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Gegen Extremismus: Damit kann sogar die NPD leben

6. April 2010 - 22:12 Uhr - Eine Ergänzung

In Sachsen hat es die NPD erstmals eine offen neonzistische Partei geschafft, in den Landtag einzuziehen – und nach fünf Jahren nicht wieder herauszufliegen. In Sachsen gab es das erste “Bündnis gegen Extremismus” – mit Beteiligung der NPD. Denn das Motto “gegen Extremismus” könne sogar diese Partei unterstützen, schreibt Petra Schickert in ihren Anmerkungen zum Extremismusbegriff aus Sicht der Zivilgesellschaft.

Das Kulturbüro Sachsen e.V. ist seit über acht Jahren in der Beratung und Begleitung zum Themenschwerpunkt «Rechtsextremismus» in sächsischen Kommunen tätig. Diese Arbeit ist ursprünglich im Rahmen des Bundesprogramms «Civitas – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern» entstanden. Diesem Bundesprogramm lag eine Problembeschreibung zugrunde: antisemitische, rassistische und neonazistische Erscheinungen traten in verschiedenen Regionen Deutschlands unterschiedlich stark zu Tage, dabei wurde zunächst der Osten Deutschlands als besonderer Schwerpunkt ausgemacht. Wir standen 2001 vor der Situation, dass wir ausgestattet mit Bundesmitteln in Sachsen tätig wurden, ohne dass es seitens der Landespolitik oder sächsischer Lokalpolitik ein Problembewusstsein gab, hier hatte kaum ein politisch Verantwortlicher, eine politisch Verantwortliche ein Problem! Wer es gewagt hat, um die Jahrtausendwende oder gar vorher rassistische, neonazistische oder antisemitische Erscheinungen zu benennen, galt ausnahmslos als Nestbeschmutzer. Täter-Opfer-Umkehr, Sprüche von «fehlgeleiteten», «fehlerzogenen» Jungs waren an der Tagesordnung. In unserer Arbeit vor Ort stießen wir auf vielfältige undemokratische Tendenzen bis dahin, dass es insbesondere ländliche Regionen gab, in denen eine rechtsextreme Dominanz im jugendkulturellen Bereich vorherrschte. Sachsen hatte und hat eindeutig ein Rechtsextremismusproblem!

Dies so klar zu benennen, war politisch nicht gewollt, gestützt wurde dies durch eine Fachöffentlichkeit in Sachsen, zumindest seitens konservativer Politikwissenschaft. Kritische Stimmen verschaffen sich erst langsam Gehör. Trotz eines erkennbaren Rechtsextremismusproblems begegnet uns in Beratungsgesprächen und Workshops häufig die Position, der Linksextremismus sei viel schlimmer, er sei das eigentliche Problem.

Ist es nur der von der regierenden sächsischen Politik vorgegebene Begriff «Extremismus» oder wurde und wird dieser nicht unhinterfragt vielfach übernommen? Wer füllt wie die Begriffe «Rechtsextremismus», «Linksextremismus», «Extremismus» aus?

Beispiele aus dem Praxisalltag

Eine Problemsicht!?

Ein Schulleiter einer Kleinstadt im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sagt im Rahmen einer «Kontrollberatung zu Aktionen gegen Rechtsextremismus», dass sei nicht sein Problem, er habe eher Probleme mit dem Linksextremismus. Das «Anarchisten-A auf dem Rucksack und die Hundebänder um den Hals der Punks» bereiteten ihm größere Sorgen. Diese Sicht ist angesichts rassistisch motivierter Übergriffe in den letzten Jahren und der hohen NPD-Ergebnisse an Schulen im Ort, übrigens auch an der des besagten Schulleiters, im Rahmen der U18 Wahlen im Jahr 2009 schon erstaunlich.

