Antifa

Montags in Zwickau – Ein Reisebericht aus Sachsen in Zeiten von Corona

27. Mai 2020 - 18:11 Uhr

Gastbeitrag der Antifaschistischen Initiative Löbtau (A.I.L.)

Seit den letzten Wochen der Corona-Krise kommt es zu vermehrten rechten Mobilisierungen. Ein Konglomerat aus Nazis, AfD, Esoteriker:innen und Verschwörungstheoretiker:innen ist in fast allen Mittel- bis Großstädten Sachsens mit sogenannten „Spaziergängen“ präsent. Während das Epizentrum mal nicht in Dresden liegt, sind es vor allem Kreisstädte wie Pirna, Zittau oder Zwickau, in denen es zu größeren Mobilisierungen kommt. Doch auch antifaschistische Gegenaktivitäten sind meist nicht weit. Anlass genug für uns nach Zwickau, Sachsens viertgrößter Stadt, zu fahren und den Protest von lokalen Aktivist:innen zu unterstützen.

Nach einer 1 1/2 stündigen Fahrt erreichten wir mit mehreren Antifaschist:innen aus Dresden die in Westsachsen liegende Stadt. Lokale Gruppen hatten auf dem Marktplatz der Stadt zu einer Kundgebung aufgerufen, an der schließlich rund 60 Personen teilnahmen. Am Ort angekommen stellten wir erfreut fest, dass sich der Protest weniger gegen den anschließenden Spaziergang der „Patrioten“ richtete, als vielmehr eigene Inhalte präsentieren sollte. Eine Aktivistin erklärte uns, warum der Protest sich nicht auf die „Corona-Kritiker:innen“ beziehe: „Wir wollen, dass heute nicht nur die Rechten wahrgenommen werden, sondern wir wollen eigene Ideen und politische Inhalte an die Öffentlichkeit tragen“.

Nachdem es in den letzten Woche um #LeaveNoOneBehind und die Klimakrise ging, stand an diesem Montag das Thema Alltagssexismus im Vordergrund. Mit einer Kunstaktion wurden Passant:innen sexistische Erfahrungen von Frauen verdeutlicht, indem auf mehreren Schaufensterpuppen alltägliche sexistische Sprüche geschrieben standen. Diese waren zuvor auch von anwesenden Frauen gesammelt worden. Auf weiteren Bannern wurde sich gegen Homophobie und für gerechtere Bezahlung von Frauen ausgesprochen. 

Eine Aktivist:in, die in der Woche zuvor das erste Mal die Kundgebung besuchte, schilderte uns, warum sie das Thema notwendig findet: „Viele wissen zwar, ja: Sexismus – aber ist doch alles nicht so schlimm. Ich finde es aber wichtig, sich mit anderen auszutauschen, zuzuhören und zu schauen, warum es wichtig ist, dagegen etwas zu machen“. Für sie ist vor allem das offene Mikrofon eine wichtige Ausdrucksform, von der auch viele Demonstrant:innen Gebrauch machten und so den anwesenden Demonstrant:innen ihre alltäglichen sexistischen, frauen- und transfeindlichen Erfahrungen schilderten.

Zwei der Organisator:innen erzählten uns während eines Gespräches, warum gerade heute das Thema Sexismus gewählt wurden. So schilderten sie uns, dass es am sogenannten Männertag zu einer Vielzahl von sexistischen Pöbeleien, Übergriffen und Abwertungen gekommen sei. Am kommenden Montag soll es dann anlässlich des Weltkindertages um die Rechte von Kindern weltweit gehen. Die Initiative geht von Gruppen wie den Antifaschist:innen von „Aktivisti Zwickau„, „Fridays for Future Zwickau“ oder „Zwickau für weniger Angst“  aus und wird vom „Roten Baum Zwickau“ unterstützt. 

Nach der Demonstration hatten wir genügend Zeit, um mit lokalen Antifaschist:innen über die Situation vor Ort zu reden. Die Aktivist:innen berichteten uns von verstärkten Mobilisierungen des rechten Spektrums seit Beginn der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Dabei spielen eine Vielzahl von rechten Akteur:innen und Gruppierungen wie „Zwickau wehrt sich“ oder die selbsternannten „Patrioten“ eine Rolle. Mit Kundgebungen von „Pro Chemnitz“ gab es in den letzten Wochen auch überregionale Mobilisierungen. Auch die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ war am Montag mit Plakaten auf der Demonstration in Zwickau vertreten. Zum Glück, so erzählten uns die Aktivist:innen, sind die Gruppen aber häufig untereinander zerstritten. 

Nach einem kleinen Zwischenfall mit einer Gruppe „Jungfaschos“, die wohl auch bei den letzten Demonstrationen Stress suchten, konnten wir unser Gespräch in entspannter Atmosphäre weiterführen. Dabei erzählten uns die Antifaschist:innen, dass solche Vorfälle eher die Regel als die Ausnahme sind, es immer wieder zu Bedrohungen und Anfeindungen von Nazis und rechtsoffene Jugendliche kommt. Beispielsweise wurden in jüngster Zeit mehrmals die Scheiben der „DIY – Druckbar“ eingeschlagen. Neben dem Verkauf von Druckerzeugnissen ist der Laden auch an der Organisation des „Störfaktor-Festival“ und weiteren Konzerten in der Region beteiligt. Der Inhaber freut sich über vielfältige Spenden und Solidaritätsbekundungen. 

Die Aktivist:innen berichteten uns aber auch, dass immer mehr alternative Räume und Strukturen entstehen. So konnte zum Beispiel die „Fridays for Future Bewegung“ im letzten Jahr viele Menschen auf die Straße bringen – nicht jedoch, ohne mit Anfeindungen konfrontiert gewesen zu sein. Wir hoffen gemeinsam mit unseren Freund:innen der „Undogmatischen Radikalen Antifa Dresden“ den leider wegen Corona ausgefallenen 1. Geburtstag der FFF-Gruppe in Zwickau nachzufeiern. Kämpfe zusammenführen – finden wir super!

Nach freundlicher Verabschiedung mit dem Versprechen eines baldigen Wiedersehens haben sich unsere Wege getrennt. Während die lokalen Aktivist:innen ihren Nachhauseweg antraten, statteten wir noch dem städtischen Denkmal für die Opfer des NSU einen Besuch ab. So sehr wir uns freuten, dass die Bäume überhaupt noch standen, so schockiert waren wir darüber, dass auch fast ein halbes Jahr nach offizieller Einweihung des Denkmals noch immer zwei Namen der Opfer auf den Plaketten falsch geschrieben sind. Auf der Informationstafel des Parks war der Erinnerungsort nicht einmal eingezeichnet. So sieht definitiv kein würdiges Gedenken aus! Unterstützt aus diesem Grund NSU-Watch und das NSU-Tribunal in ihrer Gedenk- und Aufarbeitungsarbeit!

Im Anschluss verließen wir Zwickau wieder und werteten den Nachmittag aus. Es war ermutigend zu sehen, wie viele junge und ältere Menschen sich auch in Zeiten von Corona gegen Ausgrenzung einsetzen und für solidarisches Miteinader eintreten. Besonders positiv überrascht waren wir, mit welchem Selbstbewusstsein vielfältige eigene Themen an die Öffentlichkeit getragen werden konnten. Wir haben uns gut aufgehoben gefühlt und haben großen Respekt vor den Aktivist:innen vor Ort. Pläne für den nächsten Besuch sind schon geschmiedet. Auf bald!


Veröffentlicht am 27. Mai 2020 um 18:11 Uhr von Redaktion in Antifa

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