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Dresdner Zapfenstreich-Gegner vor Gericht

12. Dezember 2009 - 13:46 Uhr - Eine Ergänzung

Am Montag, dem 14.12.2009 wird um 09:00 Uhr am Amtsgericht Dresden gegen den Antimilitaristen Jörg Eichler die Hauptverhandlung in einem Strafverfahren wegen „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ (§ 86a StGB) stattfinden; einen ersten Termin im Juli 2009 hatte die zuständige Richterin am Amtsgericht, Fahlberg, platzen lassen.

Anlass des Verfahrens ist ein Aufkleber, der sich auf einer Website zur Organisation von Protestaktionen gegen den „Großen Zapfenstreich“ der Bundeswehr befand. Auf diesem waren mehrere Soldatenköpfe mit Helmen aus verschiedenen Zeiten abgebildet. Auf einem der Helme befand sich auch eine SS-Rune, um auf die furchtbarste Epoche des deutschen Militarismus zu verweisen, in dessen Tradition sich die Bundeswehr mit der Abhaltung derartiger Militärrituale bewusst stellt.

Der Ausgangspunkt dieses Verfahrens geht zurück auf Ereignisse des Jahres 2006. Zum 800-jährigen Bestehen der Landeshauptstadt Dresden „schenkte“ die Bundeswehr der Stadt am 12. Oktober ’06 einen „Großen Zapfenstreich“ auf dem zentral gelegenen Altmarkt. Wie auch sonst bei ähnlichen militärischen Auftritten in der Öffentlichkeit regte sich Protest, ein Bündnis „Wider die Militarisierung des öffentlichen Raumes“ rief auf zu Kundgebung und Demonstration.

Das Landeskriminalamt Sachsen – Abteilung „Politisch motivierte Kriminalität links, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen“ – stieß im Internet auf der Mobilisierungsseite der ZapfenstreichgegnerInnen auf eine Grafik, die sie für gefährlich hielt: Dort waren unter den Überschriften „Vergangenheit und Gegenwart – Den Zapfenstreich-en! – Wider der Militarisierung des Alltages“ mehrere Soldatenköpfe mit Helmen verschiedener Epochen abgebildet, darunter auch ein Helm, auf dem zur Verdeutlichung des ebenfalls gemeinten historischen Kontextes eine sogenannte „Doppelsigrune“ abgebildet war, das Emblem der SS (welche in der Form der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg kämpfende Truppe war; nur die Waffen-SS durfte – neben der Wehrmacht – den Großen Zapfenstreich durchführen).

Daraufhin sah das LKA dringenden Handlungsbedarf: Nur zwei Tage nach Auffinden der Grafik im Internet wurde die Wohnung des für die Internet-Domain Verantwortlichen, Jörg Eichler, mit acht BeamtInnen knapp vier Stunden lang durchsucht. Sämtliche Rechentechnik wurde per Spiegelung der Festplatten beschlagnahmt, gefunden wurde schließlich – nichts.

Einige Monate später, am 30. Mai 2007, erhob die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage. Nur gute zwei Monate vorher hatte der BGH in seiner sehr bekannt gewordenen „Hakenkreuz-Entscheidung“ (Gegenstand war ein durchgestrichenes Hakenkreuz) vom 15.03.2007 noch einmal klargestellt, dass das Verwenden derartiger Kennzeichen nicht strafbar sei, wenn der Inhalt der Darstellung „in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organistion und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt“. Auch hatte der BGH bereits seit 1972 wiederholt betont, dass die Strafbarkeit gem. § 86a StGB sich an dem Schutzzweck der Norm orientieren muss: Was sich erkennbar gegen die betroffenen verfassungswidrigen Organisationen und das dahinter stehende Gedankengut richte, falle nicht unter diese Vorschrift. Die Staatsanwaltschaft Dresden jedoch scheint von diesen höchstrichterlichen Erklärungen völlig unbeeindruckt – die Anklage beruft sich sogar noch ausdrücklich auf die jüngste BGH-Entscheidung.

Anschließend geschah zwei Jahre nichts mehr. Es schien fast, als habe das Gericht die Sache verjähren lassen wollen, um sich inhaltlich nicht äußern zu müssen. Doch am 18.05.2009 wurde die Anklage zugelassen. Ein erster Hauptverhandlungstermin im Juli 2009 endete nach 20 Minuten: Als der Angeklagte seine Einlassung im Stehen abgeben wollte, meinten Richterin Fahlberg und Staatsanwalt Muck, dies unterbinden zu müssen. Nach einer gut zehnminütigen Diskussion hierüber wurde das Stehen schließlich „akzeptiert“ (tatsächlich steht es dem Angeklagten frei, seine Erklärung im Sitzen oder Stehen abzugeben, dies ist ausdrücklich in den „Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren“ so geregelt). Als Eichler dann seine Einlassung mit einem kurzen Zitat Kurt Tucholskys eröffnete, bekam er auch schon keine Möglichkeit mehr, fortzufahren: Die Richterin erklärte, dass Zitate und „politische Erklärungen“ nicht zulässig seien. Durch die Verhandlungsführung des Gerichts hatte sich im Publikum inzwischen eine gewisse Unruhe ergeben – die Richterin ließ daraufhin einen Zuschauer, der erklärt hatte, die Einlassung nun hören zu wollen, aus dem Saal entfernen. Dann brach Fahlberg die Verhandlung ab.
Ein Ablehnungsantrag des Angeklagten wegen Befangenheit der Richterin wurde vom AG Dresden verworfen – das vorgeworfene Verhalten sei „Ausdruck der Souveränität der abgelehnten Richterin“! Fünf Monate nach dem geplatzten ersten Termin – und über drei Jahre nach Einleitung des Verfahrens – findet also am 14.12.09 ein neuer Anlauf statt, die Hauptverhandlung vor dem AG Dresden unter Leitung der Richterin Fahlberg durchzuführen. „Dieses Verfahren ist von Beginn der Ermittlungen an, über die Anklageerhebung und -zulassung, bis hin zum Gebaren der Dresdner Justiz im Rahmen der Hauptverhandlung im Juli dermaßen grotesk und zugleich unverfroren, dass einem schon der Atem stocken kann“, erklärt Verteidiger Detlev Beutner (Frankfurt a.M.).

Das Verfahren wird dokumentiert unter: den-zapfen-streichen.blogspot.com

Quelle: Indymedia (01.12.09)


Veröffentlicht am 12. Dezember 2009 um 13:46 Uhr von Redaktion in Freiräume, News

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