Soziales

100 Jahre Abschiebehaft: Demo gegen Haft ohne Straftat

15. Mai 2019 - 15:15 Uhr

Anlässlich des unrühmlichen Jubiläums 100 Jahre Abschiebehaft in Deutschland fand am 11. Mai 2019 im Rahmen der bundesweiten Aktionstage gegen Abschiebehaft auch in Dresden eine Demonstration unter dem Motto „100 Jahre sind genug“ statt. Organisiert wurde die Demonstration von der neu gegründeten Abschiebehaftkontaktgruppe in Dresden, die als ehrenamtlich organisierter Zusammenschluss insbesondere Rechtsberatungen für die seit Ende vergangenen Jahres in der Hamburger Straße inhaftierten Menschen anbietet. Abgesehen von einem 31-Jährigen, der in der Friedrichstadt der Demonstration den Hitlergruß zeigte, kam es zu keinen weiteren Vorfällen.

Die Demonstration begann gegen 14 Uhr auf dem Schlesischen Platz am Bahnhof Neustadt. Der anschließende Aufzug mit bis zu 120 Menschen führte über die Marienbrücke, vorbei am Sächsischen Landtag, weiter zum Postplatz, wo eine Zwischenkundgebung abgehalten wurde und schließlich über die Schäferstraße bis zur Hamburger Straße. Vor dem Abschiebeknast auf der Hamburger Straße erfolgte die Abschlusskundgebung und in mehreren Sprachen wurden Grußworte an die dort bereits inhaftierten Menschen gerichtet. Emotional wurde es, als Menschen im Abschiebeknast mittels Schläge gegen die vergitterten Fenster auf sich aufmerksam machten.

In verschiedenen Redebeiträgen wurde auf die Geschichte der Abschiebehaft in Deutschland und auf die rechtliche Situation heute eingegangen. Mehrfach wurde dabei kritisiert, dass die Abschiebehaft eine „Haft ohne Straftat“ ist und in Sachsen die Hamburger Straße mit Stacheldraht und Gitterfenstern eher einer Haftanstalt gleicht. So werden den Menschen in Abschiebehaft auf der Hamburger Straße unter anderem nur die ihnen mindestens zustehende eine Stunde Freigang im Hof gewährt und auch die Besuchszeiten sind nur auf wenige Stunden am Tag begrenzt. Zuletzt sorgte der Hungerstreik eines gesundheitlich angeschlagenen Menschen für Aufsehen, der schließlich aus dem Krankenhaus heraus nach Marokko abgeschoben wurde.

Tina Siebeneicher, Stadträtin für die Grünen, wies auf einen Beschluss des Jugendhilfeausschusses im Stadtrat Dresden hin. Demnach soll die Stadt Dresden bei Abschiebungen unter Beteiligung von Minderjährigen das Kindeswohl in besonderer Weise schützen. Abschiebungen zur Nachtzeit, aus Kindertagesstätten und aus der Schule heraus sollen nicht (mehr) stattfinden. Gerade oft gewaltsam durchgeführte Abschiebungen von gut integrierten Familien, auch zu Nachtzeiten, hatten in Dresden in der Vergangenheit für Aufsehen und viel Kritik gesorgt. Juliane Nagel, Mitglied des Sächsischen Landtages für die Linke, bezeichnete Abschiebungen als restriktives Mittel des Aufenthaltsrechtes. Bei Abschiebungen, so die Politikerin, sollte in der Praxis stehts Kritik geäußert und im Zweifelsfall Ungehorsam gezeigt werden. In ihren Augen sei es vielmehr notwendig, „weiter und größer“ zu denken.

Für die Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden erklärte Toni Kreischen den Hintergrund ihrer Arbeit: „Wir beraten bis der Knast Geschichte ist. Wir versuchen mit rechtlichen Mitteln die Menschen aus dem Knast zu holen und spielen insoweit mit dem System mit.“. Mit Blick auf die Demo äußerte er sich zum Anliegen der Demonstration: „Mit offensiver Öffentlichkeitsarbeit versuchen wir ein kritisches Bewusstsein in der Mehrheitsgesellschaft für Abschiebehaft zu schärfen. Die Demo zu ‚100 Jahre sind genug‘ war ein Teil dieses Versuchs.“. „100 Jahre Abschiebehaft“, so Kreischen abschließend, „sind genug und jeder weitere Tag, an dem ein Mensch auch in Dresden ohne Straftat einsitzt, ist einer zu viel.“ Seit der Eröffnung des Abschiebeknastes im Dezember 2018 wurden in Sachsen 57 Menschen auf der Hamburger Straße inhaftiert, davon lediglich 18 Menschen aus Sachsen.

Titelbild: Matthias Schwarz


Veröffentlicht am 15. Mai 2019 um 15:15 Uhr von Redaktion in Soziales

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