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Abschluss des NSU-Untersuchungsausschuss in Sachsen

17. Juli 2019 - 10:17 Uhr

Am 4. Juli 2019 wurden im Sächsischen Landtag die Ergebnisse des Zweiten sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses diskutiert. Aber auch der endet wie der Erste: Detaillierte Aufarbeitung und konkrete Handlungsempfehlungen seitens der linken Opposition treffen auf Regierungsfraktionen, die nicht Willens sind, Konsequenzen aus der neonazistischen Mordserie zu ziehen. Eine Kundgebung vor dem Landtag thematisierte diese Ignoranz und forderte „Rechten Terror und Rassismus bekämpfen!“.

Etwas mehr als zwei Dutzend Personen hatten sich am Morgen vor dem Landtagsgebäude zu einer antifaschistischen Kundgebung zusammengefunden. Aufgerufen hatte die Dresdner „Kein Schlussstrich“-Initiative und NSU Watch Sachsen. Auf Transparenten wurde unter anderem die Entschädigung der Hinterbliebenen und Überlebenden der NSU-Verbrechen gefordert. Philipp Klein von NSU Watch Sachsen sagte: „Der Untersuchungsausschuss hat das deutlich herausgearbeitet: Es wäre möglich gewesen, den NSU zu stoppen. Nicht nur einmal, sondern mehrfach. Das ist jedoch nicht geschehen, weil die Fahndung nach den untergetauchten Nazis bei den sächsischen Behörden von kaum jemanden ernst genommen wurde.“ Schon deshalb müsse der Freistaat für eine Entschädigung der Hinterbliebenen und Überlebenden der NSU-Verbrechen sorgen, so Klein.

Mira Bielski von der Initiative „Kein Schlussstrich“ versteht die abwiegelnde Haltung im Bericht der Regierung nicht: „Seit der Selbstenttarnung des NSU wurden in Sachsen mindestens drei weitere rechtsterroristische Organisationen ausgehoben“, sagt sie und verweist auf die Aktivitäten von Oldschool Society (OSS), Gruppe Freital und Revolution Chemnitz. Bielski findet die ausbleibende Reaktion der Regierung unverständlich: „Rechtsmotivierte Gewalt hat seit 2015 sprunghaft zugenommen. Mit Ruth K. und Christopher W. sind weitere Todesopfer rechter Gewalt in Sachsen zu beklagen. Und nun stellt sich die Regierung hin und erklärt alles sei in Ordnung und alles nötige getan – wer soll das denn bitte noch glauben?“

Im Landtag eröffnete Lars Rohwer (CDU) die Debatte. „Gegen Terror, egal welcher Art, muss entschieden vorgegangen werden, vor allem mit der Macht der Argumente“. Für einen sächsischen CDU-Politiker hielt er eine recht engagierte Rede und sagte mit Blick auf rechtsradikales Gedankengut: „Ziel sollte sein, permanent zu widersprechen und die Zivilgesellschaft zu stärken!“ Bemerkenswert auch die abschließende Einschätzung wonach „viele Spuren in der Neonazi-Szene […] noch nicht ausgeleuchtet [sind]“.

Fallstricke liess Rohwer dennoch nicht aus. Da wäre der fragliche Bezug auf Seehofers Aussage, im Mordfall Walter Lübcke (CDU) zeige sich eine neue Qualität des Rechtsextremismus. Nach vier Jahren Vorsitz im Untersuchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ sollte Rohwer es besser wissen: Der Lübcke-Mord ist vor allem die Fortschreibung eines jahrzehntealten, nur unzureichend ausgeleuchteten und beachteten rechten Terrors. Der Bezug auf den Extremismusansatz nahm der Rede immer wieder die Klarheit. Mit Blick auf den Untersuchungsausschuss sagte Rohwer: „Dass er nötig wurde, ist die Folge extremistischen Gedankenguts.“ Ob es nicht  doch Rassismus war? Bedenklich war zudem seine Feststellung: „Sicherheitsbehörden können nur begrenzt wirken.“ Das mag als Appell an die Zivilgesellschaft gemeint sein, es bekommt jedoch angesichts der Einsatzfreude der Sächsischen Polizei Nazidemonstrationen den Weg freizuräumen oder fragwürdige Abschiebungen durchzusetzen einen schalen Beigeschmack.

