Feminismus

„Take Back The Night“ – Demonstration gegen patriarchale Gewalt

8. Mai 2023 - 21:50 Uhr

Seit 2021 finden in immer mehr bundesdeutschen Städten am Abend des 30. April „Take Back The Night“-Demonstrationen statt, die damit eine bundesweite Protestform gegen patriarchale Gewalt wiederbeleben. Ab 1977 hatte die Frauenbewegung in zahlreichen westdeutschen Städten Walpurgisnacht-Demonstrationen unter dem Motto „Frauen, wir erobern uns die Nacht zurück“ durchgeführt. Auch in Dresden versammelten sich am Vorabend des 1. Mai, wie auch schon im vergangenen Jahr, Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen (FLINTA) und Queers, um sich die Straße zurückzuerobern und gegen Feminizide, transfeindliche Gesetze, Angriffe auf Queers und die alltägliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu protestieren.

Etwa 100 Teilnehmer:innen zogen lautstark parolenrufend mit Transparenten und Pyrotechnik vom Jorge-Gomondai-Platz über die Alaunstraße zur Kreuzung Görlitzer Straße/Louisenstraße („Krawalle“) für eine Zwischenkundgebung und von dort zum Alaunplatz für den Abschluss der Demonstration. Die Auftaktkundgebung startete mit Redebeiträgen sowie Grußworten aus anderen Städten, in denen ebenfalls „Take Back The Night“-Demonstrationen stattfanden, wie etwa in Berlin, Frankfurt am Main, Bremen und Freiburg. In den Grußworten wurde die städteübergreifende Verbundenheit und Solidarität gefeiert und die Stärke betont, die aus dem gemeinsamen Protests des Abends gewonnen würde.  

In dieser besonderen Nacht verteidigen sich FLINTA gegen antifeministische Angriffe und gehen in die Offensive. Dass es dafür noch Anlässe genug gibt, führte die Antifaschistische Basisgruppe Frankfurt am Main/Offenbach in ihrem Grußwort aus: In den letzten zwei Jahren seien Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und Übergriffe im öffentlichen Raum um 20 Prozent gestiegen. Das bedeute mindestens 12.000 schwere Übergriffe. Jeden dritten Tag werde eine FLINTA*-Person ermordet. 

Ein Redebeitrag zur Situation im Iran fokussierte auf die Gewalt der sogenannte „Sittenpolizei“, mit der kaum eine Frau im Iran keine Erfahrungen gemacht habe. Denn wer im Iran als Frau das Haus verlasse, könne leicht zur Beute werden. Die „Sittenpolizei“ inhaftiert und misshandelt Frauen, die gegen vermeintliche Sitten im Land verstoßen haben. So auch Jina Mahsa Amini, die im September 2022 wegen ihres nicht korrekt getragenen Kopftuches aufgegriffen wurde und drei Tage später ihren schweren Verletzungen erlag. Aber nicht nur von der „Sittenpolizei“ gehe Gewalt aus, sondern auch von Polizisten, Milizen, Gefängniswärtern und Staatsbeamten. Ihnen sei beigebracht worden, mit Oppositionellen, Kriminellen, LGBTIQ-Personen und Frauen umzugehen, wie sie wollen. Sexualisierte Gewalt sei eingeschrieben in die Gesetze, in die Rechtspraxis und in den Alltag des Staatsgebildes. Dieser Umstand erkläre auch die Wut, die seit Mitte September 2022 auf den Straßen Irans zu sehen ist. Was in Iran bei den Protesten für „Jin Jiyan Azadi“ (Frauen Leben Freiheit) geschieht, sei der Auftakt einer historischen feministischen revolutionären Bewegung.

Die queer pride Dresden kritisierte in ihrem Redebeitrag die dem Patriarchat innewohnende Einteilung der Menschen in zwei gegensätzliche Geschlechter und die damit verbundenen Zuschreibungen, Zwänge und Unterdrückung ebenso wie die Feindlichkeit gegenüber Schwulen, Lesben und trans Menschen sowie die Unsichtbarmachtung von nicht-binären Menschen. Women defend Rojava erinnerte an feministische Kämpfe auf der ganzen Welt, die eine wichtige Inspiration für den hiesigen Protest darstellten und nannten dabei die Feminist:innen in Mexiko, in der Türkei, im Iran, in Afghanistan und in Kurdistan. 