Ähnliche Erfahrungen konnte ich anlässlich der Klausurtagung eines im sozialen Bereich tätigen Landesverbandes im Frühjahr 2009 sammeln. Unter dem Thema «Wie hilflos sind wir eigentlich – vom Umgang mit extremistischen Erscheinungen», sollte ich über rechtsextreme Erscheinungen in Sachsen referieren und Handlungsmöglichkeiten im Bereich der sozialen Arbeit aufzeigen. Bereits nach wenigen Minuten war einer der Zuhörer der Meinung, das sei nicht richtig, der «Linksextremismus» sei schlimmer. Da Zahlen vom Verfassungsschutz nicht überzeugten, wollte ich die Diskussion in die Pause verlegen. Nach meinem Vortrag führte der Geschäftsführer des Landesverbandes mit folgenden Worten in die Diskussion ein: «Konkrete Problemanzeigen hätten sie zur Aufnahme des Themas veranlasst: den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen im Bereich der Altenpflege, eine junge Frau im Freiwilligen Sozialen Jahr, die sich der rechtsextremen Szene zuordnete und ein Jugendclub in Trägerschaft des Vereins, der u.a. vom stellvertretenden Landesvorsitzenden der JN und einem HDJ-Mitglied aufgesucht wurde.

Unkritische Übernahme der Begrifflichkeiten

Im Zuge der Etablierung der Strukturen Steuerungsgruppe und AG Extremismus im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ging das Wort «Extremismus» in den normalen Sprachgebrauch auch von Menschen über, die das Problem schon mal genauer beschrieben haben. Inhaltlich beschäftigt sich die Runde nahezu ausschließlich mit dem Rechtsextremismus. Einmal erlaubte sich ein Sozialarbeiter die kritische Nachfrage, ob nicht angesichts permanenten Mobbings, rassistischer Sprüche und politisch motivierter Gewalt seitens rechtsextremer Jugendlicher und junger Erwachsener, wie er sie im Schulalltag erlebe, der linke Spruch an einer Hauswand mit der Bezeichnung «linksextremistisch» überbewertet wird. Das wurde nicht weiter diskutiert.

Vorstellung und Diskussion der Hausordnung für den Jugendclub Reinhardtsdorf-Schöna im Gemeinderat

Nach ca. einem halben Jahr intensiver Arbeit unsererseits mit Jugendlichen aus Reinhardtsdorf-Schöna in Vorbereitung der Eröffnung eines neuen Jugendclubs stellten die Jugendlichen die erarbeitete Hausordnung im Gemeinderat vor. In der Hausordnung sollte angesichts der Probleme im Ort, der frühere Jugendclub war ein Treff- und Konzertort der Aufbauorganisation der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS-AO), es existiert eine enge Verknüpfung von neonazistischer Jugendszene und NPD, die hier Wahlergebnisse um 25 % erzielt, u.a. stehen:

Die NPD wünscht "gute Heimreise"... (Foto: Marek Peters)

Das rechtsextreme Erscheinungen in Form von Kleidung, Sprüchen, Musik im Jugendclub nicht geduldet werden. In der anschließenden Diskussion meldet sich ein NPD-Gemeinderat zu Wort: Er meinte, wenn «rechtsextremistisch» durch «extremistisch» ersetzt wird, könne auch er damit leben. Dann hätte das «Toten-Hosen-T-Shirt», welches der junge Mann trug, auch nichts im Club zu suchen, das wäre schließlich, ich zitiere, «das Gegenstück zu unserem Thor Steinar». Eine weitere Diskussion bzw. Stellungnahme demokratischer Vertreter_innen im Gemeinderat kam nicht zustande. (Quelle: Sächsischen Zeitung Pirna vom 23.3.2007)

