Antifa

Kaum Wasser, kein Essen, kein Schlaf: 10 Stunden im Polizeikessel von Leipzig

13. Juni 2023 - 13:07 Uhr

Thori ist 18 Jahre alt, hat gerade das Abitur beendet und betätigt sich politisch. Am 03.06.2023 ist Thori aus Dresden nach Leipzig fahren, um gegen die Urteile im Antifa-Ost-Prozess zu protestieren, wie Thori sagt. Dass die geplante Demonstration, in einer Nacht im Polizeikessel endet, hatte Thori nicht erwartet. Im Interview schildert Thori die Erlebnisse aus Leipzig, welche psychischen Folgen das für Thori hatte, aber auch, was Thori während des Kessels geholfen hat. Eine Rekonstruktion der Ereignisse und ihre Folgen.

Anmerkung: Das Interview enthält Schilderungen von Polizeigewalt sowie köperliche und psychische Folgen.

Du bist mit mehreren Menschen am 03.06.2023, dem angekündigten Tag X, nach Leipzig gefahren. Was war eure Motivation dazu?

Erstens, weil wir unzufrieden waren mit dem Urteil, das sehr hart gefällt wurde. Dann wollten wir uns mit allen Menschen solidarisieren, die so verurteilt wurden. Und ehrlich gesagt hatten wir auch ein bisschen Bock auf Demo.

Am 01.06. wurde dann die ursprünglich geplante Tag X – Demo abgesagt und das Versammlunsgrecht für Versammlungen mit Bezug auf den Antifa-Ost-Prozess eingeschränkt…

Ja, wir sind dann zur Demo von Jürgen Kasek und Say It Loud Leipzig, denn hierfür galt die Versammlungsfreiheit weiterhin [Anm. diese Demo war thematisch gegen die Einschränkung des Versammlungsrechts angemeldet worden]. Unser Recht auf Demonstration wollten wir wahrnehmen und zeigen, dass wir uns nicht kleinkriegen lassen. Für uns war klar, dass wir auf die angemeldete Demo gehen, dadurch dass es diese gab. Das schien die sichere Option, denn wir dachten wir sind damit in einem sicheren, rechtlichen Rahmen.

Ihr seid an dem Tag,also wie geplant, von Dresden nach Leipzig gefahren und dann auf dem Alexis-Schumann-Platz, dem Ort der angemeldeten Startkundgebung angekommen. Wie war das und was waren deine Eindrücke, als ihr angekommen seid?

Schon vor unserer Ankunft hatte die Polizei die Karli [Anm. Karl-Liebknecht-Straße] mit Sixern abgesperrt [Anm. große Polizeimannschaftswägen]. Wir sind von der Karli gekommen und auf den Alexis-Schumann-Platz gegangen. Der Platz war an einigen Stellen überfüllt, auf der Wiese war es aber noch locker gestellt und die Cops standen um den ganzen Platz rum.

Und wie war dein Eindruck von der Stimmung?

Neben uns stand eine größere Gruppe auf der Straße, die waren bereits in die Richtung der Demo blockmäßig aufgestellt. Es gab dann immer ein abwechselndes Zurufen von Demosprüchen zwischen dem Block und anderen Menschen auf dem Platz. Und von der Stimmung her waren alle entspannt, die Leute waren bereit zum Loslaufen für die angemeldete Demo auf der Ausweichroute. Es war jetzt niemand da, der schon gleich Steine gezückt hätte.

Was habt ihr dann erstmal gemacht?

Wir standen ungefähr von 17.00 bis 17.30 Uhr am Rand des Parks hin zur Karl-Liebknecht-Straße. Die genaue Zeit weiß ich nicht, aber um 17.30 Uhr hatte ein Person auf Twitter geschaut und berichtet, dass der ganze Platz bereits von der Polizei umstellt war. Da haben wir uns schon gefragt: Kommen wir überhaupt noch runter? Warten wir jetzt darauf, dass es einen Durchgang gibt, damit die Demo losläuft?

