Soziales

Brot von gestern – Arbeitsbedingungen von vorgestern

28. Juli 2020 - 11:01 Uhr - Eine Ergänzung

Am 24. Juli bildete sich gegen 15 Uhr eine Menschentraube vor der Tag2-Bäckerei in der Kamenzer Straße 42b in der Dresdner Neustadt. Die mitgeführten Fahnen der syndikalistischen Freien Arbeiter*innen Union (FAU) und Transparente machten auf einem Blick deutlich, dass es sich nicht um eine Warteschlange vor der Bäckerei handelte, sondern um eine Kundgebung. Der Protest am Freitag war Teil eines Arbeitskampfes, den die basisdemokratische Gewerkschaft aktuell gegen den Chef der Tag2 Bäckerei J. Zscheile führt. Ausgangspunkt des Konfliktes war eine unrechtmäßige Kündigung gegen eine der Beschäftigten. Die FAU wirft dem Unternehmer außerdem die systematische Unterschlagung von Urlaubsentgelt und die Vorenthaltung von Löhnen vor. 

Über die Verstöße gegen geltenden Arbeitsrecht bei der Tag2-Bäckerei wurden Passant:innen und Kund:innen auf Flugblättern informiert. Es gab interessierte Nachfragen durch Beschäftige der benachbarten Läden, die sich in den meisten Fällen solidarisch mit dem Anliegen der FAU zeigten. In mehrsprachigen Redebeiträgen wurde ausgeführt, dass auch Minijobber:innen Anspruch auf Urlaubsentgelt haben und Arbeitgeber auch im Fall fristloser Kündigungen klare Regeln einzuhalten haben. Minijobber:innen im allgemeinen, aber auch die Beschäftigten bei Tag2 wurden aufgefordert, sich über ihre Rechte zu informieren und sie einzufordern. Die FAU Gewerkschaft bot hierfür Beratung und Unterstützung an. Vor allem vor dem Hintergrund der neoliberalen Angriffe auf erkämpfte Arbeitsrechte könnten Arbeitnehmer:innen es sich schlicht nicht leisten, noch mehr Rechte einzubüßen.

Wiederholt wurde in den Redebeiträgen darauf hingewiesen, dass ein sozialer oder nachhaltiger Charakter des Unternehmens nicht von der Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte entbindet. Wenn der Laden Profit abwirft – auch wenn er noch so klein ist – müssen Arbeitnehmer:innenrechte eingehalten werden. „Bei Tag2 gibt es Backwaren vom Vortag mindestens zum halben Preis. Mir gefällt das Konzept, weil Lebensmittelverschwendung reduziert wird. Außerdem kaufen dort Menschen mit geringem Einkommen ein und freuen sich über Kuchen und gutes Brot. Einige sind regelmäßig dort, um einen preiswerten Kaffee zu trinken. Tag2 ist also auch ein wichtiger Treffpunkt  für die Nachbarschaft. Aber ein nachhaltiges Projekt muss auch sozial zu den Beschäftigen sein. Faire Arbeitsbedingungen müssen dazu gehören!“ so die von der Kündigung Betroffene gegenüber addn.me.

Der Unternehmer hingegen behauptet, bei Auszahlung der – legitimen und gesetzlich vorgeschriebenen – Ansprüche, die Bäckerei Tag2 schließen zu müssen und sorgte mit dieser Drohkulisse für eine Entsolidarisierung der Belegschaft von der durch die Kündigung betroffenen Angestellten. Die Forderungen fallen zu lassen, kommt für die FAU Gewerkschaft dennoch nicht in Frage, denn jede Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststandards setze zugleich alle anderen vergleichbaren Betriebe, die sich um bessere Arbeitsbedingungen bemühen, wirtschaftlich unter Druck.

Schon in der Vergangenheit kämpfte die Gewerkschaft FAU erfolgreich gegen illegale Kündigungen oder Scheinselbstständigkeit vor allem in der Gastronomie in der Dresdner Neustadt. Sie ist eine lokale Basisgewerkschaft für alle Branchen, bei der die Beschäftigten über die konkreten Arbeitskampfmaßnahmen entscheiden. Die Betroffene erläutert gegenüber addn.me, warum sie sich für Unterstützung an die FAU gewandt hat: „Ich bin bereits im März Gewerkschaftsmitglied bei der FAU geworden, nachdem mein Lohn für Februar unvollständig ausgezahlt wurde. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass die FAU bereits zahlreiche Erfahrungen im Arbeitskampf mit Mini-Jobber:innen gemacht hat.“ Aufgrund der genannten Verstöße hat die Betroffene Klage beim Arbeitsgericht eingereicht. Der arbeitsgerichtliche Gütetermin findet am 31. Juli statt.


Veröffentlicht am 28. Juli 2020 um 11:01 Uhr von Redaktion in Soziales

Ergänzungen

  • Vielen Dank für den Artikel! Es ist gut zu wissen, dass man besonders in der Gastronomie solche Unterstützung anfordern musste. Ich hatte ebenfalls mal einen ähnlichen Fall, als in einem Unternehmen der Systemgastronomie gearbeitet habe. Im Endeffekt musste ich auch einen Anwalt für Arbeitsrecht nehmen, da in meinem Fall keine Gewerkschaft helfen konnte.

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