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„Wir haben einen großen Schmerz“ – Kundgebung in Gedenken an Stanislav Tomáš in Dresden

7. Juli 2021 - 12:07 Uhr - Eine Ergänzung

Am Montag versammelten sich rund 50 Aktivist:innen vor dem tschechischen Generalkonsulat in der Dresdner Neustadt. Anlass war der drei Wochen zurückliegende Tod des Rom Stanislav Tomáš in Teplice. Tomáš verstarb am 19. Juni, nachdem ein Polizist mehrere minutenlang auf seinem Hals kniete. Passant:innen filmten die Situation und verbreiteten die Szene in den sozialen Medien. Zu der Kundgebung in Dresden hatte der Verein romano sumnal e.V. aufgerufen, welcher zusammen mit anderen Organisationen eine Aufarbeitung der Geschehnisse fordert.

„Es berührt mich sehr, hier als Rom zu stehen und über einem Menschen zu reden, der ermordet wurde, nur weil er Rom war“, erklärte Gjulner Sejdi, der Vorsitzende des romano sumnal e.V. sichtlich bewegt zum Kundgebungsauftakt. Die Situation für Rom:nja habe sich in Tschechien den letzten Jahren verschlechtert: „viele haben keine Chance, keine Chance eine Wohnung zu bekommen oder in die Schule zu gehen“. Der in Leipzig ansässige Verein hatte zu der Kundgebung aufgerufen, um Stanislav Tomáš die letzte Ehre zu erweisen und gegen die alltägliche Diskriminierung von Rom:nja in Europa zu protestieren. Für Gjulner Sejdi ist es deutlich, dass der Tod des Rom in Teplice auch mit den stark verbreiteten Antiromaismus in Verbindung steht. Viele Kundgebungsteilnehmer:innen stellten vor dem tschechischen Konsulat Kerzen auf, um damit an Stanislav Tomáš zu erinnern.

„Wir fordern einen lückenlose Aufklärung“

Die Ereignisse im tschechischen Teplice haben nur eine geringe Aufmerksamkeit erfahren. Während der ähnliche Tod des Afro-Amerikaners Georg Floyd weltweit für Empörung und Proteste gesorgt hatte, blieben die Reaktionen nach dem Tod von Stanislav Tomáš bisher eher verhalten. In Berlin demonstrierten wenige Tage nach dem Ereignis rund hundert Personen, die einem Aufruf verschiedener Selbstorganisationen der Sinti:zze und Rom:nja gefolgt waren. Auch in Bulgarien, Nord-Mazedonien und im Kosovo kam es ebenso wie in Teplice selbst zu Protesten von Sinti:zze und Rom:nja. Mittlerweile hat das Tschechische Helsinki-Komitee begonnen, die Unterstützung für die Familie von Stanislav Tomáš zu organisieren und ein Spendenkonto eingerichtet.

Trotz größerer Proteste von Sinti:zze und Rom:nja in Tschechien zeigt sich die Regierung bisher nicht gewillt, eine unabhängige Aufarbeitung der Geschehnisse, die zum Tod von Stanislav Tomáš geführt haben, anzustreben. Besorgniserregender als die mangelnde Aufarbeitung ist jedoch die Reaktion verschiedener Regierungsmitglieder des deutschen Nachbarlandes. Sowohl Premierminister Andrej Babiš, als auch der Innenminister der Tschechischen Republik stellten sich hinter die Polizeibeamt:innen und beteuerten die Rechtmäßigkeit des Einsatzes. So erklärte Babiš gegenüber der Presse, dass Tomáš nicht an den Folgen des Polizeieinsatzes gestorben sei „und zwar nur auf der Grundlage vorläufiger Autopsieergebnisse, ohne die endgültigen Ergebnisse des Untersuchungsprozesses abzuwarten“, wie es in einem offenen Brief des  European Roma Grassroots Organisations (ERGO) Network an den Europäischen Rat heißt. Die Organisation forderte die Europäische Union auf, „dass bei der Untersuchung des Polizeieinsatzes auch die rassistische Motivation berücksichtigt wird, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“. 

Auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma forderte bei einem Treffen in der tschechischen Botschaft in Berlin, „dass unvoreingenommene Ermittler mit der nötigen Distanz zu den beteiligten Polizeibeamten die Ermittlungen leiten und dass zudem den Hinterbliebenen von Stanislav Tomáš uneingeschränkte Akteneinsicht gewährt wird“. Darüber hinaus sei die oberste Priorität, dass die Untersuchungen mit maximaler Transparenz durchgeführt werden. 

