International

Kurdischer Buchverlag und Musikvertrieb in Deutschland verboten

31. Januar 2022 - 11:20 Uhr

Am vergangenen Mittwoch demonstrierten etwa 70 Menschen vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig. Anlass war die Verhandlung der zuvor eingereichten Klage gegen das Verbot der Mezopotamien Verlags-GmbH und der MIR-Multimedia GmbH. Beide Verlage waren im Februar 2019 als Teilorganisationen der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) verboten und tausende literarische und musikalische Werke beschlagnahmt worden. Unter den Demonstrierenden befanden sich auch Autor:innen und Musiker:innen, die in den verbotenen Medienhäusern ihre Werke veröffentlicht hatten und deren Arbeit durch das Verbot maßgeblich eingeschränkt wurde. Im Vorfeld der Verhandlung hatten über 100 Kulturschaffende und Verlage eine Solidaritätserklärung unter dem Titel „Gegen politische Zensur und die Einschränkung von Publikationsfreiheit und kultureller Vielfalt“ veröffentlicht und zur Solidarität mit den beiden kurdischen Medienhäusern aufgerufen.

Bereits im März 2018 war es zu einer dreitägigen Razzia gekommen, welche auf Beschluss des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts erfolgte. Dabei wurden tonnenweise Bücher, CDs, Archivmaterial sowie technische Geräte aus den Räumlichkeiten der beiden Verlage beschlagnahmt und in Lastwagen abtransportiert. Am 12.02.2019 kam es erneut zu einer Großrazzia in den Verlagsräumlichkeiten, wobei ca. 50.000 literarische Werke und das europaweit größte kurdische Musikarchiv beschlagnahmt wurden. Der damalige Bundesinnenminister, Horst Seehofer, begründete das Verbot der beiden Medienhäuser damit, dass die Verlage Teilorganisationen der in Deutschland 1993 verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seien und ihre Existenz lediglich der Förderung des Zusammenhalts der PKK diene.

Anlässlich der Leipziger Buchmesse im Jahr 2019 erklärten sich mehr als 90 Medienschaffende, Verlage und Buchhandlungen mit den beiden Medienhäusern solidarisch. In ihrer gemeinsamen Erklärung sprachen sie von politischer Zensur und forderten die Aufhebung des Verbots. Des Weiteren wiesen sie in ihrer Solidaritätserklärung auf den naheliegenden Verdacht hin, das repressive Vorgehen gegenüber der Verlagshäuser sei in Absprache bzw. im Interesse der türkischen Regierung geschehen, da die ersten Razzien nur wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei stattfanden. Ausdrücklich betonten die Medienschaffenden: „Die Meinungs- und Publikationsfreiheit ist unabdingbare Grundlage unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft in Deutschland und verträgt nicht die geringsten Verdachtsmomente der Einschränkung.“

Die Musikerin Deniz Deman, welche von dem Verbot des Musikvertriebs MIR Multimedia auf besondere Weise betroffen ist, erklärte damals: „Der deutsche Staat vertieft seine Beziehungen mit dem faschistischen Erdoğan-Regime immer weiter. Um Erdoğan zufrieden zu stellen, setzt der deutsche Staat auf eine Verbotspolitik und zeigt damit seine Unterstützung für die völkermörderische Politik der Türkei. Wir verurteilen diese Angriffe auf unsere Kultureinrichtungen aufs Schärfste und rufen alle Künstlerinnen und Künstler, alle demokratischen Menschen auf, gemeinsam gegen diese Verbotsmentalität zu kämpfen.“

Am Abend des 26.01.2022 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Verbot der beiden Medienhäuser, obwohl die herausgebrachten Medien an sich keinem Verbot unterliegen. Aus Sicht der Anwält:innen, die die Verlage juristisch vertreten und gegen das Verbot geklagt hatten, ist diese Gerichtsentscheidung ein schwerwiegender Eingriff in die Kunstfreiheit und ein Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Verhältnismäßigkeit. Zudem wiesen sie darauf hin, dass die Verlage nicht nur Bücher in verschiedenen Sprachen zu kurdischer Geschichte, zur kurdischen Frauenbewegung und Schriften von Abdullah Öcalan veröffentlicht, sondern auch in türkische und kurdische Sprache übersetzte Romane und Klassiker der Weltliteratur sowie Kinderbücher herausgebracht hatten. Keines der Werke wurde an sich je inhaltlich beanstandet, was nun die Gerichtsentscheidung als Kriminalisierung eines Teils der kurdischen Kultur unter dem Vorwand einer sogenannten Terrorbekämpfung aussehen lässt, so die Einschätzung einer der Anwält:innen.

Der Unrast-Verlag  hat sich inzwischen mit der Edition Mezopotamya der Zensur des deutschen Bundesinnenministeriums (BMI) entgegen gestellt und einen Teil des deutschsprachigen Programms aus dem Mezopotamien Verlag erneut aufgelegt. Bisher ist noch unklar, was mit dem europaweit größten Archiv an kurdischer Musik passiert. Der Aspekt der kulturellen Unterdrückung bildet eine oft wenig beachtete Seite staatlicher Repression, da sie sich nicht gegen klassische politische Organisierung, sondern nach kolonialistischem Vorbild, auf die Auslöschung von Identitäten und Kultur richtet. Immer wieder wird deutlich, dass die repressive Politik der Türkei gegen die kurdische Minderheit auch in Deutschland weitergeführt wird. Dies wird besonders am Umgang mit den kurdischen Kulturgütern deutlich wird.


Veröffentlicht am 31. Januar 2022 um 11:20 Uhr von Redaktion in International

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