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Nur »radical chic«? – Die »Autonomen Nationalisten« und die Ästhetisierung von Gewalt

16. November 2008 - 18:29 Uhr - Eine Ergänzung

Das Medienecho war gewaltig. Über Tage taten die Mainstreammedien ihre Verwunderung darüber kund, dass »autonome Neonazis« am Rande der diesjährigen Neonazi-Maidemonstration in Hamburg gegenüber Polizei und Journalisten unverhohlen gewalttätig auftraten.

In der antifaschistischen Linken hat die Debatte gerade erst begonnen. Eine Broschüre aus NRW begnügt sich mit dem Versuch, die antikapitalistische Phraseologie der »Autonomen Nationalisten« anzuprangern. Ansonsten kleiden die Autoren ihre Ratlosigkeit in die schlichte Formel, man selbst halte das Copyright für »Autonome«. Eine kritische Reflexion des eigenen kulturellen Habitus lässt der Text vermissen.

Die Debatte darüber, ob der kulturelle Code der »Autonomen« den Gewalthabitus des Männerbundes ästhetisiere, oder ein legitimer Ausdruck von Radikalität sei, findet sich bereits in den feministischen Kritiken des Schwarzen Blocks, als dieser noch ein genuines Ausdrucksmittel der radikalen Linken war. Das Erscheinungsbild nahezu jeder größeren antifaschistischen Demonstration wird von schwarz gekleideten, geschlechtslosen Wesen dominiert, deren Sozialraumverhalten ihre Aggressivität aussteuert. Von Interesse für die Kommunikation von Inhalten ist hier, was die Form des »Black Block« nach außen kommuniziert und ästhetisiert: Kampfgemeinschaft, Maskulinität und Gewalt. Dahinter tritt die intendierte politische Botschaft, nämlich die Negation gesellschaftlicher Zustände, und die Antizipation anderer Zustände, zurück. Betrachtet man den »Schwarzen Block« zunächst also nicht als soziale Bewegungsform politischer Subjektivität, sondern als Konzept der Kommunikation politischer Inhalte, gewinnt die Debatte um die »Autonomen Nationalisten« in der Linken eine neue Brisanz.

Im vergangenen Jahrzehnt übernahmen einige jugendkulturell geprägte neonazistische Gruppen sukzessive jene ikonographischen Formen, die bisher den linksradikalen Autonomen vorbehalten schienen (vgl. AIB Nr. 63 und 69). Die »Autonomen Nationalisten« suchen sämtliche popkulturellen Formen politischer Selbstdarstellung zu integrieren. Das Layout und die Textstilistik von Homepages, Flyern und Transparenten kopiert den Stil der Antifa bis ins Detail. Diese extrem rechte Aneignung von Textbausteinen wie »Kapitalismus zerschlagen« makuliert den Typus linker Agitationssprache zur Phrase, weil die Linke es nur schwer vermag, die Dialektik der eigenen Inhalte schlagwortartig zu transportieren. In der Debatte um das Phänomen der »AN« beruhigt man sich in der antifaschistischen Linken mit dem Argument, hinter diesen Enteignungen linker Codes stünde keine den linken Autonomen vergleichbare politische Praxis. Vielmehr handle es sich bei den »AN« um »verkleidete Neonazis«. Dieses trifft zwar zweifelsohne zu, löst das Problem medial vermittelter gesellschaftlicher Stereotypen, wonach linke Gruppen ›gewalttätig‹ und ›nihilistisch‹ seien, aber nicht auf. Angesichts der Enteignungen durch eine Fraktion der extremen Rechten nur auf dem Copyright dessen zu beharren, was unter »autonom« zu verstehen sei, artikuliert in erster Linie die eigene politische Hilflosigkeit.

Die Kritik an der Inszenierung des »Black Block« als symbolische Kampfgemeinschaft von Aktivisten, deren politisches Selbstbewusstsein sich wesentlich über den militanten Aktionismus am Rande von Demonstrationen realisierte, ist immer noch aktuell. Da vielen Autonomen die kollektive militante Aktion als Kern des Politischen gilt, kommt es entgegen der propagierten Absicht zur Abkopplung des Vollzugs der Tat vom zu vermittelnden Inhalt. Wo jedoch die Aktion, sprich die Form des Politischen, Vorrang vor deren inhaltlicher Kontextualisierung genießt, nimmt es nicht Wunder, dass der Deutungskontext der »Propaganda der Tat« entweder diffus oder politisch umcodierbar, enteignenbar wird. Das Kennzeichen faschistischer Ideologie von George Sorel bis Armin Mohler besteht gerade darin, dass die Tat, die Aktion und die Form ihres Vollzugs das Zentrum bilden, in welchem reaktionäre Vergemeinschaftung an die Stelle kollektiver und individueller Emanzipation tritt.

