Freiräume | Ökologie

Frieren und blockieren für den Erhalt von Mooren und Wäldern

31. Januar 2023 - 09:22 Uhr

Straßenblockade der Letzten Generation gegen Räumung der Heibo-Besetzung und Ankündigung weiterer Aktionen für 2023

Am 20. Januar blockierten 10 Aktivist:innen der Letzten Generation (LG) ab 8 Uhr morgens etwa 90 Minuten eine Fahrbahn auf dem Zelleschen Weg am Fritz-Förster-Platz in Dresden. Neben dem Protest gegen die verfehlte Klimapolitik der Bundesregierung diente die Aktion der Solidarisierung mit der räumungsbedrohten Besetzung eines Waldstückes im Heidebogen bei Ottendorf-Okrilla, mit der die Zerstörung von Wald und Mooren verhindert werden soll.

Kiesabbau versus Naturschutz in Ostsachsen

Seit den 1990er Jahren plant die Kieswerk Ottendorf-Okrilla GmbH & Co. KG eine Ausweitung ihrer Tagebaue, um enorme Vorkommen von Kies und Sand zu erschließen. Im Jahr 2019 wurde durch die Ankündigung des „Kiessandtagebau Würschnitz-West“ in der Radeburg-Laußnitzer Heide bekannt, dass eine Ausdehnung der laufenden Kiesabbaufelder auf 900 Hektar geplant ist. Mit einer solchen Größe würden die bisherigen Tagebaue zum weltweit größten Kiesabbaufeld anwachsen. Neben der Rodung von weiteren mindestens 140 Hektar Wald vor – und einer Verfüllung mit tagebaufremdem Material nach dem Abbau – wären die Eingriffe in die Gegend erheblich und dauerhaft. Da die alten und neuen Flächen in einer für den Grundwasser- und Klimaschutz wichtigen Waldlandschaft liegen und deren ökologische Funktion bedroht sind, formierte sich Widerstand durch Naturschutzorganisationen.

Aktivist:innen der Letzten Generation am 20. Januar auf dem Zellschen Weg demonstrieren Solidarität mit der Waldbesetzung bei Ottendorf-Okrilla
Foto: LG
Aktivist:innen der Letzten Generation am 20. Januar auf dem Zellschen Weg demonstrieren Solidarität mit der Waldbesetzung bei Ottendorf-Okrilla
Foto: LG

Denn im gleichen Jahr hatte das Sächsische Oberbergamt bei der Zulassung des Planfeststellungsverfahrens zum „Kiessandtagebau Würschnitz-West“ die Maßgaben der raumordnerischen Beurteilung der Landesdirektion Sachsen von 2016 weitgehend ignoriert. Diese hatte nach Prüfung und öffentlicher Auslegung einen 2015 eingereichten Plan für einen geplanten Kiessandtagebau „Würschnitz-West“ als „raumunverträglich“ eingestuft.  

Ein Gutachten im Auftrag des NABU Sachsen kam im Dezember 2022 zu dem Ergebnis, dass die geplante Verfüllung mit Bauschutt im zukünftigen Kiestagebau Würschnitz-West verheerende Auswirkungen auf die Grundwassergüte im FFH-Gebiet „Moorwaldgebiet Großdittmannsdorf“ hätte. Die 1993 begonnene Verfüllung im Tagebau Laußnitz 1 östlich des Schutzgebietes mit tagebaufremdem Material hatte Veränderungen im Grundwasser verursacht, von denen die Behörden seit spätestens 2003 wussten, ohne jedoch etwas dagegen unternommen zu haben. Dabei hohen Konzentrationen an Salzen und Nährstoffen sowie eine hohe Karbonathärte im Grundwasser an der westlichen Grenze des Abbaubereichs, aus dem sich das Moorgebiet neben dem Niederschlagswasser speist,  stammten aus den Kippen des Kiestagebaus Laußnitz 1. 