Wie ist es dann gekommen, dass ihr im Kessel gelandet seid?

Gegen 18:00 Uhr gab es dann etwas Gerenne, Menschen wollten raus aus dem Park. Ich habe nur gesehen, dass es etwas entfernt roten Rauch gab. Dann hat die Polizei relativ schnell alle Menschen zusammen gedrängt. Wir wollten uns in dem Gedränge nicht verlieren, haben uns in einer Kette festgehalten und sind so über die Straße auf den Heinrich-Schütz-Platz, bis zu diesem Busch gelaufen. Dort standen wir mit dem Rücken direkt am Busch und konnten uns nicht mehr bewegen, weil die Masse um uns herum gedrängt war.

Wir dachten zuerst, dass wir raus könnten, aber es war einfach zu eng. Ich glaube, 18:30 Uhr war uns dann klar, dass wir im Kessel standen. Zu dem Zeitpunkt haben wir auch die Cops gesehen, die den Kessel gebildet haben. Da dachten wir, dass wir jetzt einfach in einer Maßnahme sind und vielleicht 2 Stunden hier abwarten müssen.

Was habt ihr dann die ersten Stunde im Kessel gemacht?

Erstmal hat sich meine Bezugsgruppe aufgeteilt, weil eine Person Panik bekommen hat aufgrund der Enge. Die Person ist dann mit ein paar Leuten an eine Stelle gegangen, wo mehr Luft war. Wir anderen wollten aber nicht direkt dort an der Polizeikette stehen. Das war uns zu risky, denn wir hatten Angst, rausgegriffen zu werden.

Dann habt ihr erstmal gewartet?

Ja, wir haben gewartet. Die Polizei hat dann den Sichtkontakt zu der Soli-Demo auf der anderen Seite mit ihren Polizeiautos und doppelreihiger Kette gesperrt und hat noch Wasserwerfer aufgefahren. Das war dann sehr bedrohlich und wir haben uns gefragt, was ist, wenn wir jetzt nass werden und ob uns die Polizei vorgewarnt hätte, bevor die Wasserwerfer eingesetzt werden.

Wie war die generelle Stimmung im Kessel am Anfang?

Die Stimmung war relativ gut. Wir dachten, dass wir jetzt einfach bis 20/21 Uhr abwarten, rausgelassen werden, weil so viele Menschen drinnen sind, gibt es dann keine ED-Behandlung [Anm. Erkennungsdienstliche Behandlung].

Manche haben Karten gespielt, ich hatte mein Häkelzeug dabei. Viele haben einfach nur gewartet und sehr viel geraucht. Es wurde auch alles geteilt. Das war sehr schön. Manche haben sich auch umgezogen.

Gab es Kontakt zu anderen Menschen?

Zu den Demo-Sanis auf jeden Fall. Wobei in den ersten Stunden wurden sie gar nicht reingelassen. Ich habe Menschen gesehen, die in der Zeit zusammengeklappt sind, andere hatten Panikattacken. Es war auch so eng, dass die Sanis nicht durchkonnten. Und wenn dann von allen Ecken Menschen rufen „Wir brauchen Sanis“ und die werden nicht reingelassen, ist das schon sehr schwierig.

Irgendwann sind Anna Gorski und Marco Böhme als parlamentarische Beobachtung gekommen. Ich weiß nicht, wie lange die da waren, aber die sind dann auch wieder gegangen. In der Nacht waren dann zwischenzeitlich keine Pressemenschen, keine parlamentarische Beobachtung dar, die Polizei konnte machen, was sie wollte mit uns.

Aber die Sanis waren die ganze Zeit da. Wie war deren Anwesenheit für dich?