Die Straße ist oft auch tagsüber kein sicherer Ort und schon junge Mädchen sind von patriarchaler Gewalt betroffen. Das zeigte sich in einem Redebeitrag zu einer versuchten Entführung. Ein zehnjähriges und ein zwölfjähriges Mädchen wurden am 17. April nachmittags auf der Stauffenbergallee von zwei Männern aus einem schwarzen BMW heraus am Arm festgehalten. Beide konnten fliehen. Im Redebeitrag beklagen zwei FLINTA-Personen, die auf eine Schule in der Nähe der Stauffenbergallee gehen, dass sie infolge dieses Vorfalls wieder von den Eltern zur Schule gebracht werden müssen, und bedauern den Verlust ihrer Eigenständigkeit. Sie fordern Sicherheit für Kinder und FLINTA-Personen auf der Straße.

Das antifaschistische Kollektiv Dresden (AKD) widmete sich in seinem Redebeitrag den zahlreichen transfeindlichen Gesetzesinitiativen in den USA und den fatalen Auswirkungen insbesondere auf transgeschlechtliche Jugendliche. In zahlreichen Bundesstaaten sei inzwischen die Gesundheitsfürsorge für minderjährige trans Menschen verboten. Sexualaufklärung zu queeren Themen soll aus den Lehrplänen gestrichen werden. Bücher mit queeren Inhalten sollen aus den Schulbibliotheken entfernt werden. In Florida soll Eltern, die ihre Kinder bei einer Transition unterstützen, zukünftig das Sorgerecht entzogen werden können. Das AKD erinnerte auch an die trans Frau Koko Da Doll. Sie ist eine der vier Protagonistinnen des Dokumentarfilms „Kokomo City“ über Schwarze trans Sexarbeiterinnen in den USA und wurde am 18. April in Atlanta erschossen. Koko Da Doll ist damit bereits die dritte trans Frau, die 2023 in Atlanta ums Leben kam.

Auf die im vergangenen Jahr nicht angemeldete „Take Back The Night“-Demonstration reagierte die Polizeibehörde mit einem Ermittlungsverfahren gegen eine der vermeintlichen Versammlungsleiter:innen wegen des Verstoßes gegen § 27 Nr. 2 Sächsisches Versammlungsgesetz. Gegen die Auflage einer Zahlung an einen gemeinnützigen Verein wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz wurde zudem als „politisch motivierte Kriminalität – links“ erfasst. Darüber hinaus erfolgte eine Kategorisierung der Demonstration im Themenfeld Hasskriminalität als „männerfeindlich“. Dies kann der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Kerstin Köditz vom 31. Mai 2022 entnommen werden.

Inwiefern die Kritik an sexueller Belästigung, sexualisierter Gewalt, Queer-, Transfeindlichkeit und Feminiziden männerfeindlich sein soll, wird wohl das Geheimnis des Sächsischen Innenministeriums bleiben. Die neue Kategorie ist allerdings keine Erfindung aus Sachsen. Seit dem 1. Januar 2022 ordnet das Bundesinnenministerium Straftaten im Bereich der geschlechtsspezifischen Hasskriminalität in drei Kategorien ein: „Geschlechtsbezogene Diversität“ (Straftaten gegen trans Personen, Homosexuelle oder nicht-binäre Personen) „Frauenfeindlichkeit“ – und „Männerfeindlichkeit“. Für einen Artikel im Spiegel hat Mohamed Amjahid recherchiert, in welchen Bundesländern männerfeindliche Straftaten registriert wurden: Nur vier Bundesländer meldeten männerfeindliche Taten – in Summe sind es 14, darunter sind z.B. zwei in Berlin-Friedrichshain gemalte Parolen „FEMINISM IS FOR EVRYONE“ und „PATRIARCHAT ZERSCHAGEN“ (sic!) – und wohl auch die letztjährige „Take Back The Night“-Demonstration in Dresden. Damit auch die diesjährige Demonstration in diese Scheinkategorie einsortiert werden kann, ließen es sich die Polizeikräfte nicht nehmen, nach dem Ende der Versammlung eine Person erkennungsdienstlich zu behandeln. Im Zusammenhang mit dem Abbrennen von Pyrotechnik wird ihr der Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz vorgeworfen.


Veröffentlicht am 8. Mai 2023 um 21:50 Uhr von Redaktion in Feminismus

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