Antifa | Events | News

Buchvorstellung im Underground: Wie viel Antisemitismus steckt in der Subkultur?

25. Oktober 2023 - 15:09 Uhr - Eine Ergänzung

Am vergangenen Donnerstag fand im objekt klein a (oka)  eine Podiumsdiskussion zu Antisemitismus in emanzipatorischen Bewegungen und Subkulturen statt. Geladen waren Autor*innen und einer der Herausgeber des Buches „Judenhass Underground“. Die Podiumsdiskussion war Teil einer Veranstaltungsreihe, die einige linke Gruppen in Dresden initiiert haben. Ihr Ziel ist es, die Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Linken wieder stärker zu befördern. Überschattet wurde die Veranstaltung vom antisemitischen Terror der Hamas, bei dem am 7. und 8. Oktober 1.400 Menschen starben und über 200 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen entführt wurden.

Üblicherweise finden im oka Technoparties statt, gerne laut, düster und auch bis in den nächsten Tag hinein. Dabei versucht der Club mit einer eindeutigen Haltung auf Diskriminierung im Partykontext aufmerksam zu machen. Jede Person, die an der kollektiv organisierten Türcrew vorbei will, wird mit einigen Worten darauf hingewiesen, dass Sexismus, Rassismus und andere menschenverachtende Einstellungen hier keinen Platz haben. Antisemitismus ist zwar mit gemeint, so explizit wie Sexismus wird er jedoch nicht angesprochen. 

Antisemitismus und Clubkultur

Politische Haltung ist der Gruppe hinter dem objekt klein a ein wichtiges Anliegen. Screenshot der Website.

Doch das auch Antisemitismus in der Technoszene existiert, hat einer der Herausgeber von „Judenhass Underground“, Nicholas Potter, in einem Beitrag im Buch ausbuchstabiert. Vor mehr als 200 Menschen erzählte er am Abend vom seinen Beobachtungen. 

Es gebe einige sehr umtriebige Aktivist:innen, die bei Auftritten und in sozialen Medien antisemitische Ideologie verbreiteten. Für die Technoszene sei prägend, dass sie wenig Raum für direkte Äußerungen bei Auftritten lasse, weshalb es eher im Vor- und Nachhinein von Veranstaltungen antisemitische Äußerungen der Künstler:innen und organisierenden Personen gäbe. Im Jahr 2018 zum Beispiel erreichte der szenebekannte DJ Ben Ufo Tausende mit Postings zur Unterstützung der BDS-Kampagne. „Boycott, Divestment and Sanctions“ – kurz BDS – ist eine Kampagne, die versucht den israelischen Staat international zu isolieren, in dem sie Firmen, NGOs und eben auch Kunstschaffende unter Druck setzt, Verträge und Zusammenarbeit mit israelischen Partner:innen zu beenden. 

Immer wieder ist BDS mit ihrer Strategie erfolgreich und es kommt zu Konzert- und Auftrittsabsagen oder sogar zu Fabrikschließungen. In einem weiteren Beitrag im Buch sprechen der Sprecher der Clubcommission Berlin Lutz Leichsenring und der Gründer des berühmten israelischen Technokollektivs und -clubs „The Block“ über die Auswirkungen dieser Erfolge. Der 2022 geschlossene Club „The Block“ hatte seit einigen Jahren verstärkt mit Auftrittsabsagen zu kämpfen. Getroffen wurde so ein Club, der ein Ort der queeren und linken Bewegung in Israel war und der ganz aktiv den Austausch mit arabischen Israelis und anderen arabischen Clubs suchte. Man praktiziere hier das Gegenteil der rechten Politik des Premiers Netanjahu. Der Club forderte öffentlich Netanjahu müsse weg und erntete starke Kritik der israelischen Rechten. 

Auch in Deutschland sind Technoclubs mit Boykottaufrufen konfrontiert. Eine Sprecherin des oka berichtete bei der Veranstaltung, vom oka gebuchte Künstler:innen wären vor Auftritten bereits von BDS-Aktivist:innen konfrontiert worden. Nicht, weil das oka selbst ein kritischer Ort sei. Stattdessen genüge schon, dass der Club als mit anderen Clubs befreundet assoziiert werde, die deutlich Position gegen Antisemitismus bezogen hatten. In Dresden habe dies aber bisher wenig Auswirkungen gehabt.

Im Berliner Club ://about blank wurde in den vergangenen Jahren häufig über Antisemitismus, Clubkultur und den Israel-Palästina-Konflitk diskutiert.

Wie Underground ist Antisemitismus?