Zunehmende Proteste gegen Abbaupläne ab 2019

Als Folge der Zulassung des Planfeststellungsverfahrens durch das Bergbauamt schlossen sich 2019 mehrere Naturschutz-, Klima- und Umweltorganisationen sowie Angler- und Jagdverbände zusammen, organisierten eine Fachtagung und wandten sich mit der „Berbisdorfer Erklärung“ an die Öffentlichkeit, um auf die mit dem Kiesabbau verbundenen Zerstörungen hinzuweisen.

Im August 2021 kam die Besetzung eines Waldstückes im bedrohten Areal hinzu. Um gegen die geplante Rodung zu protestieren, schlossen sich Klimaaktivist:innen zusammen und zogen in die Würschnitzer Heide bei Ottendorf-Okrilla.

Sie betreiben Aufklärungsarbeit, bauen Infrastruktur auf und leben seitdem in verschiedener Zusammensetzung dort. Neben den geplanten Zerstörungen durch Rodung und Abbau und andere Folgen für das regionale Ökosystem thematisieren sie dabei auch die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Ursachen und weisen auf eine notwendige Bauwende hin. Denn die Bauindustrie hat die Klimakrise bisher weitgehend ignoriert und plant trotz weltweitem Mangel an verwendbarem Sand weiterhin bevorzugt mit dem sich verknappenden Rohstoff. Nachhaltigkeit in Planung und Umsetzung im Bau oder Umnutzungen von Immobilien sind noch immer die Ausnahme. Abriss und Neubau sind nach wie vor der Standard, weshalb die Baubranche einen großen Anteil der globalen Treibhausgase verursacht.

Darüber hinaus üben die Besetzer:innen Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen grundsätzlich. Sie kritisieren die immer größere Zerstörung der Natur in Folge des ökonomischen Profitstrebens als Geschäftsgrundlage der Wirtschaftsbeziehungen im kapitalistischen Marktwirtschaftssystem, sowie das Mantra des Wachstums.

Statt Umweltzerstörung für Profitinteressen und zerstörerischen Ressourcenverbrauch, die zu Klimakrise und der Ausbeutung von Arbeiter:innen führen, setzen sich die Aktivist:innen für andere gesellschaftliche Strukturen und Werte ein. Sie fordern eine Umverteilung von Ressourcen, eine kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Strukturen sowie Solidarität mit Menschen im Globalen Süden, die unter dem Wohlstand westlicher Industrieländer leiden. Statt der Verlagerung der Naturausbeutung in andere Länder, um Rohstoffabbau vor Ort zu verhindern, brauche es einen globalen und gesamtgesellschaftlichen Wandel. Zudem sehen sie die Heibo-Besetzung als Freiraum und Experimentierort für utopische Formen des Zusammenlebens. Dabei wollen sie nicht nur mit der Natur sondern auch mit anderen Menschen solidarisch, hierarchiefrei und selbstbestimmt zusammen leben.

Die Besetzung wurde durch das Landratsamt Bautzen bisher als Versammlung toleriert. Jedoch lief am 23. Januar die Frist zum Abbau sämtlicher Bauten, und damit die zum Leben notwendige Infrastruktur, ab. Zuvor hatte das Landratsamt angedroht, die Strukturen nach der Frist selbst zu entfernen. Daher rechnen die Besetzer:innen seit dieser Woche mit der Räumung und rufen dazu auf, sie zu unterstützen. 

Während die Räumung noch vor Ende der Rodungssaison Ende Februar droht, gibt es etwas Bewegung in den Plänen zur Ausweitung des Kiesabbaus. Im Januar teilte die sächsische Landesregierung mit, dass die größeren Abbauflächen im Heidebogen in den Landkreisen Bautzen und Meißen im Bereich Würschnitz West nicht mit Bauschutt, sondern mit „bergbaueigenem Abraum oder Oberboden“ verfüllt werden sollen. Naturschutzorganisationen wie der NABU oder die Bürgerinitiative „Contra Kiesabbau“ aus Würschnitz kritisieren hingegen die „Verständigung“ zwischen dem grünen Umwelt- und dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium als faulen Kompromiss.  Da dafür der Wald dennoch gerodet und die obere Bodenschicht abgetragen würde, bevor die Sand- und Kiesschicht in 8 bis 12 Meter Tiefe abgebaggert wird, werden die Eingriffe gravierend und langfristig sein. Nach einer Teilverfüllung soll ein künstliches Moor erst nach Jahrzehnten entstehen, die Bildung eines neuen Waldbodens in einem neu gepflanzten Wald würde Jahrhunderte dauern