Wer diesen Mechanismus der Verselbstständigung, der Aktion um der Aktion willen blockieren will, muss mit den geschlossenen Formen der Selbstinszenierung brechen und an deren Stelle Formen aktiver Teilhabe aller als Ausdrucksform von Radikalität ermöglichen.

»Entwendungen aus der Kommune«

Der dargestellte Vorgang der Enteignung von Symbolen, Ritualen und Formen ist keineswegs auf den subkulturellen Habitus der Autonomen beschränkt. Die sukzessive Enteignung jugendkultureller Stile durch die extreme Rechte zum Ende der 1990er Jahre verlief analog zu den jetzt zu beobachtenden Prozessen der Differenzierung der rechten Szene. Zunächst erweiterte eine kleine Gruppe von Neonazi-Aktivisten gegen interne Widerstände das Spektrum der jugendkulturellen Codes. Danach erkannten Kader die Vorteile einer erweiterten jugendkulturellen Integrationsfähigkeit der Szene. Die Formenteignungen der heutigen extremen Rechten haben ihr Vorbild in der Bewegungs- und Aufstiegsphase des Nationalsozialismus in Deutschland und der anderen europäischen Faschismen.

Der Philosoph Ernst Bloch brachte seine Beobachtungen der Enteignung der sozialen Interaktions- und Kommunikationsformen der alten Arbeiterbewegung durch den Nationalsozialismus auf den Begriff der »Entwendungen aus der Kommune.« Bloch analysiert, wie die Formübernahme (Lieder, Aufmärsche, Agitationsveranstaltungen, Sprache der Propaganda und soziale Praxis im Stadtteil) durch den Nationalsozialismus nach und nach einer Mehrheit der Arbeiter eine Annäherung an die faschistische Utopie der Volksgemeinschaft ermöglichte, ohne ihren kulturellen Code ändern zu müssen. Dabei hebt Bloch die Enteignung der sozialen Praxen der Arbeiterbewegung durch den Faschismus in erster Linie im vorpolitischen Raum hervor. Die Melodien jener linken Gesänge, die einen Marschrhythmus aufwiesen, wurden in das Gesangbuch der SA übernommen, da ihr Rhythmus als bekannt vorausgesetzt werden konnte und zudem eingängig war. Allerdings erfuhren die Texte eine fundamentale inhaltliche Änderung. An die Stelle der antizipierten Befreiung der Arbeiter trat nun die eschatologische Naherwartung einer nationalen Revolution.

Die Auftritte der »Autonomen Nationalisten« bieten Anlass, die eigene politische Praxis zu hinterfragen und selbstbewusst jene Formen politischer Kommunikation zu bannen, die nurmehr leere Form und hohle Phrase sind.

Die Suche nach einer adäquaten Bilder- und Formensprache, die einerseits Ausdruck der kollektiven Suche nach Emanzipation ist, andererseits jedoch den Ballast reaktionärer Vergemeinschaftungsangebote hinter sich lässt, ist eine Herausforderung für einen linken Kulturbegriff. Daher gilt es eine Formensprache zu finden, die von ihrem Inhalt nicht abkoppelbar, und somit auch nicht von rechts zu enteignen ist.

Quelle: Antifaschistisches Info Blatt (Ausgabe 69)


Veröffentlicht am 16. November 2008 um 18:29 Uhr von Redaktion in Nazis, News

Ergänzungen

  • nein es gilt keine neue “Formensprache“ zu finden die sowieso auch abzukupfern wäre, denn kopieren geht immer…das hieße ständig am habitus basteln sobald der gegner in seiner dummheit und konzeptlosigkeit unsere ausdrucksformen kopiert,
    Kritik, prüfung, reflrxion unserer militanz muß es geben, klar, und pseydorevolutionäres Gehabe muß verdrängt werden

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