So nice! Es gab einen Spruch, der immer wieder gerufen wurde: „Die Demosanis sind heute die Besten!“ und das stimmte! Immer wenn wir Sanis gesehen haben, dachten wir uns, dass es da Menschen gibt, die uns unterstützen, die auf unserer Seite stehen und die uns verarzten können. Die sind auch einfach richtig professionell. Später ist zum Beispiel eine Person umgekippt, die einen Schlagstock abbekommen hatte und bei der die Wunde noch sichtbar war. Die Person musste dann im Dreck verarztet werden. Das war nicht mehr so hygienisch, aber die Sanis haben gesagt:  Das machen wir, das kriegen wir hin. Sie haben auch Menschen raus geführt, wenn sie Panikattacken hatten und haben sie getröstet. Außerdem haben sie auch das Essen und die Wärmedecken ausgegeben und waren, glaube ich, daran beteiligt, die Kommunikation aufzustellen mit anderen Unterstützer*innen, die Sachen gebracht haben.

Wann ist es euch klar geworden, dass dieser Kessel jetzt länger bestehen wird?

Am Anfang dachten wir noch, dass wir den letzten Zug um 23:00 Uhr zurück nach Dresden kriegen. So gegen 0 Uhr ungefähr, haben wir uns damit abgefunden, dass es länger dauern wird. Wir sind dann zum anderen Teil der Bezugsgruppe gegangen. Eine Person aus unserer Bezugi ist nach draußen, weil sie Medizin brauchte. Die Person wurde von den Sanis nach draußen begleitet und ist trotzdem erst in eine ED-Maßnahme gekommen.

Wie ging es euch mit diesem Bewusstsein, so lange im Kessel zusein und dass es noch länger dauern wird?

Ich bin dann kurz nach 0 Uhr auf Toilette, weil ich nicht mehr anhalten konnte. Das war einfach nur schrecklich. Ich bin dann zu diesem Busch gegangen, der nicht mehr existiert hat, und wo Pullis, Jacken, Schlauchschals und alle möglichen Müllsachen drin lagen. Da haben alle einfach drauf gepinkelt, aber ich konnte das nicht. Ich bin auf dem Weg zurück dann auch noch über drei Menschen gestolpert. Also alle waren fertig.

Ich habe in Berichten gelesen und du hast es ja auch schon gesagt, dass es extrem eng war und nicht alle sitzen konnten. Wie seid ihr damit umgegangen, was hat das so mit euch gemacht?

Halt abwechselnd sitzen. Dieser Park war staubig und sehr trocken und überall waren Holzspäne auf dem Boden, da konnte man kaum richtig sitzen. Ich habe mich zwischendurch auch 2 Stunden hingesetzt. Und zwischendurch stand ich wieder, weil andere sich hingesetzt hatten – immer so wie Platz war irgendwie. Es war irgendwann auch unbequem zu sitzen, weil es kälter wurde. Es gab zwar Wärmedecken, aber einfach nicht ausreichend. Ich lag eine halbe bis dreiviertel Stunde mit einer anderen Person aus meiner Bezugi unter einer Wärmedecke. Da hatten wir dann relativ viel Platz, weil alle Menschen einfach übereinander lagen, also z.B. auf den Beinen einer anderen Person. Ich habe auf meinem Rucksack  und im Dreck gelegen mit der Wärmedecke drüber. Aber das ist so ein dünnes Ding und fliegt ständig weg.

Es waren ja 6-7° Grad nachts. Wie seid ihr dann damit umgegangen im Kessel? Was hat das mit euch gemacht?

Ich konnte gar nicht entscheiden, ob ich jetzt Angst und Panik habe oder einfach nur vor Kälte zittere. Ich glaube es war beides. Eine Person aus meiner Gruppe hatte nur eine kurze Hose und T-Shirt an. Wir haben uns dann zwei Wärmedecken umgelegt, aber das reichte nicht, es war so kalt: Wir hatten kalte Füße und alles tat weh.

Wie war das denn mit dem Essen?

Also ich konnte die ganze Zeit nichts essen, weil ich so Angst hatte, da ging das nicht. Ich hatte noch Pizza mit vom Vortag und habe die Anderen gegeben. Einmal ging so eine Art Joghurt Becher mit irgendwas drin rum, da haben alle ein Löffel rausgenommen und weitergegeben. Das war auch schön zu sehen.

