Antifa | News

Die Polizei, kein Freund und Helfer

9. Februar 2010 - 01:13 Uhr - 3 Ergänzungen

Seit Wochen beherrscht der 13. Februar die Schlagzeilen der lokalen Medien. Kein Tag vergeht, ohne auf den „Aufmarsch tausender Extremisten“ und die zu befürchteten Ausschreitungen hinzuweisen. Der sächsische Innenminister Jürgen Martens (FDP) kündigte „eine niedrige Einschreitschwelle“ der 8.000 Einsatzkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet an. Vorsorglich wurden in der Dresdner Justizvollzugsanstalt 80 Zellen freigehalten; ein Staatsanwalt und mehrere Richter sollen für eine schnelle Verurteilung potentieller Gewaltäter sorgen.

Obwohl das zivilgesellschaftliche Bündnis „Dresden Nazifrei“ immer wieder betont hat, das bereits in einigen Städten erfolgreich umgesetzte Konzept friedlicher Sitzblockaden auch in Dresden zu praktizieren, versuchen Staatsanwaltschaft, das Ordnungsamt und nicht zuletzt die Polizei alles, um die Proteste gegen den größten Naziaufmarsch in Europa zu verhindern. So veranlasste der leitende Dresdner Staatsanwalt Christian Avenarius am 19. Januar bundesweite Durchsuchungen nach Plakaten, die zu Blockaden gegen den Naziaufmarsch aufgerufen hatten. Nur wenige Tage später ordnete das sächsische LKA die Sperrung der Internetseite des Bündnisses an. Ein öffentliches Probesitzen am 30. Januar an der Dresdner Synagoge versuchten die Dresdner Ordnungsbehörden mit Auflagen zu verhindern. Erst nach einer erfolgreichen Klage der Initiatoren, wurden vom Oberverwaltungsgericht in Bautzen Blockaden für nicht strafbar erklärt.

Auch in den letzten Jahren war es der Stadt und den Gerichten immer wieder gelungen, Proteste in Sichtweite zum Aufmarsch zu verhindern. So wurde 2009 der Startpunkt der Antifa-Demonstration durch das Dresdner Verwaltungsgericht zugunsten der Nazis vom Hauptbahnhof in die Dresdner Neustadt verlegt. Die Stadtratsfraktion der Grünen musste, nachdem sie den Naziaufmarsch vor dem Dresdner Rathaus mit „lauter, jüdischer Musik“ gestört hatte, eine Ordnungsstrafe von 150 Euro bezahlen. Die Grünen hatten 2008 in ihren Frak­tionsräumen eine „große Anlage und Boxen aufgebaut“, um die Rede der Nazis vor dem Rathaus zu beschallen.

Das medial kolportierte Bürgerkriegszenario in den letzten Wochen täuscht jedoch über die Tatsache hinweg, dass es im vergangenen Jahr bewaffnete und vermummte Einheiten der Polizei waren, die eine bis dahin friedliche Demonstration von mehreren tausend Menschen am Kulturpalast angegriffen hatten. Im Anschluss an die brutal aufgelöste Demonstration kam es zu regelrechten Treibjagden auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, etliche Personen wurden dabei zum Teil schwer verletzt.

