Soziales

Wer gestaltet die Stadt? Elixir kämpft weiter

28. November 2016 - 18:37 Uhr - Eine Ergänzung

„Es muss um die Menschen in dieser Stadt gehen – um unsere Wünsche und Bedürfnisse!“, so rief der Verein Elixir (Experimentierzentrum für interkulturelles Leben in Dresden) auf, am Donnerstag den 24. November vor das Dresdner Rathaus zu kommen. Grund dafür war und ist die Frage, in wie weit bürgerschaftliches Engagement von der städtischen Politik der Landeshauptstadt unterstützt wird. Seit Anfang 2016 arbeitet der Verein daran, Wohn- und Lebensraum für 150 Menschen in der Dresdner Neustadt zu schaffen. Es soll ein Ort entstehen, an dem „Geflüchtete und Dresdner_innen mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam leben, lernen, Kultur schaffen und arbeiten“. Die Gruppe hat dafür ein ausführliches Konzept und einen Finanzierungsplan ausgearbeitet. Nun konkurriert sie mit einem privatwirtschaftlichen Investor um das ehemalige Vermögensamt auf der Königsbrücker Straße.

In der Stadtratssitzung am Donnerstag sollte sowohl über die Verkaufsvorlage, als auch einem Antrag, der von den Linken und Grünen, mit Unterstützung der Piraten, eingebracht worden war, abgestimmt werden. Mit dem Antrag soll der Verkauf gestoppt und geprüft werden, inwiefern das Grundstück „für die Initiative „Elixir“ nutzbar gemacht werden kann“. Vor dem Rathaus machte die Initiative ihr Konzept erneut sichtbar, informierte über die Brisanz der stadtpolitischen Entscheidung und bot Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich mit einer an Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und den Dresdner Stadtrat gerichteten Postkartenaktion für das Modellprojekt einzusetzen.

Im Oktober 2015 war eine städtische Ausschreibung zum Verkauf der Königsbrücker Straße 117a/119 veröffentlicht worden. Der Zuschlag ging an einen Investor. Der plant sowohl Wohnungen, als auch Büros einzurichten und bot der Stadt Dresden eine Summe, welche den geschätzten Wert der Immobilie überstieg. Der neu gegründete Elixir e.V. veröffentlichte daraufhin im Januar eine Pressemitteilung, in der er Interesse an dem Gebäude bekundete. Im April stellte der Verein einen Antrag bei der Stadt, das Gebäude nicht an den Investor zu verkaufen. Stattdessen soll das Grundstück über eine Konzeptausschreibung mit einem Erbbaurechtsvertrag vergeben werden, sodass es in städtischem Eigentum bleibt. Lediglich die Immobilie würde auf die Initiative übergehen.

Oberbürgermeister Hilbert bezeichnete im Gespräch mit Elixir e.V. das Anliegen zwar als „gut und unterstützenswert“, um dann zu einem späteren Zeitpunkt dennoch den Verkauf des Grundstücks zu befürworten. Elixir wartet bis dato auf eine offizielle Antwort des Oberbürgermeisters und hat einen zweiten offenen Brief an ihn veröffentlicht. Zur weiteren Entscheidung wurde der Fall an den Stadtrat übergeben. Während die Linken und Grünen die Initiative unterstützen, halten CDU, FDP und AfD an einem Verkauf fest; von Seiten der SPD heißt es, die Partei sei „nach reiflicher Überlegung mehrheitlich zu dem Schluss gelangt, dass das Projekt zwar sympathisch und natürlich förderungswürdig ist, das Verkaufsverfahren aber gleichwohl nicht abgebrochen werden sollte“. Der SPD-Vorsitzende Christian Avenarius begründet diese Haltung mit der Notwendigkeit eines „transparenten und gegenüber allen Beteiligten fairen Verfahrens“.