Behäbigkeit und Unwillen, wenn es gegen rechte Strukturen geht, thematisierte auch die stellvertretende Ausschussvorsitzende Kerstin Köditz (Die Linke). Gerade beim Landesamt für Verfassungschutz (LfV) Sachsen gäbe es Beamte, die bei der Fahndung nach dem wegen eines Sprengstoffdelikts gesuchten Nazitrios „nicht immer ihr Möglichstes gegeben und manchmal nicht einmal das Notwendigste getan haben“. In einer Kurzzusammenfassung zu den Ausschussergebnissen stellt die Linksfraktion fest: „In der längsten Zeit, in der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich in Sachsen verborgen hielten, suchte überhaupt niemand nach ihnen.“ Köditz sagte: „Man hätte mehr tun können, man hätte mehr tun müssen.“ Das gilt auch in Sachen Aufklärung: Trotz zweier Untersuchungsausschüsse ist bis heute nicht klar, wer die Quelle des LfV Sachsen war, die aus dem direkten Umfeld von Böhnhardt & Co. berichtet hat. Darauf hat der Journalist Dirk Laabs erst unlängst hingewiesen. Köditz formuliert es deutlich: „Nichts berechtigt uns zu einem Schlussstrich.“

Daran knüpft auch Valentin Lippmann von den Grünen an. Er sprach von einem „Mosaik des Scheiterns“ in Hinblick auf die Fahndung nach dem Trio. „Es wäre möglich gewesen, den NSU zu stoppen“, fasst er die Ergebnisse der Ausschussarbeit zusammen. Anders die Meinung von Sabine Friedel (SPD) keine „unmittelbare Verantwortung“ sächsischer Behörden erkennen wollte und vielmehr auf eine Reihe an Veränderungen im Nachgang der NSU-Verbrechen wie etwa das „gut ausgestattete Landesprogramm Weltoffenes Sachsen“ verwies. Das hat derzeit ein Jahresbudget von ca. vier Millionen Euro zur Verfügung. Was tatsächlich mehr Geld ist als 2011. Der eigentliche Gewinner ist aber das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz. Das konnte sich trotz nachweislich fehlerhafter Arbeit über ein dickes Budgetplus freuen: 2011 bekam es noch 11,9 Millionen Euro, 2019 waren es bereits 15,9 Millionen. Friedel empfand das offenbar nicht als problematisch: Stattdessen müsse dabei geholfen weden, „dass das LfV seinem Anspruch gerecht wird“. Die erwiesene Reformunfähigkeit des Verfassungsschutzes wird mit alternativloser „Weiter so“-Rhetorik untermalt. Da klang die SPD zumindest nach dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss noch anders.

Ein Entschließungsantrag der Linksfraktion bildete den Abschluss der Debatte. Darin wurde eine Entschädigung für die Angehörigen und Überlebenden der NSU-Verbrechen gefordert, außerdem die Behandlung des NSU-Komplexes in den Schullehrplänen. Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit. Inwiefern aus dem NSU-Komplex in Sachsen tatsächlich Lehren gezogen werden, die eine Wiederholung unmöglich machen und dem grassierenden Rassismus wirksam begegnen, bleibt abzuwarten. Die Regierungsfraktionen, aber auch der Sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU), begnügten sich vor allem mit Worten. Wie groß die Diskrepanz zwischen Wort und Tat ist, illustrierte eine Situation am Rande der Debatte: Lars Rohwer zitierte in seinem zweiten Statement den Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel: „Man muss immer Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer.“ Nur kurz zuvor wurde eine Mitarbeiterin der RAA Sachsen wegen eines T-Shirts nicht auf die Zuschauertribüne gelassen. Darauf stand: „Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt“. Landtagsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter sahen sahen darin eine politische Botschaft und dies sei verboten.


Veröffentlicht am 17. Juli 2019 um 10:17 Uhr von Redaktion in News

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