Medial fanden die gewalttätigen Übergriffe der Polizei auch fast ein Jahr später keine Beachtung. Stattdessen war immer wieder von Übergriffen mutmaßlicher „Linksextremisten“ die Rede, die nach dem vorzeitigen Ende der Demonstration mehrere Fahrzeuge der Einsatzkräfte angegriffen und Mülltonnen in Brand gesetzt hatten. In der lokalen Berichterstattung spielt bis auf wenige Ausnahmen nur die geplante Menschenkette unter der CDU Schirmherrin Helma Orosz eine Rolle, schließlich ist ja auch die CDU irgendwie gegen Nazis oder besser die Vereinnahmung des Gedenkens durch Extremisten von Links und Rechts wie es beinahe täglich in der Presse zu lesen ist. Die geplanten Massenblockaden werden, wenn überhaupt, dann nur in Verbindung mit herbei halluzinierten gewalttätigen Ausschreitungen mutmaßlicher „Linksextremisten“ erwähnt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die Kriminalstatistik für Sachsen. So wurden im Untersuchungszeitraum 2008 19.343 Fälle von leichter und schwerer Körperverletzung erfasst. Der sächsische Verfassungsschutz zählte in seinem Jahresbericht für 2008 insgesamt 80 linke Gewalttaten. Das entspricht einem Anteil von 0.4% aller Körperverletzungen im Erhebungszeitraum. Aus den Zahlen wird deutlich, dass die Mehrheit der Gewalttaten in normalen Alltagssituationen zu beobachten sind, zum Beispiel innerhalb der Familie, auf Arbeit oder im Straßenverkehr. So sprach sich der Soziologe und Politikwissenschaftler Dieter Rucht in einem Interview gegenüber dem Deutschlandfunk anlässlich der Veröffentlichung einer umfassenden Studie über linke Gewalt des Berliner Verfassungsschutzes gegen eine Dramatisierung und Überschätzung linker Gewalt aus. Die Motive, dennoch vor Gewaltexzessen am kommenden Wochenende zu warnen sind so vielfältig wie unergründbar. Während wenigstens ein Teil der einseitigen politischen Bewertung des Tages auf die jahrelange CDU-Alleinherrschaft in Sachsen zurückzuführen ist, bietet der Tag zum anderen die willkommene Möglichkeit, von alarmierenden wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Problemen abzulenken.

Da weder die Polizei noch die Medien ein Interesse an einem friedlichen Ablauf des Tages haben, wollen wir euch an dieser Stelle einige Verhaltensregeln im Umgang mit den Ordnungskräften mit auf den Weg geben.

Die Polizei wird auch in Dresden auf das mehrfach bewährte Konzept der „räumlichen Trennung“ zurückgreifen. Der Plan, den Nazis einen möglichst störungsfreien Ablauf ihrer stationären Kundgebung bzw. Demonstration zu ermöglichen, steht im Widerspruch zum eigentlichen Anliegen des Blockade-Bündnisses. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Polizei versuchen wird, Ansammlungen und Blockaden in räumlicher Nähe zum Treffpunkt der Nazis zu unterbinden. Es wird nötig sein, sich über die Lage vor Ort mit einem Blick auf eine Karte oder durch eine Ortsbegehung in Kenntnis zu setzen. Aktive polizeiliche Maßnahmen sind in der Regel mit „unmittelbarem Zwang“ verbunden. Der Grund für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs kann sowohl der Strafverfolgung oder wie im Fall von Sitzblockaden der Gefahrenabwehr dienen. Er muss, soweit das möglich ist, angedroht werden und stellt in den meisten Fällen einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit dar.

Deshalb ist es zunächst wichtig, dass ihr euch bereits im Vorfeld Gedanken macht, mit wem ihr welche Aktion durchführen wollt und wie ihr euch gegenüber der Polizei verhalten werdet. Es ist notwendig, dass ihr euch die Telefonnummer (0351 – 89 960 456) des Dresdner Ermittlungsausschusses (EA) mit einem wasserfesten Stift auf den Arm schreibt oder versucht zu merken. Im Fall einer Festnahme solltet ihr die Aussage verweigern. Ihr seid nur dazu verpflichtet, Angaben zu eurer Person zu machen, d.h. Name, Adresse, Beruf, Geburtsdatum, Familienstand und Staatsangehörigkeit, weiter nichts! Alles was ihr sonst gegenüber den oftmals eigens dafür geschulten Beamten sagt, kann später vor Gericht gegen euch verwendet werden. Selbst wenn ihr davon überzeugt seid, unschuldig festgenommen worden zu sein, können Aussagen gegenüber der Polizei für euch und andere später Konsequenzen haben. Falls ihr festgenommen werden solltet oder eine Festnahme beobachtet, dann informiert den EA, der sich um anwaltlichen Beistand und eure Freilassung kümmert. In beiden Fällen ist es unbedingt erforderlich, dass ihr zeitnah ein Gedächtnisprotokoll (Muster) anlegt, in dem ihr eure Beobachtungen aufschreibt. Das Protokoll kann euch im Fall einer Festnahme vor Gericht weiterhelfen. Viele andere wissenswerte Informationen zum Verhalten auf Demonstrationen und Aktionen findet ihr in der Rechtshilfe-Broschüre (*.pdf) der Roten Hilfe.

