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„Die Nachbar:innen sind für unseren Rückhalt wichtiger, als eine Mauer um das Haus“- Grenzgespräch mit Hulajpole, einem squat in Wrocław

19. April 2021 - 17:37 Uhr

Die Grenzgespräche sind eine fortlaufende Reihe, die den Fokus von addn.me vom lokalen ins internationale weitet: Wir sprechen mit Gruppen, Aktivist:innen und Einzelpersonen in den Nachbarländern und darüber hinaus über soziale Bewegungen, Aktivismus, Potenziale, und den Stand der Dinge. In der Annahme, dass wir eine Menge lernen können – und in der Annahme, dass deren Kämpfe auch unsere sind.

ADDN: Im Oktober 2020 hatten die Teinehmer:innen der „Love Not Hate“ Bildungsreise die Möglichkeit, euch zu besuchen, jetzt werden schon zwei aktivistische Gegenbesuche aus Wrocław organisiert. Obendrein wart ihr in letzter Zeit sehr aktiv – nicht nur in den lokalen Kultur- und Communitymedien, sondern mit der Ankündigung eures Notzimmerprogramms seid ihr auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Wir werden bestimmt nicht hinterherhinken, also ist es höchste Zeit, den Kontakt zu nutzen, den wir im letzten Sommer aufgebaut haben. Ihr habt da gerade einem Räumungsversuch widerstanden. Wie sieht es jetzt mit der Stimmung im besetzten Haus aus?

HP: Seit letztem Juni hatten wir keine größeren Probleme. Damals gelang es uns Dank der Unterstützung der Breslauer anarchistischen Gemeinschaft und kräftiger Barrikaden, die Beamt:innen und Bullen aufzuhalten. Anfang diesen Jahres wurden die Dinge ein wenig beunruhigender, denn nach einer siebenjährigen Pause begann der Bau einer Umgehungsstraße, die durch unser Haus führen sollte. Beunruhigend auch deshalb, weil das Ganze in einem ganz verrückten Tempo geschah. Jetzt wird sie durch das Grundstück unseres Nachbarn laufen; wir haben eine laute Baustelle direkt nebenan und alle Bäume in unserer Allee sind bereits gefällt worden, es ist also nicht mehr so ruhig wie früher, aber wenigstens stört uns im Moment niemand. Wir vermeiden Beamt:innen und Papierkram, sprechen mit Arbeiter:innen und machen einfach weiter wie zuvor.

ADDN: Sagt doch mal bitte ein paar Sätze über euch selbst, das Haus und das Kollektiv.

HP: Seit zwei Jahren besetzen wir unsere Villa am Fluss in wechselnder Besetzung. Das Kollektiv zur Vorbereitung auf die Besetzung wurde natürlich viel früher gebildet. Das Gebäude selbst stammt aus dem Jahr 1929, es stand etwa fünf Jahre lang leer, davor befanden sich darin Sozialwohnungen. Die Mieter:innen wurden rausgeschmissen und es sollte abgerissen werden, aber jetzt wimmelt es vor Leben. Gleich zu Beginn haben uns viele Leute geholfen, Dank ihnen und unserer ständigen Arbeit haben wir inzwischen drei renovierte Etagen, Wirtschaftsräume im Keller, einen Hinterhof mit Garten, einen Konzertsaal in der Garage, eine Photovoltaikanlage, eine Terrasse mit Blick auf die Oder und vor allem haben wir uns einander, unsere Besetzer:innen-Familie.

ADDN: Das klingt nach einem tollen Ort, um Politik zu machen und zusammen zu leben. Wie sieht dieses Leben und die Politik im Alltag aus? Was macht ihr, außer euch um das Haus und um einander zu kümmern?