Der Verein «Vivle Courage» in Mügeln

In Mügeln ist seit 2007, nach dem alltagsrassistischen Überfall auf Inder zum Stadtfest der Verein «Vivle Courage» aktiv, überwiegend junge Menschen, die sich selbst organisieren, ein Haus wieder nutzbar machen, die basisdemokratisch arbeiten. Sie wollen sich mit Erscheinungen von Alltagsrassismus und dem Wegschauen in ihrem Ort nicht abfinden. Im vergangenen Jahr organisierten sie eine antirassistische Woche. In diesem Rahmen sollte auch
ein Konzert im Park stattfinden. Den Park bekommen sie von der Stadt nicht. Begründung: Im Park sollen keine politischen Veranstaltungen stattfinden. Im Sommer und Frühherbst letzten Jahres sehen sich die Jugendlichen immer wieder mit einem Mob vor ihrem Haus konfrontiert. Es kommt zu Sachbeschädigungen und erheblichen Bedrohungssituationen. Die jungen Menschen vom Verein werden als linksextremistisch diffamiert. Sind Projekte, die sich basisdemokratisch organisieren und gegen Rassismus, Neonazismus und Antisemitismus in ihren Orten arbeiten gleich linksextrem?

Die Beispiele sind aus unterschiedlichen Bereichen. Schule, Sozialarbeit, Jugendarbeit, Politik habe ich benannt. Die Verwendung des Begriffes «Extremismus» erfüllt dabei unterschiedliche Funktionen. In einigen Thesen möchte ich diese zusammenfassen:

1. Der Begriff «Extremismus» bietet eine Projektionsfläche, um von anderen Problemen z.B. Demokratiedefiziten abzulenken
2. Demokratiedefizite beobachten wir in weiten Teilen Sachsens. Demokratische Meinungsbildungsbildung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen findet in sächsischen Kommunen und Landkreisen nur selten statt.
3. «Extremismus» wird als Kampfbegriff benutzt, um eine politische Hegemonie herzustellen. Ein sehr eingeschränktes Demokratieverständnis, was sich ausschließlich auf den Parlamentarismus und einen starken Staat stützt, wird deutlich.
4. Stigmatisierung als «extremistisch» erspart die Auseinandersetzung vor allem auch mit der eigenen Position.
5. Die so genannte «demokratische Mitte» ist per se gut.
6. Andere Lebensformen, andere Sichtweisen, von eigenen Vorstellungen abweichendes Aussehen bedeuten Konfrontation mit dem Fremden und machen Angst. Die Stigmatisierung als «extremistisch» bringt mir selbst Sicherheit.
7. Antisemitische, rassistische und neonazistische Positionen werden mit dem Begriff «extremistisch» relativiert und verharmlost.
8. Das Motto «Gegen Extremismus» kann sogar die NPD unterschreiben!
9. Das Problem so genau wie möglich zu benennen, die Situation konkret zu analysieren, ermöglicht die Erarbeitung wirkungsvoller Konzepte zur Auseinandersetzung mit antisemitischen, rassistischen und neonazistischen Erscheinungen.

Petra Schickert
Diplom-Sozialpädagogin (FH), Dr. rer. nat.; Seit 2001 Mitarbeiterin im Kulturbüro Sachsen e. V. und tätig in der Mobilen Beratung, in welcher sie – ausgehend von den Erfahrungen lokaler Bündnispartner und mit ihnen zusammen – ortsbezogene Veränderungskonzepte für Demokratieentwicklung und gegen Rechtsextremismus entwickelt. Letzte Veröffentlichungen: Rechtsextreme Fraktionen in Kommunalparlamenten. In: Moltenhagen, D./ Korgel, L. (Hrsg.). Handbuch für die kommunale Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. 2009.; zusammen mit Markus Kemper: Rechtsextreme Aktionsformen und Strategien in Sachsen. In: Heinrich-Böll-Stiftung/Kulturbüro Sachsen (Hrsg.). Gefährliche Liebschaften. Rechtsextremismus im kleinen Grenzverkehr. Berlin. 2008.

Dieser Text stammt aus der Broschüre “gibt es extremismus? Extremismusansatz und Extremismusbegriff in der Auseinandersetzung mit Neonazismus und (anti)demokratischen Einstellungen”. Siehe auch: Was wir mit Extremismus alles zu meinen meinen

Quelle: NPD-Blog (06.04.2010)


Veröffentlicht am 6. April 2010 um 22:12 Uhr von Redaktion in Antifa, News

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