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Urteil im Antifa Ost Verfahren gesprochen

16. Juni 2023 - 12:37 Uhr

In 98. Verhandlungstagen wurde in Dresden gegen Lina und drei weitere Antifaschist:innen verhandelt. Am 31. Mai 2023 fällte die 4. Strafkammer des Oberlandesgerichtes (OLG) sein Urteil. Die Angeklagten haben gegen die verhängten Haftstrafen mittlerweile Revision eingelegt.

Der Senat verurteilte zwei Angeklagte, sich der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in den Jahren 2018 bis 2020 schuldig gemacht zu haben. Bei Lina E. ergebe das zusammen mit vier Fällen der gefährlichen Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Der zweite Verurteilte soll sich in einem Fall der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben, wofür insgesamt 3 Jahre Haft verbüßen solle.

Die beiden anderen Angeklagten wurden jeweils wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Hinzu komme für beide der Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung in einem Tatkomplex. Außerdem sei einer der beiden durch das Verleihen seines Pkw der Beihilfe an einer weiteren gefährlichen Körperverletzung schuldig.

9-stündige Urteilsbegründung

Der vorsitzende Richter Schlüter-Staats führte sein Urteil, abgesehen von einigen Unterbrechungen, über neun Stunden hinweg aus. Er begann mit dem zweiten Angriff auf den Eisenacher Neonazi Leon Ringl, bei dem zwei der Angeklagten und weitere Beschuldigte in der Nähe des Tatortes festgenommen worden waren. Aus diesem Umstand ergab sich für den Senat deren Tatbeteiligung. Sehr viel umständlicher war hingegen die Begründung, dass der Angriff durch einen weiteren Angeklagten unterstützt worden sei, indem dieser sein Fahrzeug zur Verfügung gestellt hätte. Nach Aussage des Kronzeugen Johannes Domhöver sei bei der Übergabe des Fahrzeuges an ihn nicht über die Tat gesprochen worden, auch im Vorfeld nicht. Erst im Nachhinein, nachdem ein Blitzerfoto bekannt geworden sei, welches das Auto in Verbindung mit der Tat brachte, hätte der Angeklagte davon erfahren. Der Senat sieht es dagegen als erwiesen an, dass der Angeklagte von der Tat gewusst und sie gut geheißen habe, da die Anfrage zum Verleihen des Autos aus den Reihen der Vereinigung gekommen sei.

In drei Fällen sprach der Senat die Hauptangeklagte Lina E. frei. Es handelte sich bei diesen um den Angriff auf den Leipziger Neonazi Enrico Böhm und den Wurzener Neonazi Cedric Scholz. Beide Fälle seien der Vereinigung zuzuordnen, wobei durch die Beweisaufnahme nicht erhellt werden konnte, ob die Angeklagte sich an ihnen beteiligt hätte. Außerdem sei sie auch nicht wie von der Anklage behauptet als Rädelsführerin der Vereinigung anzusehen. 

Anhand der vom Gericht aufgestellten Behauptung, die Angriffe auf Böhm und Scholz seien als Vereinigungstaten anzusehen, zeigt sich ein Problem in der Verurteilung nach dem Paragrafen 129 Strafgesetzbuch. Dieser setzt vorraus, dass mehr als zwei Personen Mitglieder der Vereinigung sein müssen. Die Gruppe Ermittlungsausschuss Dresden kritisierte, dass bislang nur zwei Personen entsprechend verurteilt worden seien, wobei das Urteil explizit weitere Personen als Vereinigungsmitglieder benennt. Diese hätten sich dagegen juristisch gar nicht zur Wehr setzen können. 

Angesichts der Medienberichte zum Verfahren scheint der meist als Verlobter von Lina E. benannte Johann G. bereits eindeutig verurteilt zu sein. In zahlreichen Publikationen wird er als der Strippenzieher hinter allen Angriffen benannt, als umtriebiger Linksextremist und weiteres. Vergessen wird dabei in den meisten Fällen, dass seine Beteiligung an allen in Rede stehenden Taten eine Beschuldigung der Polizei ist, die bisher nicht angeklagt und auch nicht verurteilt wurde. Sollte sich in einem Prozess gegen ihn heraus stellen, dass ihm eine Vereinigungsbeteiligung nicht nachgewiesen werden kann, wird das jetzige Urteil des Oberlandesgerichtes dennoch Bestand haben.

Für das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung spreche zunächst die Zahl der Taten, die sich in den Jahren zwischen 2018 und 2020 ereignet hätten, so die Urteilsbegründung. Aus ihnen ergebe sich der von der Polizei ins Feld geführte „Modus Operandi“: Brutalität, kommandomäßige Vorgehensweise und intensive Vorbereitung seien Merkmal der Vereinigung gewesen. Außerdem sieht der Senat auch die Aussagen des Kronzeugen als Bestätigung für eine Vorbereitung von Taten in gemeinsamen Trainings. Jedoch sei Johannes Domhöver kein „Gamechanger“ gewesen, denn auch durch weitere Beweismittel wäre ein ähnliches Ergebnis erzielt worden. 

Ein ganz gewöhnliches Staatsschutzverfahren?

Die letztgenannte Äußerung mutet seltsam an, schließlich war der Prozess, der sich im Frühjahr 2022 eigentlich bereits in einem Endstadium befunden hatte, durch den Kronzeugen im letzten Jahr in eine gut dreiviertel jährige Verlängerung gegangen. Hinweise auf die nun verurteilte Vereinigungsstruktur kamen maßgeblich aus den Aussagen des Kronzeugen, der eine vom LKA entworfene, sogenannte Kreistheorie als Organigram der Vereinigung vor Gericht bestätigte. 