HP: Morgens trinken wir Kaffee, gehen jobben, dann zu Treffen oder Trainings – die meisten von uns arbeiten und sind an den Aktivitäten verschiedener Breslauer Gruppen beteiligt; der Anarchistischen Föderation, der Aktion für Mieterrechte, der Initiative 8. März, Sabat, der Freien Bibliothek, FNB, ROR, ABC und der Union Polnischer Syndikalisten, naja verschiedenste Sachen eben. Zu Hause haben wir eine Siebdruckwerkstatt und eine Fahrradwerkstatt, wir stellen selbstgemachten Mate her, wir teilen unseren Raum mit verschiedenen Gruppen, wir bieten Rat und Hilfe für Leute an, die sich ebenfalls organisieren wollen und manchmal laden wir einfach Freund:innen zu einem Film, Tee oder Brettspielen ein. Wir versuchen auch, Nachbarschaftsaktionen zu organisieren und verteilen dazu Flugblätter mit Angeboten zur lokalen Unterstützung, z.B. für ältere Menschen. Soweit es die Pandemie zulässt, organisieren wir Nachbarschaftspicknicks mit Spielen für Kinder und Austausch von Büchern und Pflanzen. Es funktioniert, immer mehr Menschen im Kiez grüßen uns auf der Straße und die engsten Nachbar:innen kommen manchmal zum Gespräch. Wir hoffen, dass es auch weiter so klappt, denn die Nachbar:innen sind für unseren Rückhalt wichtiger, als eine Mauer um das Haus.

ADDN: Das ist schön gesagt. Und wie wirkt sich Covid auf euren Aktivitäten aus?

HP: Obwohl es komisch klingt, bislang waren die Auswirkungen gar nicht so schlimm. Die erste Welle der Pandemie ließ uns zu Hause sitzen und wir konnten viele Renovierungsarbeiten durchführen. Wir bereiteten Lebensmittelpakete vor und sammelten Hygieneartikel für Menschen in einer psychiatrischen Klinik. Wir haben auch eine Bau- und Renovierungskooperative gegründet und waren auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten für Menschen, die durch den Lockdown ihre Arbeit verloren haben. Als die Einschränkungen aufgehoben wurden, feierten wir unseren überfälligen Geburtstag, es wurde ein Fest, welches das ganze Wochenende dauerte. Es war anstrengend, aber toll! Und wir haben es geschafft, Soligeld für das längst überfällige Stromaggregat zu sammeln. Jetzt ist es wieder schwieriger mit Veranstaltungen und Konzerten, aber wir hoffen, dass wir im Sommer schon wieder Dinge organisieren können.

ADDN: Und was habt ihr für den Sommer und die nahe Zukunft geplant?

HP: Sicher wird es wieder eine Geburtstagsparty geben, ihr seid alle am 19. Juni herzlich eingeladen! Jetzt beginnen wir mit dem Frühjahrsputz rund ums Haus und im Garten, sowie mit dem Bau eines neuen Zaunes, denn diese schreckliche Straße nebenan wird uns leider ein Stück unseres Hofes mit dem Haupttor und der Einfahrt wegnehmen. In letzter Zeit haben wir auch in unserem Haus das berühmte Notzimmer für Menschen in Krisen organisiert; wir arbeiten dabei mit der Nomada Vereinigung und der Kultura Równości zusammen, damit Leute in Not auf psychologische Unterstützung durch diese Gruppen zählen können. Bisher war die erste Erfahrung mit den halboffiziellen Notgäst:innen wirklich schwierig. Bei uns zu Hause gilt ein Verbot für Drogen und Fleisch, und auch strenge Regeln zum (begrenzten) Alkoholkonsum und allgemeiner Sicherheit. Es ist für uns super wichtig, dass sich Notgäst:innen von außen auch an diese Regeln halten und niemand hier hat die Zeit, jemanden den ganzen Tag zu beaufsichtigen. Deshalb arbeiten wir an dem Notzimmer zusammen mir zwei Organisationen, einer für Queers und die andere für Geflüchtete und Immigrant:innen. Wir hoffen, dass wir gemeinsam ein sinnvolles Unterstützungsangebot schaffen können, denn es mangelt nie an sowieso schon benachteiligten Menschen in Not.

ADDN: Also wir drücken euch die Daumen! Herzlichen Dank für das Gespräch. Und wie können Menschen euch erreichen?

HP: Na klar, kontaktiert uns gern. Grenzen auf – überall! Meldet euch gern bei hulajpole@riseup.net, ihr könnt auch auf Deutsch schreiben, wenn ihr wollt.

Weitere Infos: https://www.facebook.com/hulajpole.wro/


Veröffentlicht am 19. April 2021 um 17:37 Uhr von Redaktion in International

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