Kameras haben auf einer Demonstration nichts zu suchen! Etliche Strafverfahren aus der jüngsten Vergangenheit haben gezeigt, dass vor Gericht auch einfache Handyvideos als Beweis zur Verurteilung ausgereicht haben. Wie bei jeder anderen Demonstration werden auch an diesem Tag mehrere Fototeams unterwegs sein, um das Demonstrationsgeschehen und Polizeiübergriffe ausreichend zu dokumentieren.

Falls ihr Zeuge eines Übergriffs werden solltet, macht anwesende Journalistinnen und Journalisten darauf aufmerksam und versucht den Namen des für den Einsatz Verantwortlichen zu erfahren. Der § 8 des sächsischen Polizeigesetzes sieht vor, dass Bedienstete der Polizeibehörden und des Polizeivollzugsdienstes dazu verpflichtet sind, sich gegenüber Betroffenen auszuweisen. Allerdings gilt das nicht, wenn dadurch der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Im Klartext heißt das, dass es in der Realität nahezu ausgeschlossen ist, an die Namen gewalttätiger Schlägerinnen und Schläger in Uniform zu kommen.

Die aktuellen Beispiele aus Hamburg und Berlin haben gezeigt, dass das gewaltätige Vorgehen der Polizei am Rande von Demonstrationen keine strafrechtlichen Konsequenzen zur Folge hat. Das belegen die Ergebnissen von Untersuchungen in Berlin. In gerade einmal 1,3 Prozent der angezeigten Fälle kam es überhaupt zu einer Anklage, verurteilt wurden 0,4 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Identifizierung oft vermummter bzw. nicht gekennzeichneter Beamter von der Gewerkschaft der Polizei und der sächsischen CDU seit Jahren aus Gründen der Sicherheit abgelehnt wird. Vielmehr forderte die CDU bereits im vergangenen Jahr eine Strafverschärfung bei Übergriffen auf Beamte. Aus einer von der Innenministerkonferenz im Sommer in Auftrag gegebenen Studie über Gewalt gegen die Polizei waren kürzlich Hamburg, Sachsen, NRW, Bayern und die Bundespolizei aus wenig nachvollziehbaren Gründen ausgestiegen. Die Kritik der CDU-geführten Bundesländer an der Studie waren Fragen zum biographischen Hintergrund der Beamtinnen und Beamten.

Zum Abschluss wollen wir euch ein interessantes insgesamt dreiteiliges Interview mit dem ehemaligen Polizisten Thomas Wüppesahl bei gulli.com nicht vorenthalten, in dem unter anderem auch das Thema Willkür und Polizeigewalt diskutiert wurde.

Ein von der CDU initiiertes lokales Bündnis aus Parteien, Sportvereinen und zahlreichen Initiativen fordert die Dresdner Bevölkerung auf, sich an einer 1.5 Kilometer langen Menschenkette zu beteiligen, um die Dresdner Innenstadt symbolisch vor den Nazis zu schützen. Die Menschenkette soll dem Aufruf zufolge den gemeinsamen Willen der Dresdner ausdrücken, ihr Erinnern mit dem Bekenntnis zu Frieden, Demokratie und Menschenrechten zu verbinden. Damit reiht sich das Bündnis in die Versuche der letzten Jahrzehnte ein, die stille Trauer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, politisch zu instrumentalisieren. Der institutionalisierte „Rahmen der Erinnerung“ lässt wenig Raum für individuelles Trauern und wird spätestens am Abend zum Versuch, die alliierten Luftangriffe auf die Stadt als von der Geschichte losgelösten Mythos im kollektiven Gedächtnis nachfolgender Generationen zu verankern. Als „Symbol für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt“ der Dresdner Bevölkerung dient wie schon 2005 eine weiße Rose. Diese deplatzierte Gleichsetzung der Dresdner Bevölkerung mit dem aktiven Widerstand der gleichnamigen studentischen Gruppe im Nationalsozialismus zeigt, wie wenig die eigentlichen historischen Hintergründe in der Debatte um die Bombardierung eine Rolle spielen.