Auch folgende Verunreinigungen des Grundwassers und damit die Gefährdung weiterer Moore wie der Großdittmannsdorfer Waldmoore können nicht ausgeschlossen werden. Inzwischen argumentieren die Behörden damit, dass durch den Verzicht von Bauschutt bei der Verfüllung neuer Abbaugebiete auch weiteres Grundwasser nicht mehr von Verschmutzung gefährdet wäre. Dabei wird jedoch die ökologische Funktion des Kieses für die Moore ausgeblendet. Aufgrund der geologischen Struktur hat hat er eine filternde und speichernde Funktion für das austretende Quellwasser, das die Moore bildet. Gerade in Zeiten, in denen die Klimakrise rasant fortschreitet, ist der Erhalt der letzten noch existierenden Moorgebiete als Wasser haltende Feuchtgebiete und Speicher von Kohlenstoff besonders wichtig. 

Sie bedecken nur 3 Prozent der weltweiten Landfläche, speichern aber etwa doppelt so viel Kohlenstoff wie die gesamte Biomasse aller Wälder der Erde. Ihre bewusste Zerstörung ist so skandalös, weil Sachsen bereits jetzt zunehmend unter Hitze und Trockenheit leidet und weil Deutschland zur Einhaltung der Klimaziele die letzten Moorgebiete dringend erhalten müsste.

Nach der Sitzblockade ist vor der Sitzblockade

Das Ziel der Straßenblockierer:innen vom 20. Januar, auf die Besetzung im Heidebogen und deren Gründe aufmerksam zu machen, ist gelungen. Nach ausgiebigen Austausch zwischen Aktivist:innen und Journalist:innen vor Ort begann die Polizei die Räumung der Sitzblockade nach etwa 45 Minuten. Die Räumung dauerte fast noch einmal so lang. 

Zwar waren bereits vor dem Beginn der Aktion Polizeibeamt:innen auf der Kreuzung zu sehen, sie hatten jedoch das Geschehen erst länger beobachtet und gefilmt, bevor sie begannen die ersten Beteiligten von der Straße zu tragen und dann jede Person, die sich festgeklebt hatte, nach und nach mit Pflanzenöl von der Straße zu lösen. Die Aktion wurde von einer angemeldeten Kundgebung von Parents for Future (PFF) begleitet. Von einer anderen Ecke der Straßenkreuzung sorgten sie mit einer Musikanlage für bessere Stimmung bei der Blockade, verteilten Flyer und beantworteten Fragen von Passant:innen. Die waren überwiegend Studierende auf dem Weg zur Universität und wurden regelmäßig über Gründe der unübersehbaren Aktion aufgeklärt. 

Trotz Kälte und Schneefall war die Stimmung äußerst entspannt und das Verhalten aller Beteiligten wirkte beinah routiniert. Erkennbar emotionale Reaktionen kamen nur von Passanten, darunter sowohl zustimmende Äußerungen als auch ablehnende Ausrufe einzelner Unbeteiligter. 

Auch die Polizeikräfte stellten sich bewusst entspannt zur Schau. Weder versuchten die Beamt:innen vor Ort mittels schnellem körperlichen Eingreifen die Sitzblockade und das Festkleben zu verhindern, noch bemühten sich sich, die Versammlung schnell aufzulösen. Allerdings verhinderten sie einen Stau von Autos auf der Fahrbahn durch eine Umleitung einige hundert Meter vor der Ampelkreuzung. So unterband die Polizei einerseits eine wirkungsvolle Störung des Autoverkehrs, andererseits wurde damit die Konfrontation mit wütenden Autofahrer:innen verhindert. Eine mögliche Ursache des offensiv entspannten Verhaltens der Polizei waren die verhältnismäßig zahlreichen Pressevertreter:innen vor Ort, die für verschiedene Medien über die Aktion berichten wollten und so lange fotografierten, bis die letzte Person um etwa 9:30 Uhr von der Straße getragen war. 

