Nazis

Ulbig lässt die Muskeln spielen

19. Februar 2013 - 01:58 Uhr - 2 Ergänzungen

Demonstration in Döbeln am 28.11.2009 (Quelle: Recherche Ost)

Am Montag wurde von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) der lose rechte Zusammenschluss „Nationale Sozialisten Döbeln“ (NSD) verboten. Dazu durchsuchten Einsatzkräfte des erst im vergangenen Jahr geschaffenen Operativen Abwehrzentrums (OAZ) in den frühen Morgenstunden nicht nur die Wohnungen von sechs führenden Aktivisten der Gruppe, sondern parallel dazu ein mehrfach für Veranstaltungen genutztes Gebäude in einem Industriegelände der Stadt. Begründet wurde das Verbot mit §3 des Vereinsgesetzes, wonach eine Vereinigung, die sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet“, verboten werden kann. So habe sich die Gruppe nach Ansicht des Sächsischen Innenministers wiederholt nationalsozialistische Begriffe und Symbole zu eigen gemacht und damit ihre „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ gezeigt. Ihre Mitglieder würden außerdem nationalsozialistischen Traditionen folgen und sich zur NSDAP und ihren führenden Funktionären bekennen. In den Durchsuchungsbeschluss waren auch Erkenntnisses des in der Vergangenheit mehrfach in die Kritik geratenen Sächsischen Verfassungsschutzes eingeflossen.

Etliche der etwa 30 Personen umfassenden Gruppierung aus dem Landkreis Mittelsachsen sollen sich in der Vergangenheit an Aufmärschen der so genannten „Unsterblichen“ beteiligt und damit nach Ansicht des Innenministers Rassenlehre propagiert und eine „Überwindung der verfassungsmäßigen Ordnung in kämpferisch-aktiver Weise“ angestrebt haben. Gegen die „Unsterblichen“ war die sächsische Polizei schon vor einem Jahr vorgegangen. Nach etlichen spontanen Aufmärschen mit zum Teil mehreren hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern, waren am 12. Januar 2012 in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt insgesamt 44 Wohnungen durch die Polizei und das LKA Sachsen durchsucht und Propagandamaterial beschlagnahmt worden. Auch 40 Personen aus dem Umfeld der NSD hatten sich in Anlehnung an das Konzept der „Unsterblichen“ am 26. Mai 2012 auf dem Marktplatz in Leisnig mit weißen Masken vermummt, um damit auf den ihrer Ansicht nach drohenden „Volkstod“ aufmerksam zu machen. Bei den Durchsuchungen heute fand die Polizei die für die Gruppierung charakteristischen weißen Masken. Neben zwei Luftdruckwaffen, einer Softairwaffe, etlichen Plakaten und Aufklebern stellten die Beamtinnen und Beamten heute auch Bilder und Fahnen mit NS-Symbolik und Sprühschablonen mit der Aufschrift der seit 2005 aktiven „Division Döbeln“ fest. Außerdem beschlagnahmten sie Bankunterlagen, 30 Schulhof-CDs, sowie verschiedene Datenträger, die jetzt ausgewertet werden sollen.

Als Beispiele für den offenen Bezug zum Nationalsozialismus nannte das Innenministerium am Montag Nachmittag im Landtag mehrere mittlerweile abgeschaltete Internetauftritte der Gruppe und die darauf dokumentierten Aktionen in der jüngeren Vergangenheit. Von dem Verbot betroffen ist auch die rechte Band „Inkubation“, deren Mitglieder in dem von den „Nationalen Sozialisten Döbeln“ genutzten Gebäude auf der Reichensteinstraße geprobt und nach Einschätzung des Innenministers zum Teil auch Teil der Gruppe gewesen sein sollen. Sachsens Innenminister betonte, mit dem Verbot „den Feinden unseres Landes“ entschlossen entgegenzutreten und kündigte an, nicht zuzulassen, „dass Neonazis versuchen in unserer Heimat ein Klima der Angst zu verbreiten. […] Menschenfeindlichkeit darf bei uns in Sachsen keinen Platz haben.“ Obwohl sich rechte Gruppierungen seit geraumer Zeit darum bemühen, feste Strukturen zu vermeiden und sich regional und überregional mit vergleichbaren Gruppen zu vernetzen, sollen diese Strukturen in Sachsen auch in Zukunft „entschlossen bekämpft“ werden.

Nach wie vor bleibt schleierhaft, weshalb das Innenministerium gegen eine Kameradschaft vorgeht, die in den letzten Monaten wenn überhaupt, dann mit Propagandadelikten auffällig geworden ist. Während heute einige wenige Nazis aus Mittelsachsen durchsucht worden sind, schätzt sowohl das Innenministerium als auch der Verfassungsschutz die Vernetzung „Freies Netz“ noch immer als Informationsportal ein. Das dahinter jedoch regional verankerte Kameradschaften stecken, wird scheinbar bewusst ignoriert. Offensichtlich soll mit der medienwirksamen Aktion einmal mehr deutlich gemacht werden, wie sehr sich Sachsen im Kampf gegen „Rechtsextremismus“ engagiert. Das Ergebnis sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass abseits solcher Verbotsverfügungen die sächsische Naziszene noch immer stark untereinander vernetzt ist. Dies belegen die fast wöchentlich stattfindenen konspirativen Konzerte oder Saalveranstaltungen. Während in Sachsen zwar kontinuierlich Nazivereinigungen verboten wurden, werden, wie das Beispiel „Sturm 34“ deutlich gemacht hat, die eigentlichen Drahtzieher der Kameradschaften lediglich zu Bewährungsstrafen verurteilt. Dies geschieht jedoch nicht, weil ihnen nichts anzulasten wäre, sondern wie im Fall der Nazigruppierung aus Mittelsachsen, oft durch jahrelange Verschleppung der Prozesse. Auch lassen die von den im Landtag beschlossenen Sparmaßnahmen betroffenen Demokratieprojekte in Sachsen erkennen, dass sich Sachsen im Augenblick vor allem darum bemüht, medial inszenierte und mit polizeilichen Mitteln erreichte Erfolge zu feiern, anstatt mit finanziellen Mitteln langfristig angelegte präventive Demokratiearbeit zu sichern.

In einer Pressemitteilung begrüßte der Grüne Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn die Entscheidung die Gruppe zu verbieten und forderte den Innenminister gleichzeitig zu einer „konsequente[n] Durchsetzung des Verbots und die Unterbindung der Bildung von Ersatzorganisationen“ auf. Auch die antifaschistische Sprecherin der Linken, Kerstin Köditz, zeigte sich erfreut. Zugleich kritisierte sie jedoch das Verbot einer im Zerfall befindlichen kleinen Gruppe als „reine Symbolpolitik“ und warnte vor Radikalisierungsprozessen bei den in der Szene verbliebenen Nazis. Der SPD-Politiker Henning Homann bezeichnete das Verbot als „Anfang“ und rief ebenso wie Kerstin Köditz zu einer „konsequenteren Verbotspraxis“ rechter Organisationen und Vereine auf.

Lesenswerter Artikel: Nazistrukturen und –aktivitäten im ehemaligen Landkreis Döbeln


Veröffentlicht am 19. Februar 2013 um 01:58 Uhr von Redaktion in Nazis

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