Die Geschichte um den Verkauf kommunalen Wohnraums in Dresden zeigt beispielhaft, wie die durch die öffentliche Verwaltung geforderte neoliberale Umgestaltung durch die Politik durchgesetzt wurde. Vor zehn Jahren hatte die Stadt Dresden unter dem damaligen Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) ihre Anteile an der WOBA Dresden GmbH, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, an die amerikanische Fortress Investment Group veräußert. Auf einen Schlag waren damals zum Wohle der „schwarzen Null“ fast 50.000 Wohnungen privatisiert worden. Dresden konnte sich als „erste schuldenfreie Großstadt Deutschlands“ feiern lassen. Die WOBA wurde danach zunächst unter dem Namen des Mutterkonzerns als Gagfah S.A. weitergeführt. Dieses wurde schließlich 2014 vom ehemaligen Konkurrenzunternehmen, der Deutsche Annington Immobilien SE, übernommen. Nach dem vom Bundeskartellamt abgesegneten Verkauf folgte im Jahr darauf die Umbenennung des Konzerns, der damit zum größten deutschen Wohnungsunternehmen wurde. Seitdem vermietet Vonovia SE einen Großteil der einst kommunalen Dresdner Wohnungen.

Als Reaktion auf die anhaltende Nachfrage nach günstigem Wohnraum und den gleichzeitig kontinuierlich steigenden Mieten folgte vor einem Jahr die Ankündigung von Hilbert, in den nächsten Jahren Wohnungen doch kaufen und selbst bauen zu wollen. Bis Mitte der 2030er-Jahre, so das erklärte Ziel, soll die Stadt über einen Bestand von 10.000 bis 15.000 eigenen Wohnungen verfügen. Die von der Stadtratsfraktion der Grünen zur Finanzierung des Programms ins Gespräch gebrachte Gründung einer „neuen WOBA“, wurde am vergangenen Donnerstag als Teil des verabschiedeten Haushaltes 2017/2018 zur weiteren Bearbeitung in die Fachausschüsse verwiesen und soll nun voraussichtlich im März auf der Tagesordnung des Stadtrats stehen. Das für den Aufbau der neuen städtischen Wohnungsbaugesellschaft notwendige Kapital soll zunächst über den Verkauf städtischer Grundstücke finanziert werden. Bereits zwei Tage zuvor hatte die Sächsische Staatsregierung die „Richtlinie zur Förderung der Schaffung von mietpreis- und belegungsgebundenem Mietwohnraum“ beschlossen. Zur Finanzierung von bis zu 3.500 Sozialwohnungen in den Ballungszentren stellt der Freistaat dafür bis 2019 insgesamt 140 Millionen Euro zur Verfügung.

Das Gelände, auf dem der Verein Platz für seine Idee finden könnte, ist eines der letzten großen Grundstücke in kommunalem Besitz. Der Verkauf würde „wirtschaftliche Interessen über die Entwicklung Dresdens durch ihre Bewohner_innen stellen. Der Stadtrat entmächtigt sich selbst, wenn er nun behauptet, den Verkaufsvorgang nicht mehr stoppen zu können“, so Carsten Ungewitter. „Dresden ist einfach noch nicht soweit, dass Engagement und Stadtentwicklung aus der Bürgerschaft gerne gesehen werden.“, ist das Fazit von Tine Berg. Obwohl Elixir ein solches Beispiel und „Experimentierraum“ für zivilbürgerschaftliches Engagement sein könnte, scheint einmal mehr eine breite bürgerliche Basis zu fehlen, wenn es um den demokratischen Diskurs und die Teilhabe an politischen Prozessen geht. Ob sich die politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten der Stadt der symbolischen und alltäglichen Relevanz des Projekts bewusst sind, wird sich erst im Dezember zeigen. Die Entscheidung über den möglichen Verkauf der Königsbrücker Straße 117a/119 wurde auf die nächste Stadtratssitzung vertagt. Schon jetzt hat der Verein seine Unterstützerinnen und Unterstützer für den 15. Dezember erneut vor das Rathaus eingeladen.


Veröffentlicht am 28. November 2016 um 18:37 Uhr von Redaktion in Soziales

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