Trotz Kälte und Schnee war die Stimmung teilweise ausgelassen.
Foto: LG

Wenige Tage nach der Aktion fand eine bundesweite Online-Pressekonferenz der LG statt. Am Montag, dem 23. Januar, fassten die Aktivist:innen ihre Erkenntnisse aus den politischen Reaktionen auf ihre seit einem Jahr durchgeführten Straßenblockaden zusammen und stellten weitere Pläne für die Zukunft vor. Vor fast genau einem Jahr, am 24. Januar 2022, hatte die erste Straßenaktion der LG in Berlin stattgefunden. Seitdem sei die Anzahl neuer Aktivist:innen stetig gewachsen, die zusammen etwa 1.250 Blockadeaktionen in 12 Monaten durchgeführt hätten, bei denen 1.200 Mal Menschen in Polizeigewahrsam gelandet seien. Dennoch zogen die Aktivist:innen eine positive Bilanz des Jahres, da sie sich unübersehbar in die politische Klimadebatte einmischen konnten und „niemand mehr an ihnen vorbeikäme“.

Weil jedoch die Regierung trotz wissenschaftlicher Faktenlage, sichtbarer Klimakrise und breiter Klimabewegung bisher nicht ihrer Verantwortung gerecht geworden sei, notwendige Schritte gegen die Klimakrise zu unternehmen, sehen sie sich nun gezwungen, die Proteste fortzusetzen. Die Regierung habe in ihren politischen Entscheidungen mehr Interesse an der Erfüllung von Forderungen von Lobbygruppen statt am Gemeinwohl gezeigt und im Klimaschutz bisher auf ganzer Linie versagt. Trotz teils negativer Medienberichterstattung und staatlicher Repression sehen die Aktivist:innen die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihren Forderungen, die sich bisher auf ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, ein Tempolimit auf Autobahnen sowie ein bundesweites Klimaticket konzentrierten. 

Pflanzenöl als einzig wirksame Waffe der Staatsgewalt – ein Moment, der die Utopie von gefahr- und gewaltlosen Polizeieinsätzen aufkommen lässt.
Foto: Redaktion addn

Da sich trotz dieser vergleichsweise sehr geringen bzw. einfach umsetzbaren Forderungen die Bundesregierung nicht bereit gezeigt hat, diese zu erfüllen, wurde angekündigt, die Proteste ab dem 6. Februar verstärkt fortzusetzen. Eine neue Forderung der LG ist dabei die Einberufung eines Gesellschaftsrates als eine Art gesellschaftlicher Notfallsitzung. Nach dem Vorbild der Bürger:innenräte, für die Bürger:innen zufällig ernannt werden, soll dieser Rat gemeinsam erarbeiten, wie bis 2030 Klimaneutralität erreicht werden kann. Damit wäre ein solcher Rat entgegen dem Parlament, in dem vor allem Akademiker:innen und Beamt:innen dominieren, ein repräsentativeres Abbild der der Bevölkerung. Zwar hatte es bereits 2021 einen Bürgerrat für das Klima gegeben, in dem 160 geloste Bürger:innen Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik erarbeiteten, jedoch seien die Ergebnisse damals in der Schublade gelandet.

Die ab dem 6. Februar angekündigten Aktionen sollen dazu dienen, die Bundesregierung zu verpflichten, diesen neuen Rat selbst einzuberufen und die ausgearbeiteten Ergebnisse diesmal auch umzusetzen.

Auch in Dresden werden die Proteste weitergehen.


Veröffentlicht am 31. Januar 2023 um 09:22 Uhr von Redaktion in Freiräume, Ökologie

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