Die Polizei ist ja verpflichtet, euch mit Wasser und Toiletten zu versorgen. Es steht überall es gab einen Wasser- und Toilettenwagen, wie hast du das erlebt?

Der Wasserwagen, ich weiß gar nicht, ob der von der Polizei oder von den Sanis war, der stand außerhalb des Kessels. Die Sanis haben dann immer Wasserflaschen aufgefüllt und wieder reingegeben.

Mit dem Toilettenwagen war es die völlige Verarsche: Man musste sich erst ED behandeln lassen, um auf den Toilettenwagen zu können. Das wollten wir nicht.

Um 1 Uhr ging die Info dazu herum mit Mic-Check [Anm. Eine Person ruft „Mic-Check“ und sagt etwas, was dann andere laut wiederholen so dass es alle mitbekommen].

Wie war dann die Stimmung untereinander? Ihr habt euch alles geteilt, meintest du. Aber kam es dann auch irgendwann zu Unmut untereinander, weil nicht alle sitzen oder liegen können zum Beispiel?

Eigentlich kaum. Viele Menschen haben gesehen, dass sie gerade schon was bekommen haben, haben dann getauscht. Es war sehr solidarisch. Das war ein sehr schönes Gefühl. Jedes Mal, wenn Menschen rausgegriffen wurden, wurde auch gerufen „Du bist nicht allein.“ Und es gab noch die Soli-Demo auf dem Alexis-Schumann-Platz, aber der Platz  wurde auch irgendwann geräumt. Vorher gab es aber Rufe von drüben und dann Rufe von uns zurück. Dadurch dachten wir: „Wir sind nicht allein, wir werden nicht vergessen.“ Das war sehr schön.

Wie sind die sonstigen Informationen zum Beispiel, was mit euch passiert, reingekommen? Durch die Polizei?

Nee von der Polizei gar nicht. Die haben sich mehr an die Soli-Demo, wohin auch der Lautsprecherwagen ausgerichtet war, gerichtet. Die haben uns auch nicht gesagt, wie lange wir dableiben werden oder wie wir behandelt werden. Klar, am Anfang haben sie uns den Vorwurf „schwerer Landfriedensbruch“ gesagt, aber danach kamen keine Ansagen mehr an uns.

Es gab immer wieder Berichte von Minderjährigen im Kessel. Was hast du davon mitbekommen?

Es gab relativ schnell noch eine weitere Ansage von der Polizei, dass alle Minderjährigen schneller behandelt werden oder schneller raus können zu ihren Familien und nicht im Kessel bleiben müssen oder so. Aber gegen 0 Uhr waren sie auf jeden Fall noch da, ich glaube die sind dann erst gegen 1 Uhr raus.

Einige Minderjährigen saßen in einem kleinen Kreis etwas gesondert, wahrscheinlich weil sie das gleiche Schicksal hatten. Aber ich weiß auch von mehreren Minderjährigen, dass sie bei älteren Personen geblieben sind, die sie kannten. Die Minderjährigen, die gegen 1 Uhr raus sind, sind dann in die GeSa gekommen und mussten sich da fast komplett ausziehen. Das wurde später auch in den Kessel reingetragen. Da waren dann alle sehr verunsichert und dachten: Hoffentlich passiert uns das nicht.

Aus einer bestimmten Perspektive könnte man sagen, ihr hättet doch auch einfach durchs „Gate“ spazieren können, dann hättet ihr halt eine ED-Behandlung bekommen und wärt frei gewesen. Warum habt ihr das nicht getan?

Wir wussten nicht, ob wir dann vielleicht DNA und Fingerdrücke abgeben müssen und ob es dann nochmal stärkere Untersuchungen gibt. Es hieß es werden auf jeden Fall Fotos in Wechselkleidung und in der Kleidung, die wir an haben, gemacht, das wollten wir nicht.

