hanebüchen ist, lässt sich schnell zeigen. Zum einen ist ganz klar, wer damals Städte bombardiert hat, musste mit zivilen Opfern rechnen, punktgenaues Treffen war mit der damaligen Technik nicht möglich. Wenn die Bomben nur wenige Hundert Meter vom Zielpunkt entfernt einschlugen, galt das damals schon als außerordentlicher Erfolg.

Zum Angriff auf Rotterdam lässt sich festhalten, dieser war Teil der deutschen Offensive 1940 in der Niederlande. Da die Landstreitkräfte als zu schwach angesehen wurden, um die stark verteidigte Stadt einzunehmen, sollten Bomberverbände die Stadt bombardieren, um den Widerstand zu brechen. Die Nachricht von Übergabeverhandlungen erreichte die deutschen Kommandoleitstellen zu spät, so dass ein Großteil der Bomber seine Last abwarf und etwa 800 Einwohner Rotterdams starben. Ob nun in letzter Konsequenz ungewollt oder nicht, hätte die Stadt nicht kapitulieren wollen, hätte man den Bombenangriff auch ohne Wenn und Aber durchgeführt. Man war also von deutscher Seite durchaus bereit, bewusst den Tod von Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen, wenn man den Widerstand der anderen Seite brechen wollte. Letztendlich war die Bombardierung von Städten und die Inkaufnahme von zivilen Opfern auf beiden Seiten Teil der militärischen Strategie zu Niederringung der jeweils anderen Seite. Die Deutschen sind nur nach der verlorenen Luftschlacht um England diesbezüglich nicht mehr zum Zuge gekommen, auch wenn sie es mit V2 und Ähnlichem immer wieder probiert haben. Letzteres ist vermutlich insgeheim ein nicht ganz unwesentlicher Teil der Nazitrauer. Letztendlich mutet der Vorwurf, dass die andere Seite unfair und nicht Mann gegen Mann gekämpft hat, angesichts der unzähligen Verbrechen die von Nazideutschland ausgingen, ziemlich skuril an.

Der geschichtlichen Abhandlung hatten aber auch etliche Kameraden sichtliche Schwierigkeiten zu folgen. Einige waren zudem damit beschäftigt ihre Fackeln zu löschen, von denen einige weiter brannten als gewollt. Nach eher mäßig erfolgreichen Löschversuchen auf der Straße erbarmten sich Umstehende und gaben den Hinweis, es doch mal mit dem Schnee zwei Meter daneben zu probieren.

Nach einer kurzen Schweigeminute zogen die Nazis dann weiter in Richtung Hauptbahnhof, wo ihr Aufmarsch dann endete. Wenige Gegendemonstranten nutzten zwischendurch die Gelegenheit, um den Nazis ihren Unmut kund zu tun. Zählungen der Nazis ergaben, dass diese auf 700 bis 750 angewachsen waren. Auf der Abschlusskundgebung setzte nun ein Nazi aus Dortmund zu einer Tirade gegen die seiner Meinung nach ungerechten Kriege der Alliierten vor und nach 45 an, um Nazideutschland so als unschuldiges Opfer in einer Reihe mit Korea, Vietnam und Irak zu konstruieren. Man sah den Nazis an, dass sie vom Verlauf und dem Vortrag eher gelangweilt waren, auch wenn höflich geklatscht wurde. Einer Nazihoolcombo wurde es dann recht bald auch zuviel, und diese zog gelangweilt ins Difranco auf der Hainstraße ab, vermutlich um jetzt endlich mal ein bißchen Spaß zu haben. Bei der Musikauswahl haben die Nazis auch eher ihr musikalisches Unvermögen demonstriert, offenbar hält man Klassik per se für Trauermusik.

Der Abzug der Nazis muss dann relativ schnell von statten gegangen sein. Als der Dresdner Bus eine reichliche halbe Stunde später mit einer Polizeikolonne aus Chemnitz wieder heraus eskortiert wurde, war von den Nazis schon nichts mehr zu sehen. Die Rückfahrt über die inzwischen wieder freie Autobahn verlief ohne besondere Vorkommnisse und war nach einer knappen Stunde beendet. Die Stimmung im Bus war trotz des eher miserablen Ergebnisses des Tages erstaunlich gut, und es wird sicher nicht der letzte Bus aus Dresden gewesen sein. Vom AK Antifa wurde angekündigt ein Nachbereitungstreffen für die Mitfahrer zu machen, Zeit und Ort kann man in naher Zukunft auf der entsprechenden Webseite nachlesen.

Nachzubereiten hat man auch einiges in Chemnitz. Trotz der Erfolgsmeldungen in der Dresdner Morgenpost wegen der Blockade der geplanten Route, konnten die Nazis fast ungestört ihren Aufmarsch durchziehen, von Erfolg kann also kaum die Rede sein. Die Zahl von anfangs 1300 bei der Blockade in der Georgstraße zeigt aber, dass Chemnitz durchaus Potential hat. Im nächsten Jahr muss es eine bessere strategische Planung geben und ein besserer Informationsfluss muss organisiert werden. An das Infotelefon war offenbar keine funktionierende Infostruktur angeschlossen, so dass über das Telefon auch kaum neue Hinweise zu erfahren waren. Die Antifaschistische Aktion Karl-Marx-Stadt muss sich überlegen, ob sie als Antifa-Basisaktivisten, den Naziaufmarsch weiter so nebensächlich behandeln wollen wie in diesem Jahr. Mit über 700 Nazis und für Nazis kaum fühlbare Störungen hat sich der Aufmarsch am 5. März in Chemnitz weiter etabliert. Eine Route der Antifademonstration, die vom Geschehen wegführt ist da nicht gerade hilfreich, genauso wenig wie ständige Appelle, dass man nicht nur den Naziaufmarsch verhindern soll. Dazu müsste den erst einmal jemand verhindern. Letztendlich vergessen auch immer wieder einige, dass radikale Gesellschaftskritik nicht die völlige Aufgabe von pragmatischem Handeln bedeuten muss und zusätzlich muss eine emanzipatorische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt nicht mit einer prinzipiellen Dekonstruktion von Frieden und Versöhnung beginnen.

Für die solidarische Entscheidung der Demoleitung erst loszugehen, wenn der Dresdner Bus da ist, sind jedoch mit Sicherheit alle im Bus dankbar.

Quelle: Indymedia (06.03.2010)


Veröffentlicht am 6. März 2010 um 13:36 Uhr von Redaktion in Antifa

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