Auf der Kundgebung in Dresden konnte der Zentralrat selber nicht vor Ort sein, jedoch verlasen Akteur*innen von „Roma Respekt“ und der Dresdner „Gruppe gegen Antiromaismus“ einen Redebeitrag. Darin mahnte der Zentralrat an, aufgrund der jüngsten Ereignisse nicht nur auf Tschechien zu blicken. Auch in Deutschland seien Sinti:zze und Rom:nja von polizeilicher Repression, racial profiling und rassistischer Gewalt betroffen: „Immer wieder ereignen sich Vorfälle, in denen Sinti:zze und Rom:nja und als solche gelesenen Personen massiver und unverhältnismäßiger Polizeigewalt ausgesetzt sind“, so eine Mitarbeiterin des Zentralrats. Oft blieben die Betroffenen ohne Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen. „Aufgrund fehlenden juristischen Beistands sind sie kaum in der Lage, ihre Rechte wahrzunehmen. In vielen Fällen bleibt polizeiliches Fehlverhalten ohne jede Konsequenz“, erklärte der Zentralrat abschließend.

Ungehörte Kontinuitäten

Auch in Deutschland gehört Antiromaismus für Sinti:zze und Rom:nja zum Alltag. Er vor wenigen Wochen veröffentlichte die „Unabhängige Kommission Antiziganismus des Deutschen Bundestages“ einen mehrere hundert Seiten umfassenden Bericht. Darin werden verschiedene Facetten antiromaistischer Realität thematisiert und analysiert. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass antiromaistische Muster auf vielen Ebenen, wie in staatlichen Institutionen, im Schulsystem oder in den Medien vorhanden seien. Die Diskriminierung gegenüber Rom:nja führe dabei nicht nur zu struktureller Ausgrenzung, sondern auch zu Gewalt gegenüber der Minderheit. So waren unter den Opfern des Anschlages in Hanau mit Mercedes Kierpacz, Vili Viorel Păun und Kaloyan Velkov drei Menschen aus der Community der Sinti:zze und Rom:nja.

Die über den Zeitraum von zwei Jahren durchgeführte und auf rund 500 Seiten festgehaltene Untersuchung fand in den Medien jedoch kaum Anklang. Wenige Zeitungen berichteten, wenn überhaupt, nur am Rande über die Veröffentlichung. „Es ist traurig zu sehen, wie wenig Bewusstsein in der Gesellschaft über Antiromaismus besteht und wie wenig Gedanken wir uns darüber machen“, erklärte die sächsische Landtagsabgeordnete Petra Sejdi in Bezug auf die ausbleibenden Reaktionen nach der Veröffentlichung der Untersuchung. Es zeige, dass Antiromaismus eine Form des Rassismus sei, die am stärksten verankert ist, so die Abgeordnete der Grünen gegenüber addn.me.

Diesen Umstand verdeutlicht auch das unlängst in der Sächsischen Zeitung veröffentlichte Interview mit dem Organisator der Jazztage Dresden, Kilian Förster. Auf einer kompletten Seite konnte Förster seine antiromaistischen Ressentiments unwidersprochen ausbreiten und als Kunstfreiheit deklarieren. In einem offenen Brief des romano sumnal e.V. an die Sächsischen Zeitung kritisierte der Verein die romantisierte und unhinterfragte Darstellung von Klischees in dem Interview: „Neben der Gewalt, die uns angetan wird, gehört auch das kitschige Bild vom Leben am Lagerfeuer mit Gitarre, von Freiheit und Vagabundieren zu den gefährlichen Vorurteilen gegen uns“. So sei auch die Musikgeschichte Teil von Diskriminierung. „Diese Geschichte“, so der romano sumnal e.V. gegenüber addn.me, „scheinen die Jazztage weiter zu schreiben, anstatt sich wirklich demokratisch, differenziert und zeitgenössisch damit auseinanderzusetzen“. Bisher gab es von Seiten der Sächsischen Zeitung keine öffentliche Reaktion auf den offenen Brief des Vereins.


Veröffentlicht am 7. Juli 2021 um 12:07 Uhr von Redaktion in Antifa

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