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Oceans Elbflorenz – Ein Kommentar

29. November 2019 - 16:26 Uhr

Dresden ist in Aufruhr. Ach, was heißt Dresden. Sachsen, Deutschland und sogar die Welt: der so genannte „Sachsenschatz“ sei gestohlen worden. Die Nachricht vom Einbruch in das „Grüne Gewölbe“ verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ohne Frage, ein spektakulärerer Einbruch, der Nachrichtenwert hat. Die Reaktionen und Implikationen der Sächsischen Landesregierung, wie auch vieler Bewohnerinnen und Bewohner des Freistaates legen jedoch einiges an reaktionären und revisionistischen Haltungen offen, die schlussendlich auch dazu führen, dass Sachsen ist, wie es halt ist.

Wenige Stunden nachdem der Einbruch im „Grünen Gewölbe“ bekannt wurde, twitterte Ministerpräsident Kretschmer bereits seine ganz eigene, bedeutungsschwangere Interpretation der Geschehnisse. Nicht nur die Sächsischen Kunstsammlungen (SKD) seien bestohlen worden, sondern gleich „WIR“ Sachsen. Einerseits wird hier deutlich, wie sehr die Öffentlichkeitsarbeit der sächsischen CDU und Ministerpräsident Kretschmer auf schneller Emotionalisierung beruht. Es geht weniger um eine sachliche Aufarbeitung, als vielmehr um eine schnelle Deutungshoheit der Geschehnisse zum eigenen Vorteil. Anderseits wird deutlich, wie sehr die CDU Sachsen versucht, mit solchen Ereignisse an ein mindestens patriotisches „WIR“-Gefühl zu appellieren. So ist nicht nur der Diebstahl zu beklagen, sondern wie das Innenministerium twitterte, nicht weniger als ein Teil sächsischer Identität. Hier wird versucht, ein sächsisches Kollektivbewusstsein über Gegenstände zu konstruieren, deren konkrete Existenz und Geschichte wohl nur den wenigstens Sachsen in dieser Form überhaupt bewusst gewesen sein dürften.

Die Reaktionsmuster lassen den Schluss auf bewusst geschichtsrevisionistische Sichtweisen der Sächsischen Landesregierung zu. Der Blick auf die absolutistische Zeit unter August dem Starken ist dabei mehr als verklärend. So stimmt zwar die Aussage, dass die gestohlenen Kostbarkeiten zu Teilen durch die sächsische Bevölkerung erarbeitet wurden, doch – und das ist ein wichtiges zu beachtendes Detail – nicht für sie. Das Gegenteil ist der Fall. Während der überwiegende Teil der Bevölkerung damals in ärmlichen Verhältnissen lebte, sah sich Sachsens „hyperpotenter Super-Ahne“ August der Starke bei der Sammlung von Schmuck, Gemälden und Bildern in Konkurrenz zu Frankreichs „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. Die Bevölkerung blieb in beiden Fällen auf der Strecke. Trotzdem fühlen sich viele Menschen in Dresden selbst bestohlen, ein Indiz für eine ungebrochene Herrschaftsgläubigkeit in dieser Stadt. Eine Diskussion darüber, inwieweit die „Schätze“ im Grünen Gewölbe gar in einem kolonialen Kontext zu bewerten sind, kam in  der jüngeren Debatte gar nicht erst vor.