Auch das Bild, welches der Richter von den äußeren Umständen des Verfahrens zeichnete, entsprach kaum dem, was sich Zuschauer:innen über weite Strecken bot. Es sei kein aufgebauschtes Sicherheitskonzept gefahren worden, sondern man sei wie bei jedem Staatsschutzverfahren ganz normal vorgegangen. Sicherheitsmaßnahmen würden außerdem auch immer für die Angeklagten selbst ergriffen, die ebenso einer Bedrohung ausgesetzt seien. Dass das Aufgebot an Polizist:innen mit Maschinengewehren, Helikoptern und die nahezu eins- zu-eins Betreuung der Demonstrant:innen vor dem Gebäude am Urteilstag als Schutzmaßnahme für die Angeklagten gedacht gewesen sein soll, ist allerdings wenig überzeugend. 

Noch während der Urteilsverkündung kam es immer wieder zu kleineren Tumulten. Zwischenbekundungen des Publikums, in dem sich viele Angehörige und Freund:innen der Angeklagten befanden, begegnete zum einen der Vorsitzende Richter feindselig, zum anderen aber vor allem das eingesetzte Wachpersonal. Als zu Beginn einer Pause der Vater eines Beschuldigten durch Beamt:innen aus dem Saal geholt werden sollte, eskalierte die Situation kurzzeitig. Zwischen den engen Stuhlreihen schubsten Beamt:innen mehrere Zuschauer:innen zu Boden. Innerhalb kürzester Zeit wuchs die Zahl der Polizeikräfte im Saal auf gut 50 Beamt:innen an. Nach der Pause räumte der Richter ein, es sei bei der Identifizierung eines Störers ein Fehler unterlaufen. 

Verteidigung geht in Revision

Die Verteidigung blieb nach dem Urteil bei ihren Vorwürfen, der Senat habe in der Beweiswürdigung entlastendes Material nur dann gelten lassen, wenn wirklich glasklare Alibis vorlägen. Bei der Abwägung der Indizien, die für oder gegen eine Tatbeteiligung ihrer Mandant:innen sprechen, hätte das Gericht immer gegen den Zweifelssatz, „im Zweifel für die Angeklagten“, gesprochen. Tatsächlich berief sich das Gericht in mehreren Fällen auf die Argumentation, dass wenn Angeklagte Teil der Vereinigung oder des erweiterten Kreises seien, sie dann eben als Tatbeteiligte schuldig zu sprechen seien. In nur wenigen Fällen lässt sich eine eindeutige Beweiskette wie beim zweiten Angriff auf Leon Ringl herstellen. Mitunter entstanden darum Konstruktionen, wie die, dass Lina E. in der Nähe eines Tatortes in Leipzig Connewitz gemeldet und ihr Lebenspartner mutmaßlich an der Tat beteiligt war. Angesichts einer für diesen Angriff verhängten Freiheitsstrafe von allein 3 Jahren und 3 Monaten, scheint diese Argumentation dürftig. 

Die Verteidigung im sogenannten Antifa Ost Verfahren ging darum nun in Revision. Bis zum Abschluss dieser ist der Haftbefehl gegen Lina E. durch das Gericht außer Vollzug gesetzt worden. Sie muss ihre Ausweise jedoch abgeben und sich regelmäßig auf einem Polizeirevier melden. Das Gericht erfüllte hiermit eine Forderung der Verteidigung, die schon lange darauf bestanden hatte, dass die Inhaftierung ihrer Mandantin aufgehoben wird. Die behauptete Fluchtgefahr diene lediglich der Legitimation des übertriebenen Gerichtsprozesses und schade ihrer Mandantin. Die durch die Haft extrem verschärfte Erkrankung der Angeklagten, der über etwa ein dreiviertel Jahr eine fachärztliche Behandlung verweigert worden war, benannte das Gericht immerhin als einen Milderungsgrund bei der Strafzumessung. 

Kein Ende der Ermittlungen in Sicht

Während der Prozess in Dresden endet, führt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden und die Bundesanwaltschaft zahlreiche weitere Ermittlungsmaßnahmen durch. Das Landeskriminalamt Sachsen kündigte an, man sei gerade erst am Anfang mit den Verfahren gegen links. Jüngst war ein Mann in Jena verhaftet worden. Zudem wurden drei Wohnungen in Jena durchsucht. Der Festgenommene wurde eigens nach Dresden verfrachtet, nur um kurze Zeit später auf freien Fuß gesetzt zu werden. Ihm wird eine Beteiligung an einem Angriff auf Neonazis vorgeworfen, den die Staatsanwaltschaft anscheinend ebenso in die Nähe der mutmaßlichen Vereinigung um die Angeklagten in Dresden rücken will.

Für die zweite Jahreshälfte kann außerdem die Anklage gegen weitere bereits bekannte Beschuldigte erwartet werden, denen eine Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Zumindest sind mehrere Namen Beschuldigter durch Gericht und Bundesanwaltschaft immer wieder genannt worden. Auch dieses Verfahren könnte in Dresden geführt werden. 

Bildquelle: @dunyacollective


Veröffentlicht am 16. Juni 2023 um 12:37 Uhr von Redaktion in Antifa, Nazis

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