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Märchenstunde auf unterstem Niveau – wer spricht hier über wen und was?

26. Juni 2021 - 20:31 Uhr - Eine Ergänzung

Kommentar von der Gruppe gegen Antiromaismus, kosmotique und RomaRespekt

Erneut interviewt die Sächsische Zeitung den Dresdner Jazztage-Chef Kilian Forster und macht sich zur Werbepostille für das Festival. Forster lamentiert über die Strenge der Debatten der Gegenwart und inszeniert sich als gelassener Kulturanthropologe, der gegen die ideologisierte Welt von 1984 ankämpfen muss.

Das kann er ja machen. Nur wer lässt die unfachlichen und kulturalistischen Debatten auf einer ganzen Seite ohne das Label Anzeige erscheinen: Die Sächsische Zeitung. Das Interview liest sich wie ein Märchen und der Onkel mit Bart wehrt sich gegen die feindliche Welt der Moderne. Aber in seinem Auenland ist die Welt einfach noch okay! Das sei mal so gesagt. 

Problematisch ist, dass sein Märchen die Würde und Integrität von anderen Menschen berührt. In diesem Fall die der Rom*nja und Sint*ezze. Forster halluziniert sich zum Verteidiger des Abendlandes, wenn er die rassistische Fremdzuschreibung, das Z-Wort, verteidigt und spielt mit einem vermeintlichen Tabubruch, der leider keiner ist. 
Rom*nja und Sint*ezze werden rassistisch diskriminiert und strukturell benachteiligt. Während des 2. Weltkrieg wurden unter gleicher rassistischer Zuschreibung mehr als 500.000 Menschen ermordet. Vor wenigen Tagen ist 70 km von Dresden der Rom Stanislav Tomáš in der tschechischen Stadt Teplice nach einem Polizeieinsatz gestorben. Mehrere NGO sehen Parallelen zum Fall George Floyd in den USA und sprechen von Mord: Einer der Polizisten kniete mehr als fünf Minuten auf dem Hals des Verstorbenen.

Und die Sächsische Zeitung macht Märchenstunde. Der Märchenonkel Forster erzählt von Sinti, erzählt von Kubanern – doch alle bleiben gesichtslos. Keiner der Menschen, die mit dem Rassismus leben müssen, kommt zu Wort, sondern der Onkel palavert, wie er die Sache so sieht. 

Dieses Interview wiederholt all die Fehler und die Respektlosigkeiten der Sendung „Die letzte Instanz“ beim WDR Anfang 2021. Dort diskutierten auch aus dem Bauch heraus der Autor und Moderator Micky Beisenherz, der Entertainer Thomas Gottschalk, die Schauspielerin Janine Kunze sowie Schlagersänger Jürgen Milski über rassistische Fremdzuschreibungen und Kinderliteratur. Der Beitrag des WDR war ähnlich unprofessionell und ließ tief in die tradierten Rassismen der Gäste blicken. Er war eine einzige Blamage und widersprach allen Standards einer Berichterstattung einer (post-)migrantischen Gesellschaft.

Doch die massive Kritik am WDR hat gezeigt: die medialen Märchenstunden sind vorbei. Wer Fragen zu Rassismus hat, fragt nicht gefühlige Romantiker, sondern die Menschen, die damit tagtäglich leben müssen. Hat die Sächsische Zeitung Fragen zu Rassismus, ist sie gut beraten, Selbstvertretungen der Rom*nja und Sint*ezze u.a. oder Wissenschaftler:innen und Aktive mit Kenntnissen und Praxis zu interviewen.

Als Antwort auf „Die letzte Instanz“ entstand als Gegenerzählung und Parodie „Die beste Instanz“ mit der Moderatorin Enissa Amani, der Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin und Politikerin Natasha A. Kelly, der Islam- und Musikwissenschaftlerin und Redakteurin Nava Zarabian, dem Publizisten, Lyriker und Coach Max Czollek, dem Aktivisten und Performer Gianni Jovanovic und dem Journalisten und Autoren Mohamed Amjahid. Hier sprachen Menschen, die wissen wovon sie reden: Rassismus, Antiromaismus und Antisemitismus. Erst kürzlich erhielt „Die beste Instanz“ einen Grimme Online Award 2021. 

Es gibt sie, diese tausenden neuen „besten Instanzen“. Sie haben Antworten auf die wichtigen Fragen zu Rassismus und Gewalt. Nach diesem menschenverachtenden Interview in der Sächsische Zeitung, wird es denen aber sicherlich vergangen sein, in dieser Zeitung zu erscheinen. Der offene Brief von Romano Sumnal e.V. an die Sächsische Zeitung und die Organisator:innen der Dresdner Jazztage zeugt vom Entsetzen und der Kritik: „Wir fordern die SäZ auf, (…) darüber zu berichten, wer wir Roma und Sinti sind, und warum die heutige Gesellschaft sich deutlich von Rassismus gegen Sinti und Roma distanzieren muss.“


Veröffentlicht am 26. Juni 2021 um 20:31 Uhr von Redaktion in Kultur, Soziales

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