Wie auf der Pressekonferenz immer wieder von der Leiterin des Grünen Gewölbes erklärt wurde, besteht der Wert des Garnituren vor allem darin, dass sie die Jahrhunderte überstanden, ohne auseinandergerissen worden zu sein. Besonders betont wurde dabei, dass der Schatz auch die DDR überstanden hätte. Die Stücke haben also nicht nur die Französischen Kriege in Dresden, den Ersten und Zweiten Weltkrieg, sondern auch Nationalsozialismus, Kommunismus und ja sogar das Hochwasser 2002 überstanden. Die gestohlene Garnitur steht damit exemplarisch für die ungebrochene Linie von der Prunkzeit August des Starken bis Heute. Mehr noch als die barocke Frauenkirche, welche durch die Zerstörung auch an die Zerbrechlichkeit des Alten erinnert und trotz des Wiederaufbaus nur beschädigte Symbolik darstellt. Der „Sachsenschatz“ wirkt dabei hingegen fast unbelastet und stellt damit die reine Projektion der Unzerstörbarkeit des sächsischen Prunks im 18. Jahrhundert dar. Eine Projektion, die all die historischen Erinnerungen an die folgenden historischen Taten vergessen lässt. Die das gekränkte Selbstwertgefühl der Sachsen durch historische Schwelgereien wiederherstellt.

So ist das Entsetzen von Teilen des reaktionären Dresdner Bürgertums auf den Diebstahl wenig verwunderlich. Fast reflexartig wird nicht nur das Gefühl der ständigen Bedrohung des Dresdner Selbstwertgefühls durch Angriffe von Außen heruntergebetet, sondern auch der Wunsch nach dem alten Glanz der Landeshauptstadt artikuliert. Die AfD interpretiert die Geschehnisse wie immer im Kontext der Grenzöffnung, ganz so als hätte es vor 2015 keine Kunstdiebstähle gegeben. Der Stadtratsabgeordnete der Freien Wähler Frank Hannig inszeniert den Volkszorn mit einer ominösen Spendensammlung, um damit ein Kopfgeld auf die Einbrecher aussetzen zu können. Zynisch passend kommentierte der Dresdner Blogger Michael Bergmann ganz im Sinne der Kommentare von Leserinnen und Lesern der Lokalpresse noch am Montagnachmittag die Ereignisse damit, dass den Tätern, wenn sie den gefasst wären, an einem Montagabend auf einen Marktplatz die Hände abgehackt würden.

Allein der Generaldirektorin des Grünen Gewölbes Marion Ackermann kann eine positive Haltung in der Debatte diagnostiziert werden. Auf der Pressekonferenz am Montagvormittag betonte sie auf die Frage hin, warum die mit großer Sicherheit prekär beschäftigten Wachleute denn nicht eingeschritten wären, dass ein Menschenleben immer noch höher wiege, als Kunstschätze und Wertgegenstände. In Zeiten, in denen an anderer Stelle in der Stadt offen darüber diskutiert wird, ob Menschlichkeit überhaupt verhandelbar ist, eine geradezu revolutionäre Aussage.

Die Einzigen, die lachen können, sind mal wieder die Linken. Von ihnen wurde kein Teil der Identität geklaut. Ohne falsch verstanden zu werden, das hat nichts mit Kunstbanausentum zu tun. Aber die Identifikation mit den sächsischen Kunstschätzen ist doch weitaus weniger ausgeprägt, sind sie doch Sinnbild der Machtverhältnisse im Absolutismus und Feudalismus und eng verwoben mit der bis heutige Zeit reichende Kolonialgeschichte der Deutschen. 

Darüber hinaus birgt der Raub auch die Assoziationen an das Sozialrebellentum des 19. Jh. Er zeigt die Schnittstellen der Verwundbarkeit von Sicherheit und Ordnung auf, insbesondere auch dadurch, dass der Raub ohne jegliche Verletzungen von Menschen vonstatten gegangen ist. Dass es sich dabei aber weniger um ein tollkühnes Robin Hood Stück, sondern wahrscheinlich viel mehr der Konservierung von Privatvermögen für die nächsten hundert Jahre handelt, sollte jedoch jedem Linken bewusst sein. Damit ist es leider auch nicht viel mehr, als eine weitere Reproduktion von Machtverhältnissen. Zumindest hat sie es geschafft, die psychologische Verfasstheit der „Sachsen“ ein Stück weit offen zu legen. 


Veröffentlicht am 29. November 2019 um 16:26 Uhr von Redaktion in News

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