Wir hatten auch noch relativ lange die Hoffnung, dass wir ohne ED-Behandlung rauskommen, weil wir eben so viele Menschen waren. Wir dachten, wir halten das einfach durch.

Wie hat sich die Polizei dann im weiteren Verlauf der Nacht verhalten?

Am Anfang haben sie Pfeffer rein gesprüht. Wir haben nichts abbekommen, aber andere hatten später noch rote Augen. Als so gegen 10/11 Uhr die Ruhephase begonnen hat, als die Leute auch müde wurden, haben sie ihre Scheinwerfer aufgefahren. Die haben so geblendet, dass man sich nicht ausruhen konnte. Ab dann war es auch so, dass die Polizei ab und zu provoziert oder ein bisschen gedroht hat und näher auf den Kessel zugegangen ist. Dadurch dachten alle, dass gleich etwas passiert, sind aufgesprungen und konnten sich nicht mehr ausruhen. 

Ab 01:30 Uhr hieß es auf einmal, Menschen werden nun schneller ED-behandelt. Wir lagen in dem Moment noch und sind dann wie alle anderen schnell aufgesprungen. Die Polizei wollte den Kessel kleiner machen und ist reingestürmt und hat Menschen rausgegriffen. Wir standen einfach mit erhobenen Händen am Rand. Es gab Aufrufe, Ketten zu bilden, aber wir hatten einfach Angst und wollten nicht verprügelt werden. Wir wollten symbolisieren, dass wir friedlich sind und niemanden schlagen, damit die Polizei keine Schmerzgriffe anwendet.

Dann war immer wieder für einige Zeit Ruhe und dann wurde wieder reingestürmt. Die Menschen lagen und saßen auf dem Boden, weil sie nicht mehr stehen konnten und wurden dann von der Polizei richtig hochgerissen.

Was hat das mit dir gemacht?

Ich hatte richtig Angst. Also ab 4 Uhr wurde es richtig schlimm. Das war die letzte halbe Stunde bei uns. Da standen wir als Gruppe einfach mit erhobenen Händen da und ich habe einfach nur noch gezittert und geweint. Ich hatte halt keinen Bock mehr und dachte nur: „Entweder holt mich jetzt halt raus oder gar nicht“. Dann wurden Menschen aus unserer Gruppe rausgeholt. Der Rest ist dann zu diesem „Gate“ wo wir meinten „Wir wollen gerne abgeführt werden“. 

Wie ist es dann weitergegangen als ihr rausgegangen seid?

Wir mussten am „Gate“ noch kurz warten. Dann kamen zwei Cops an, und haben mich an der Schulter angefasst und rausgeführt. Auf dem Weg durch den Park zur ID-Stelle, hat er mich gefragt, ob ich aufnahmefähig sei und Personalausweis und Handy mithabe. Ebenfalls noch im Park hat er mir dann gesagt: „Ihnen wird vorgeworfen schweren Landfriedensbruch und schwere Körperverletzung begangen zu haben.“ Dann haben die mich zu den Autos geführt. Dort wurde ich kontrolliert, von einer Polizistin abgetastet und es wurden Fotos gemacht. Da haben sie mir auch meinen Platzverweis gegeben. Alle aus unserer Gruppe haben Platzverweise für verschiedene Zonen bekommen, manche nur für den Platz, manche für eine größeres Gebiet und manche auch nur mündlich. Das schien sehr zufällig. Die anderen in meiner Gruppe haben auch keine Körperverletzung vorgeworfen bekommen.

Wie geht es dir jetzt hinterher damit? Wie gehst du mit der Erfahrung weiter um?

Ich fange jetzt manchmal einfach an zu weinen, wenn ich an den Kessel denke. Aber ich kann das noch nicht so ganz verarbeiten wahrscheinlich.

Ich denke, ich werde da irgendwann mal hinfahren, um mir den Ort anzuschauen, an dem ich 10 Stunden im Kessel war. Ich weiß nicht, ob ich das allein machen werde oder mit anderen Menschen zusammen. Vielleicht mit Menschen aus meiner Bezugi. Es ist halt immer schwierig über mentale Probleme zu sprechen, weil das nicht immer alle so offen machen.

