Soziales

Pflegenotstand jetzt beheben!

4. Mai 2023 - 09:28 Uhr - Eine Ergänzung

Das Dresdner Bündnis für Pflege hat einen offenen Brief an die Sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping, verfasst, um auf die Missstände in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen hinzuweisen. Anlass für diesen Brief ist der Tag der Pflege am 12.05.2023, an dem das Bündnis zu einer Demonstration (Treff 16:30 Uhr Jorge-Gomondai-Platz) und anschließender Kundgebung mit musikalischer Begleitung aufruft.

Sehr geehrte Landesministerin Petra Köpping,
sehr geehrte Damen und Herren des Sozialministeriums Sachsen,

wir, das Dresdner Bündnis für Pflege und mehr Personal im Krankenhaus wenden uns mit diesem Brief an Sie und fordern Sie auf, unsere Anliegen zu unterstützen.

Die Situation in den Krankenhäusern und in der Pflege ist trotz unserer jahrelangen Proteste und den Erfahrungen aus der Pandemie immer noch dramatisch:

Stationäre und häusliche Pflege
4,9 Millionen Menschen erhalten Leistungen aus der Pflegeversicherung. 80% von ihnen, also ca. vier Millionen Menschen werden zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Pflegebedürftigkeit bedeutet in unserem Land ein absolutes Armutsrisiko. Pflegende Angehörige erhalten viel zu geringe Entlastungen – die Höhe des Pflegegeldes ist höchstens als Aufwandsentschädigung zu betrachten und kann keinen Verdienstausfall ersetzen. Die Beträge wurde das letzte Mal 2017 erhöht und sollen selbst nach den Reformplänen des Gesundheitsministeriums erst ab 2024 steigen und dann lediglich um fünf Prozent. Das spiegelt nicht ansatzweise die gestiegenen Kosten und die Inflation wieder. Die ambulanten Pflegedienste haben nur wenige Minuten Zeit für die Pflegebedürftigen, die den Rest des Tages allein zu Hause sitzen oder liegen müssen.
In der stationären Pflege sind die Kosten für die Pflegebedürftigen so stark gestiegen, dass sie für einen Heimplatz mittlerweile durchschnittlich 2.400 Euro Eigenanteile aufbringen müssen. Wer hat so eine hohe Rente? Im Osten liegt die Durchschnittsrente derzeit bei 1600 Euro Brutto. Die geplanten minimalen Erhöhungen (ca. 270 Euro im Jahr! – das entspricht ca. 25 Euro im Monat) sollen noch durch höhere Beiträge der Versicherten finanziert werden – im viert reichsten Land der Erde wird also erneut nicht darüber nachgedacht, die Reichen zur Kasse zu bitten. Wir fordern Sie auf: Lehnen Sie den Gesetzentwurf ab und bringen Sie eine Initiative in den Bundesrat ein,

• dass die Pflege zu Hause und im Heim auskömmlich und bedarfsgerecht finanziert wird,

• dass es eine Pflegeversicherung gibt, die alle Kosten abdeckt – ohne dass sich die Beiträge erhöhen, das kann z.B. erreicht werden durch Abgaben auf große Vermögen und Einbeziehung aller Einkommen (über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus) in die Pflegeversicherung,

• dass Pflegeeinrichtungen in öffentliche Hand kommen, so dass Beschäftigte und Betroffene selbst bestimmen können, welche Hilfe sie benötigen und dass keine Gewinninteressen im Vordergrund der Pflege stehen.

Krankenhäuser
Das Fallpauschalensystem ist schädlich für die Krankenhäuser. Das hat sogar Gesundheitsminister Karl Lauterbach teilweise zugegeben. Die Ausgaben sind nicht gesunken, weil Fehlanreize gesetzt wurden und weil private Konzerne die Krankenhäuser betreiben dürfen, deren vordringlichstes Interesse in der Erzielung von hohen Erlösen und Gewinnen liegt. Das ging und geht weiterhin zu Lasten der Beschäftigten, die unter extremen Personalmangel und Stress arbeiten müssen und ihren Beruf nach durchschnittlich sieben bis acht Jahren verlassen. Genauso schlecht ist die Situation für Patient:innen. Sie müssen lange auf Termine warten, werden dann in kürzester Zeit von wenig und überarbeitetem Personal behandelt und im schlimmsten Fall schon vor der Heilung entlassen, um ihr Bett für den nächsten frei zu machen. Krankenhäuser sind de facto zu Fabriken geworden. Kleine Krankenhäuser sind in diesem Wettlauf um lukrative Behandlungen und hohe Fallzahlen im Nachteil und von Schließung betroffen. Von 2005 bis 2021 wurden bundesweit 279 Krankenhäuser geschlossen. Hier in Sachsen war die letzte Schließung am 31.3.2023 das Krankenhaus in Reichenbach. Aktuell gefährdet ist die Sachsenklinik Naunhof, die Geburtsstation Lichtenstein und das Krankenhaus in Ebersbach.