Auf der anderen Seite hat sich ein breites überregionales Bündnis aus antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen das Ziel gesetzt, zum ersten Mal in nunmehr 12 Jahren, den größten Naziaufmarsch in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu verhindern. Aus diesem Grund sind alle Antifaschistinnen und Antifaschisten, alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Dresden aufgerufen, zivilen Ungehorsam auf die Straße zu tragen. Beteiligt euch an den Massenblockaden und zeigt den Nazis deutlich, dass es in Dresden und überall in Europa keinen Platz für revisionistische und nationalistische Ressentiments gibt.


Veröffentlicht am 9. Februar 2010 um 01:13 Uhr von Redaktion in Antifa, News

Ergänzungen

  • Pressemitteilung der Arbeitsgruppe „Watch-The-Police“ vom 08.02.2010

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    im Vorfeld der Aktivitäten rund um den 13. Februar 2010 in Dresden haben sich kritische JournalistInnen sowie JuristInnen zu einer Arbeitsgruppe „Watch-The-Police“ zusammengeschlossen.

    Grund für diesen Zusammenschluss sind zum einen die Maßnahmen der Dresdner Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes Sachsen gegen das Bündnis „Dresden Nazifrei!“ in den letzten Wochen und zum anderen die Vorwürfe gegen die Polizei im Februar 2009 in Dresden Regelüberschreitungen begangen zu haben.

    Wir vertreten die Auffassung, dass sich auch die Arbeit der Polizei und anderer Ordnungsbehörden an rechtsstaatliche Prinzipien und gesetzliche Vorschriften halten muss. Am 13. Februar sind staatliche Behörden in besonderer Weise gefordert mit einem guten Beispiel voran zu gehen.

    Unsere Aufgabe in Dresden sehen wir in der Dokumentation und Auswertung der Polizeiarbeit. Dazu werden wir den gesamten Tag an den Brennpunkten, insbesondere im Bereich von Veranstaltungen der GegnerInnen des rechtsextremen Aufmarsches, in mehreren Teams unterwegs sein. Wir rufen auch andere VertreterInnen der Medien und JuristInnen dazu auf, die Arbeit der Einsatzkräfte zu dokumentieren.

    Darüber hinaus möchten wir BürgerInnen in Dresden dazu auffordern uns unter der Mailadresse watch1302@immerda.ch vermeintliche Gesetzesverstöße der Polizei an diesem Tag mitzuteilen.

    Die Polizei und andere Ordnungsbehörden in Dresden sollen von uns nicht vorverurteilt oder unter Generalverdacht gestellt werden. Wir sind uns darüber bewusst, dass am 13. Februar eine schwierige Aufgabe auf sie zukommt. Wir werden im Nachgang unser Material auswerten und bei Gesetzesverstößen der Polizei mögliche Rechtswege prüfen.

    Die Arbeitsgruppe „Watch-The-Police“ wird u.a. unterstützt von Johannes Lichdi (MdL, Bündnis90/Grüne), Henning Hohmann (MdL, SPD), Fraktion.Die Linke im Sächsischen Landtag, Miro Jennerjahn (MdL, Bündnis90/Grüne), Eva Jähnigen (MdL, Bündnis90/Grüne), Rechtsanwalt Rolf Franek, Rechtsanwaltskanzlei Michael Sturm, Rechtsanwaltskanzlei Israel & Hübner, Rechtsanwalt Gerhard Rahn.

  • Hallo, ich bin Journalist und suche für Sa. eine Mitfahrgelegenheit nach DD und zurück nach Berlin inkl. meinem Equipment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.