Wenn du darüber sprechen magst, denkst du diese Erfahrung hat psychische Folgen für dich?

Ja ich denke schon. Ich habe Angst vor Samstag, weil dann ist es ja eine Woche her. Und wahrscheinlich auch nächstes Jahr, wenn es dann Jahrestag ist. Ich habe auch andere Personen getroffen, die psychisch belastet sind, eine meinte, sie könne nur noch zwei Stunden in der Nacht schlafen und habe ständig Albträume. Mich hat es nicht ganz so hart getroffen, aber trotzdem auch irgendwie. Was mich wütend macht, ist diese Aussage, dass die „bösen Antifas“ selbst daran schuld seien. Im Kessel selbst war keine Person gewalttätig, gewalttätig war die Polizei uns gegenüber. So wird einem die Erfahrung abgesprochen, dass Menschen da vielleicht auch traumatisiert wurden.

Am Sonntag war ich bei der Sponti in Dresden [Anm. angemeldete Demonstration der Jusos gegen Polizeirepression], weil ich dachte, wenn ich da nicht hingehen würde, dann hat die Repression gewirkt. Dort hatte ich das Gefühl, nicht allein zu sein und dass andere auch diese Erfahrung durchgemacht haben. Das hat mir Kraft gegeben. Jetzt habe ich aber auch Angst vor einer Hausdurchsuchung.

Wie kommt es, dass Du Angst davor hast?

Naja, ich habe als zusätzlichen Vorwurf schwere Körperverletzung bekommen und das wiegt halt schwerer. Ich habe auch festgestellt, dass ich nicht so gerne rausgehe. Denn ich habe das Gefühl, dass ich dann entweder draußen von der Polizei erkannt werde oder das ich nicht zuhause bin, wenn die Polizei bei mir in der Wohnung ist. Heute früh bin ich auch aufgewacht mit dem Gedanken, wieder eine Nacht rumgekriegt zu haben, da die Polizei ja wenn wahrscheinlich früh kommen würde. Deswegen noch ein allgemeiner Punkt: Wendet euch an die Rote Hilfe,verwendet sichere Passwörter! [Anm. Bei Fragen zu Repressionen wendet euch in Dresden an den Ermittlungsausschuss (EA) https://ea-dresden.site36.net/]

Gibt es noch etwas abschließendes was du sagen willst? 

Ja, es gab mal ein Gerichtsurteil, dass die Polizei den Menschen in einer Maßnahme gewisse Sachen zur Verfügung stellen muss [Anm. gemeint ist das Urteil des Amtsgericht Danneberg 2004. Amnesty schreibt dazu: Nach AG Dannenberg sind mehr als kurzfristige Polizeikessel nur zulässig, wenn im Vollzug menschenwürdige Bedingungen möglich sind (z.B. Toiletten, Getränke, Witterungsschutz Sitzgelegenheiten oder Isomatten…); ist die Polizei dazu nicht in der Lage, müssen die Leute freigelassen werden (AG Dannenberg, B. v. 22 .07.2004 – 39 XIV 512/02 L; so auch LG Hamburg, NVwZ 1987, 833; anders OLG Celle, B. v. 25.10.2004 – 16 W 145/04, dad (sic!) Vorsorge mit WC etc. von der Vorhersehbarkeit abhängig macht. Quelle: https://amnesty-polizei.de/wp-content/uploads/2009/02/ravseminarpolizeirechtfreiheitsentziehung.pdf; S. 16] Was in Leipzig ja nicht passiert ist. Wo sind unsere Grundrechte?

Vielen Dank dir für das interview und weiterhin viel Kraft!

Bildquelle: https://twitter.com/pm_cheung/status/1665168924973887493


Veröffentlicht am 13. Juni 2023 um 13:07 Uhr von Redaktion in Antifa

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