Antifa

Ermittlungen gegen Bundestagsabgeordnete gehen weiter

23. März 2014 - 20:07 Uhr - 2 Ergänzungen

Im Deutschen Bundestag wurde am Donnerstag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen die Aufhebung der politischen Immunität zweier Abgeordneter der Linken bestätigt und damit weitere staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ermöglicht. Die Dresdner Staatsanwaltschaft wirft Caren Lay und Michael Leutert vor, im Februar 2011 einen Aufmarsch von Nazis hinter dem Dresdner Hauptbahnhof blockiert und sich damit der Störung einer genehmigten Versammlung (§ 21 Versammlungsgesetz) schuldig gemacht zu haben. Obwohl bereits vor einem Jahr der Immunitätsausschuss des Bundestages den beiden Abgeordneten ihre Immunität wegen der Teilnahme an den erfolgreichen Protesten im Februar 2011 entzogen hatte, war nach der Wahl zum 18. Bundestag im September und dem damit verbundenen Beginn einer neuen Legislaturperiode erneut eine Abstimmung im Parlament notwendig geworden.

Schon vor einem Jahr hatte Michael Leutert das Vorgehen als „enttäuschend“ bezeichnet. Die Entscheidung sei, so Leutert weiter, angesichts der gesellschaftlichen Realität ein falsches Zeichen und zeige, dass „zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts nicht erwünscht ist“. Seine Fraktionskollegin Katja Kipping kritisierte in einer persönlichen Erklärung die Entscheidung ebenfalls und warf darin den Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und Grünen vor, die Aufhebung als „rein formale Angelegenheit“ zu betrachten. Sie erinnerte daran, dass an jenem Tag auch Abgeordnete anderer Fraktionen vor Ort gewesen seien und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erst durch Anzeigen eines NPD-Anwalts nach den Protesten ihren Anfang nahmen. Auch das Bündnis „Dresden Nazifrei“ zeigte sich solidarisch und forderte die Staatsanwaltschaft auf, alle noch offenen Verfahren „unverzüglich“ einzustellen.

Neben den beiden Abgeordneten hatten die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch zur Aufhebung der Immunität zahlreicher weiterer Politiker geführt. So wartet der Abgeordnete der Linken im Sächsischen Landtag, Falk Neubert, ebenso wie Johannes Lichdi von den Grünen schon seit mehr als drei Jahren auf einen Prozesstermin. Neubert, der in der langen Verfahrensdauer den Versuch einer „politischen Einschüchterung“ sieht, hatte aus diesem Grund bereits im Januar über seinen Anwalt eine Verzögerungsrüge eingereicht. Beide Politiker sollen sich mit einer Platzbesetzung auf der Kreuzung Reichenbachstraße/Fritz-Löffler-Straße an den Massenblockaden tausender Menschen beteiligt haben. Das Gesetz sieht in solchen Fällen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vor.

Dass es auch anders geht, zeigen die Einstellungen mehrerer Verfahren. So hatte das Dresdner Amtsgericht das Verfahren gegen den Dresdner Vorstandssprecher des Kreisverbandes der Grünen, Michael Schmelich, am 4. Februar wegen des Vorwurfs der „groben Störung einer erlaubten Versammlung“ eingestellt. Sein Anwalt Jürgen Kasek, der auch gleichzeitig Vorstandssprecher des Leipziger Grünen ist, gab zu bedenken, dass die unterschiedliche juristische Bewertung ein und desselben Sachverhaltes „dem Ansehen der Justiz in Sachsen massiv geschadet hat“. „Welches Vertrauen kann man in einen Rechtsstaat haben“, so Kasek weiter, „der identische Tatbestände und Motive so unterschiedlich wie die Dresdner Gerichte bewertet? Das klingt eher nach russischem Roulette als nach Rechtsstaat“. Für ihn sei der Eindruck entstanden, „dass die Art und Weise der Ermittlungen Ausdruck einer politisch willfährigen Justiz waren“, um damit eine „vermeintliche Gefährdung Sachsens durch Linksextremismus zu unterstreichen“.

Aus einer Antwort durch Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) auf eine kleine Anfrage von Falk Neubert geht hervor, dass wegen Verstoßes gegen §21 das Versammlungsgesetzes insgesamt 465 Ermittlungsverfahren eröffnet worden sind, in 88 Fällen sei von der Dresdner Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eingeleitet worden. Lediglich in drei Fällen waren die Angeklagten anschließend vom Gericht freigesprochen und in bislang 16 Entscheidungen waren die Angeklagten zu Geldstrafen mit bis zu 40 Tagessätzen verurteilt worden. Elf der Verfahren seien noch offen. Nach Aussage des Sprechers der Dresdner Staatsanwaltschaft, Lorenz Haase, seien 156 Verfahren teilweise ohne Auflagen eingestellt worden. Alle Beschuldigten sollen zunächst das Angebot zur Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage oder die Leistung gemeinnütziger Arbeit erhalten haben. Mehr als die Hälfte der Beschuldigten habe dieses Angebot angenommen.

Während einerseits die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Naziaktivitäten in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist und ihre Mobilisierung in diesem Jahr mit rund 500 einen neuen Tiefpunkt erreicht hat, gehen auf der anderen Seite die Ermittlungen gegen Menschen, die sich an den Protesten im Februar 2011 beteiligt haben, unvermittelt weiter. Neben den rund 1.400 Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit den Ereignissen vom 19. Februar wird in Dresden noch immer gegen Mitglieder einer mutmaßlichen kriminellen Vereinigung ermittelt. Den zwischenzeitlich 45 Beschuldigten wird vorgeworfen, von 2009 bis 2010 mehrfach „politisch Andersdenkende“ angegriffen und verletzt zu haben. Das Verfahren diente schließlich unter anderem dazu, über zwei Tage die Telekommunikationsverbindungsdaten von mehreren zehntausend Menschen zu sammeln und auszuwerten. Dennoch haben die seit mehreren Jahren andauernden Ermittlungen bislang zu keiner Anklage geführt.


Veröffentlicht am 23. März 2014 um 20:07 Uhr von Redaktion in Antifa

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.