Freiräume | News

Prozess wegen 86a gegen Antimilitarist geplatzt

7. Juli 2009 - 00:14 Uhr - Eine Ergänzung

Die heutige Hauptverhandlung gegen den Antimilitaristen Jörg Eichler am Amtsgericht Dresden war überraschenderweise bereits beendet, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Gegenstand des Verfahren ist ein antimilitaristisches Plakat, auf dem zu Protesten gegen den Großen Zapfenstreich der Bundeswehr im Oktober 2006 auf dem Dresdner Altmarkt aufgerufen worden war.
Auf der Abbildung waren unter der Überschrift „Wider die Militarisierung des Alltages“ mehrere Soldatenköpfe mit Helmen aus verschiedenen Zeiten abgebildet. Neben der preußischen Pickelhaube und einem Helm mit dem Emblem der Bundeswehr befand sich auf einem der Helme auch eine sog. „Doppelsiegrune“, um auf die furchtbarste Epoche des deutschen Militarismus hinzuweisen, in dessen Tradition sich die Bundeswehr mit der Durchführung derartiger Militärrituale bewusst stellt. Gegen den Dresdner Antimilitaristen Jörg Eichler war deshalb Anklage wegen „Verwendens von Symbolen verfassungswidriger Organisationen“ (§ 86a StGB) erhoben worden, die nun über zwei Jahre später verhandelt werden sollte.

Die Sitzung in dem mit etwa 80 Zuschauern gefüllten Saal 21 des Amtsgerichts Dresden wurde jedoch von der Vorsitzenden, Richterin am Amtsgericht Fahlberg, schon nach 30 Minuten ausgesetzt – ohne dass man inhaltlich überhaupt zur Sache gekommen war. Zu einer ersten Auseinandersetzung kam es bereits, als der Angeklagte sich zur Sache einlassen, dafür aber stehen wollte. „Ich möchte bitte, dass sie sitzen“, erwiderte die Richterin hierauf: Der Vortrag im Stehen sei bei Gericht nur bei den Plädoyers üblich. Eichler entgegnete, dass er sich an keine Vorschrift der Strafprozessordnung erinnern könne, die ihm das Reden im Stehen verbiete, auch könne er andernfalls in den hinteren Reihen des großen Saales möglicherweise nicht mehr gut verstanden werden. Dem konnte die Vorsitzende zwar sachlich nichts entgegensetzen, beharrte jedoch weiterhin darauf, dass der Angeklagte sich im Sitzen einlassen möge, weil dies „so üblich“ sei. Nach etwa 10minütiger Debatte „akzeptierte“ das Gericht schließlich doch, dass Eichler während seiner Erklärung stehen dürfe.

Nachdem dieser jedoch seine Einlassung mit einem kurzen Zitat aus einem Text von Tucholsky (aus: „Gesunder Pazifismus“, 1928), der sich mit militärischen Ritualen befasste, eingeleitet hatte, unterbrach die Richterin erneut. Diesmal hatte sie inhaltliche Probleme: Das gehöre überhaupt nicht zur Sache, „politische Erklärungen“ seien im Gerichtssaal fehl am Platz, das gehöre „nicht hierher“. Die Richterin machte deutlich, dass sie lediglich daran interessiert sei zu erfahren, ob der Angeklagte diesen Aufkleber produziert habe und er für dessen Veröffentlichung im Internet verantwortlich sei, „aber bitte gestrafft!“. Eichler wandte hiergegen ein, dass es nun einmal an der Sache selbst liege, die unzweifelhaft politische Bezüge aufweise und natürlich auch Erklärungen zu den politischen Hintergründen notwendig mache. Außerdem wies er darauf hin, dass er, nachdem im Oktober eine vierstündige Durchsuchung seiner Wohnung von acht Beamten des LKA Sachsen stattgefunden hatte, und nach nun mehr als zweijähriger Verfahrensdauer durchaus „einige Dinge zu sagen“ habe, die „sich nicht in zehn Minuten abhandeln lassen“. Daran hatte die Richterin aber ersichtlich kein Interesse.

Die groteske Situation zog nun auch (erwartbare) Reaktionen aus dem Publikum nach sich: es wurde gelacht – und das fand die Richterin nun gar nicht lustig. Sie zog zwei Wachtmeister hinzu, die im Sitzungssaal Platz nahmen mit dem Auftrag, die Personalien feststellen zu lassen, von „jedem, dem weiteren Zwischenrufer“, und ihn aus dem Saal entfernen zu lassen. Auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft, StA Muck beteiligte sich tatkräftig an der „Jagd“ auf die Lachenden: „Können Sie den Herren da bitte auch mitnehmen“, wies er die Justizwachtmeister an, obwohl die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung überhaupt nicht zu seinen Aufgaben gehört und es ihm als Staatsanwalt nach den hierfür maßgeblichen Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren untersagt ist, Anträge in dieser Richtung zu stellen. Hierauf im Anschluss an die Sitzung angesprochen, antwortete er: „Ich darf beantragen, was ich will!“

Nach weiterer Debatte um die Frage, ob der Beschuldigte seine Einlassung nun vortragen dürfe, brach die Richterin schließlich plötzlich genervt ab. Sie werde die Sache nun unterbrechen, „weil ich es vor meinem Urlaub nicht mehr zu Ende krieg“ – und damit war die Sitzung geschlossen, ohne dass man in diesem Verfahren auch nur einen Schritt vorangekommen wäre.