Auf dem Podium saßen auch Annica Peter und Maria Kanitz, Herausgeberin des Forschungsbandes „Klaviatur des Hasses„. Beide forschen zu Antisemitismus und haben sich für das Buch auf eine Spurensuche in die eigenen Szene, Punk und Reggae, begeben. Beide Subkulturen zeichneten sich durch ihren Hang zur Systemkritik an Kapitalismus und moderner Gesellschaft aus. Ein Faktor der sie attraktiv mache für beispielsweise rebellierende Jugendliche. Durch die durchaus legitimen Verkürzungen die Gesellschaftskritik erfährt, um in das Format eines Songtextes zu passen, öffne sich dann schnell die Tür für antisemitische Ressentiments. Das sei etwa der Fall, wenn die Schuld an Armut einzelnen Personen oder Gruppen zugeschoben werde. Schnell sei man dann von der Kritik an exzessivem Reichtum, bei der Kritik an Bänker:innen, denen allumfassende Macht zugesprochen werde und die mit Juden:Jüdinnen assoziiert werden: ein klassisches Bild des modernen Antisemitismus. Dies sei aber nicht zwangsläufig in jedem Text so angelegt und klar zu unterscheiden von eindeutig antisemitischen Texten, die es in beiden Musikrichtungen ebenso gäbe, so die Autor:innen. 

Ein Teilnehmer einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen am 18. Juni 2022 trägt ein antisemitisches Nikki. Im Davidsstern auf dem Ärmel steht klein "ungeimpft".
Antisemitismus made in Germany. Teilnehmer einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen am 18.6.2022 in Dresden. Foto von vue.critique

Subkulturen haben ein Problem mit Antisemitismus, dass arbeiteten die Podiumsteilnehmer:innen ganz deutlich heraus. Hingegen sei auch klar, dass in Deutschland die größte Bedrohung vom Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft ausgehe. Exemplarisch lässt sich das an der Affäre um Hubert Aiwanger zeigen. Dessen „Jugendsünde Vernichtungsantisemitismus“ wurde verharmlost und brachte ihm sogar Stimmenzuwachs bei der bayrischen Landtagswahl am 8. Oktober ein. Das müsse auch in der Debatte um den Terror der Hamas und besonders in Dresden berücksichtigt werden. Die Stadt war wiederholt wegen antisemitischer Vorfälle (1 | 2 | 3) in die Kritik geraten. 

Betroffene von Antisemitismus finden bei der Beratungsstelle Ofek Hilfe und Unterstützung

Wenig Solidarität in Dresden

Die drei Podiumsgäste aus Berlin wiesen darauf hin, dass es in der jetztigen Situation unbedingt notwendig sei, sich zu positionieren und von Antisemitismus betroffenen Menschen den Rücken zu stärken. Es gehe nicht darum, Lösungen für den Nahostkonflikt zu präsentieren. Sondern in erster Linie müsse auf den Antisemitismus der Hamas und in der BRD reagiert werden. Dies geschehe bisher viel zu wenig und vor allem nicht von Akteur:innen, die sich sonst häufig zu diesem Konflikt äußerten

Das Kulturbüro Sachsen berichtete live von einer der Kundgebungen in Dresden.

In Dresden gab es bisher drei Solidaritätskundgebungen, am 9., 11. und 15. Oktober, mit den Überlebenden und Angehörigen der Opfer der antisemitischen Attacke vom 7. Oktober. Im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung sagte der Rabbiner der Dresdner Kultusgemeinde Akkiva Weingarten, diese Zeichen seien wichtig für Jüdinnen:Juden in der BRD. 

Der 9. Oktober ist außerdem der Jahrestag des Anschlags auf die jüdische Gemeinde in Halle durch einen extrem rechten Attentäter vor vier Jahren. Die Folgen für Betroffene von Antisemitismus sind vielschichtig: der Rückzug ins Private, das Verbergen jüdischer Symbole und das Verheimlichen der eigenen Religion vor anderen Menschen belasten und isolieren sie. Nichtsdesto trotz sollen die Jüdischen Wochen vom 2. bis 11. November in Dresden stattfinden.

Von Seiten antifaschistischer Gruppen ist zum Anschlag in Halle und zum Terror der Hamas gegen die israelische Bevölkerung bisher wenig zu hören. Weder gab es eine Mobilisierung zum Jahrestag des Anschlags von Halle, noch wurden bisher Statements zum 7. Oktober veröffentlicht. 


Das Buch „Judenhass Underground“ ist für 22 Euro beim Verlag Hentrich&Hentrich erhältlich. 


Veröffentlicht am 25. Oktober 2023 um 15:09 Uhr von Redaktion in Antifa, Events, News

Ergänzungen

  • Liebes Redaktionsteam,

    entweder waren wir bei den Gruppen, die sich nicht geäußert haben, nicht mitgemeint oder wir wurden wieder vergessen.

    Es ist gut, dass ihr auf die Leerstellen hinweist. Dass es aber keine Äußerung zum 7. und 9. Oktober gab, stimmt nicht. Zum Einen haben wir uns klar positioniert, zum Anderen waren auch (zwar zu) wenige radikale Linke auf den Solidaritätskundgebungen in Dresden, aber es gab sie.

    Mit solidarischen Grüßen

    Pirnaer Autonome Linke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.