Karl Lauterbach hat nun einen Reformvorschlag eingebracht, den er als „Revolution“ bezeichnet, der aber bei genauer Betrachtung genau an dieser schädlichen Systematik festhält: Die Fallpauschalen bleiben erhalten, so dass es weiter um Konkurrenz und Fallzahlen gehen wird. Weiterhin werden nicht die Menschen an erster Stelle in der Gesundheitsversorgung stehen, sondern Erlöse und Profite. Die Reform soll kostenneutral umgesetzt werden, es wird also kein Geld dafür zur Verfügung gestellt, sondern nur anders verteilt. Große Kliniken mit vielen Fällen werden gefördert, kleine Kliniken mit weniger Patientinnen sollen in ambulante Zentren umgebaut werden und dürfen wichtige Notfallversorgung oder Geburtsstationen nicht mehr vorhalten.
Ministerpräsident Michael Kretschmer äußerte bereits, dass durch die Reformpläne 20 Kliniken in Sachsen von der Schließung bedroht sind. Durch die Schließungen werden sich Rettungswege verlängern, das kann im Ernstfall tödlich sein. Auch der Personalmangel wird durch Schließungen nicht beseitigt, da die Patientenzahlen gleich bleiben und nicht alle Pflegekräfte bei einer Schließung in die nächst größere Stadt mitgehen werden. Aus dem 2021 geschlossenen Krankenhaus in Havelberg sind beispielsweise nur noch 3 Pflegekräfte in ihrem Beruf tätig.

Wir fordern Sie deshalb auf: Lehnen Sie die Reformpläne ab und bringen Sie eine Initiative in den Bundesrat ein,

• dass die Fallpauschalen vollständig abgeschafft werden und stattdessen das Bedarfsdeckungsprinzip eingeführt wird,

• dass die Krankenhäuser wieder in öffentliche Hand zurückgeführt werden, um private Gewinne zu unterbinden und Fehlanreize abzuschaffen,

• dass es eine ausreichende Förderung für den Erhalt aller Krankenhäuser in ländlichen Regionen gibt (z.B. indem der Krankenhausstrukturfonds nicht mehr die Schließungen von Kliniken belohnt, sondern für den Erhalt von bestehenden Kliniken verwendet wird)

• dass es eine gesetzliche Personalbemessung gibt, damit Pflegekräfte den Beruf wieder bis zur Rente durchhalten können.

Die geplanten Reformen sind für die Umsetzung unserer Forderungen nicht ansatzweise ausreichend. Dass Reformen geplant werden, ohne dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen, ist ein Armutszeugnis für die Regierung. Wieder einmal werden die Probleme und Kosten auf die Beitragszahlenden und die Pflegebedürftigen abgewälzt, die sowieso schon durch die Inflation und Krisen einen drastischen Einkommensverlust erlitten haben.

Wir fordern Sie auf: Setzen Sie sich dafür ein, dass eine Umverteilung stattfindet: die Reichen müssen zur Kasse gebeten werden. Alle müssen in die Sozialversicherung einzahlen. Ausgaben dürfen nicht im Sozialen Bereich gekürzt werden, sondern bei Rüstung und Steuergeschenken für Konzernbesitzer.

Wir fordern Sie zum Handeln auf, weil Handeln dringend notwendig ist. Wir werden als Bündnis alle Beschäftigten und Betroffenen auffordern, gemeinsam um jedes Krankenhaus und jede Pflegeeinrichtung zu kämpfen und sich mit der Gewerkschaft ver.di für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu organisieren.

Das Dresdner Bündnis für Pflege und mehr Personal im Krankenhaus Dresden


Veröffentlicht am 4. Mai 2023 um 09:28 Uhr von Redaktion in Soziales

Ergänzungen

  • Eine Freundin von mir arbeitet in der Pflege von Schwerkranken. Das ist auf jeden Fall keine leichte Arbeit. Aber das ist so wichtig und muss entsprechend gefördert werden.

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