„Souveränität ist etwas anderes“, resümiert Eichlers Verteidiger Detlev Beutner: Das ganze Verhalten des Gerichts sei „der Sache völlig unangemessen“. Er wies darauf hin, dass es nach der „gefestigten Rechtsprechung des BGH zu derartigen Fallkonstellationen nicht einmal eine Anklage hätte geben dürfen.“ Der BGH hatte in einer sehr bekannt gewordenen Entscheidung vom 15.03.2007, in dem es um den Verkauf von Hakenkreuzen im Verbotsschild durch einen Online-Versandhändler gegangen war, nochmals bekräftigt, dass bereits der Tatbestand der Strafnorm nicht erfüllt sei, wenn die Verwendung „dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderläuft“; dies sei dann der Fall, wenn das Symbol erkennbar in Gegnerschaft zu der betroffenen Organisation und der dahinterstehenden Ideologie verwendet wird. Eichler bezeichnete die Verhandlung als „absurde Farce – ganz offensichtlich wird das Strafrecht hier als Instrument missbraucht, um Kritik an militaristischen Spektakeln der Bundeswehr zu kriminalisieren“. Denn im Gegensatz dazu sei „das Internet voll von Hakenkreuzen und anderen rechtsradikalen Symbolen, ohne dass sich irgendjemand von den Strafverfolgungsbehörden daran zu stören scheint“.

Die Verteidigung kündigte an, die Richterin aufgrund ihres Verhaltens nun wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Wenn „dem Angeklagten verwehrt wird, sich überhaupt gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen, kann nicht mehr die Rede davon sein, dass die Richterin der Sache und dem Angeklagten unvoreingenommen gegenübersteht“, erklärte Beutner.

Dokumentation des Verfahrens: den-zapfen-streichen.blogspot.com

Quelle: Indymedia (06.07.09)


Veröffentlicht am 7. Juli 2009 um 00:14 Uhr von Redaktion in Freiräume, News

Ergänzungen

  • ienstag, 7. Juli 2009
    (Sächsische Zeitung)

    Attacke gegen Zapfenstreich

    Von Martin Böcker

    Ein Student setzte für eine Protestaktion auf SS-Runen und steht jetzt vor Gericht.
    Andrang im Amtsgericht: Weil mehr als 60 Gäste in den Saal wollten, dieser aber zu wenig Platz bot, musste die Amtsrichterin zunächst den Umzug in einen größeren Raum organisieren. Die meisten Besucher machten von vornherein aus ihrer antimilitaristischen Haltung keinen Hehl. Schließlich hatte auch der Angeklagte Jörg E. im Sommer 2006 eine Protestaktion gegen den Großen Zapfenstreich der Bundeswehr auf dem Altmarkt organisiert. Dabei warb er mit einem Flyer für seine Aktion, die unter anderem einen Helm der Waffen-SS mit entsprechenden Runen zeigte. Aus diesem Grund wird ihm die „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ vorgeworfen. Nach der Verlesung der Anklage bekam E. Gelegenheit, sich zur Anklage zu äußern. Diese Stellungnahme wollte er im Stehen verlesen, was die Richterin nur widerwillig zuließ.

    Erhöhter Gesprächsbedarf

    Er äußerte sich daraufhin nicht zur Sache, sondern begann mit einem Tucholsky-Zitat gegen das Militärwesen. Daraufhin forderte die Richterin ihn eindringlich auf, sich lediglich zur Sache zu äußern, und kein politisches Plädoyer zu halten. Das sorgte im Publikum für Gelächter und Zwischenrufe. Der Angeklagte weigerte sich jedoch, von seinem Text abzuweichen. Das zweijährige Verfahren – samt einer Durchsuchung seiner Wohnung – habe bei ihm für „erhöhten Gesprächsbedarf“ gesorgt. Außerdem sehe er einen „politischer Zusammenhang“. Die folgenden Zwischenrufe sanktionierte die Richterin zunächst mit dem Rausschmiss eines Störers. Weil daraufhin keine Ruhe einkehrte, und der Angeklagte sich nicht kürzer fassen wollte, vertagte sie die Verhandlung.

    http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2201505

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.