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Sächsische Zahlenspiele

18. April 2011 - 12:35 Uhr - 3 Ergänzungen

Quelle: http://www.flickr.com/photos/30529636@N06/3229291316/In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung äußerte sich Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) erstmals zu den Razzien in der letzten Woche. Am vergangenen Dienstag hatten rund 400 Beamtinnen und Beamte in Sachsen und Brandenburg Wohnungen und Geschäftsräume von 17 Personen durchsucht und dabei Computer, Papiere und Dokumente beschlagnahmt. Die Dresdner Staatsanwaltschaft wirft den durchsuchten Personen mehrere gewaltsame Übergriffe auf Menschen aus dem rechten Spektrum vor und ermittelt wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Im Interview äußerte sich der ehemalige Oberbürgermeister von Pirna besorgt über den seiner Meinung nach „starken Anstieg und neue[n] Höchststand linksmotivierter Gewalt“. So seien die Zahlen gewalttätiger Übergriffe von 89 im Jahr 2009 auf 130 im Jahr 2010 gestiegen. Im Unterschied dazu ist bundesweit die Zahl der politisch motivierten Straftaten nach Angaben des Innenministeriums 2010 um ca. 20% gesunken. Dass sich hinter den gestiegenen Zahlen in Sachsen zahlreiche Ermittlungsverfahren im Bezug auf den 13. Februar verbergen und von einer flächendeckenden linken Gefahr nicht im Ansatz gesprochen werden kann, sagen diese Zahlen allerdings nicht aus. Im gleichen Atemzug beginnt das für den ehemaligen Bürgermeister einer rechten Hochburg mindestens genauso wichtige Bagatellisieren rechter Gewalt. Während das Innenministerium im vergangenen Jahr nur von 98 rechten Gewalttaten ausgeht, sprechen die Zahlen der Opferberatung des RAA Sachsen e.V. eine andere Sprache. Nach ihren Angaben kam es im letzten Jahr zu insgesamt 239 rechtsmotivierten Übergriffen. Zu den häufigsten Straftaten zählen demnach Körperverletzungsdelikte (136), in Leipzig starb der erst 19jährige Kamal Kilade an den Folgen eines Messerangriffs durch ein ehemaliges Mitglied der rechten Szene.

In seiner Analyse versucht Ulbig auch auf die Ursachen von politischer Gewalt einzugehen. Beiden politischen Richtungen liegt seiner Meinung nach ein Wahrheitsanspruch zugrunde, der sie als „erhaben über den Regeln der Demokratie“ stellt. Und weiter: „In diesem selbstherrlichen Streben nach Macht steht ihnen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Wege, diese wollen sie beseitigen.“ Dass im Augenblick vor allem in Sachsen versucht wird, zivilgesellschaftliches und damit vor allem demokratisches Engagement unter Generalverdacht zu stellen, erwähnt er in diesem Zusammenhang natürlich nicht. So wird auf der einen Seite so getan, als ob es in Sachsen abseits des 13. Februars ein akutes Problem mit linken Gewalttaten gibt, während auf der anderen Seite Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen von den politisch Verantwortlichen unter Generalverdacht gestellt werden und, wie das Beispiel Roter Baum gezeigt hat, zum Ziel polizeilicher und politischer Attacken werden.

Das Ziel solcher einseitig geführten Debatten ist es, die Ursachen und Gefahren die in Sachsen von rechten Täterinnen und Tätern ausgehen, zu negieren. Denn besonders in sächsischen Kleinstädten ist es gerade für nichtrechte und alternative Jugendliche schwer, Unterstützung gegen tief verankerte rechte Einstellungen in der Bevölkerung zu finden. Anstatt aber Projekte und Jugendarbeit finanziell zu unterstützen und damit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen menschenfeindliche Einstellungen zu leisten, hat die schwarz-gelbe Mehrheit im Sächsischen Landtag erst im vergangenen Jahr tiefgehende Einschnitte in der Jugend- und Sozialarbeit beschlossen.

Wenn dann jedes Jahr im Februar für einen Tag die europäische Rechte die sächsische Landeshauptstadt zum Aufmarschort für revisionistische und nationalsozialistische Ideen macht, sind es nicht zuletzt vor allem zivilgesellschaftliche Bündnisse, die Kritik an diesem Zustand äußern. Dass sich dieser Konflikt dann zum Teil auch gewalttätig äußert, ist jedoch kein Resultat linker Macht- und Umsturzphantasien, sondern verweist vielmehr auf ungelöste Debatten über den Umgang mit diesem Tag. Dahinter das Ende der Demokratie zu vermuten ist dabei mindestens genauso fatal wie die hilflosen Lösungsansätze des Ministers.


Veröffentlicht am 18. April 2011 um 12:35 Uhr von Redaktion in Antifa

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