Antifa | Kultur

Rezension: Linke Geschichte(n) in Dresden

9. Januar 2018 - 00:47 Uhr

Von Lucius Teidelbaum

Im Jahr 2017 erschien in der Reihe „Dresdner Hefte“ als Nr. 130 eine Sammlung von 12 Texten zum Thema „Das ‚linke‘ Dresden. Eine Spurensuche über 100 Jahre“. Dresden wird für gewöhnlich nicht so sehr mit einer eigenen linken Geschichte assoziiert. Die Stadt gilt heute gemeinhin als die konservativste Großstadt Deutschlands. Die Stadtgesellschaft ist konservativ geprägt und hat einen extrem rechten Flügel, der sich in der Wahl der Alternative für Deutschland (AfD) bzw. der damaligen PEGIDA-Kandidatin Tatjana Festerling zeigte. Doch es gab und gibt es immer auch linke Kräfte in dieser Stadt.

Die linke Lokalgeschichte sichtbar zu machen, verspricht das Vorwort des Hefts: „Damit holt dieses Heft einen Aspekt der Dresdner Stadt- und Kulturgeschichte ins öffentliche Bewusstsein zurück, der im erinnerungskulturellen Mainstream, im kollektiven Gedächtnis von Elbflorenz und dessen Bürgertum, oftmals eher ein Nischendasein führt.“ (Seite 3) Bei der Lektüre lernt man so manches Neues. Etwa über die sozialdemokratische Tageszeitung „Dresdner Volkswacht“ und ihr parteikommunistisches Blatt „Arbeiterstimme“, die im Milieu der Arbeiterinnen und Arbeiter Dresdens miteinander konkurrierten.
Interessant ist auch der Text über die linken Expressionisten in Dresden. Im Zuge der Novemberrevolution bildeten sie in Dresden den „revolutionären Rat der Geistesarbeiter“ und gaben bis Juni 1919 die Wochenzeitung „Menschen. Montagsblatt-Dresden“ heraus.

Ein weiterer Text widmet sich dem „Volkshaus“. Im gewerkschaftlichen „Volkshaus“ bündelte sich die Arbeiter*innen-Bewegung vor 1933 in Dresden. Es lag in der Ritzenbergstraße 2 und wird später um Anbauten am benachbarten Schützenplatz 10-16 ergänzt. Hier hatten 19 Organisationen ihren Sitz und die Veranstaltungsräume konnten über 1.000 Menschen beherbergen. Es war außerdem Sitz einer „Zentralarbeiterbibliothek für Dresden und Umgebung“ und im Dezember 1933 öffnete auch die Wärmestube für Wohnungslose. Am 2. Mai 1933 wurde das „Volkshaus“ schließlich von den Nazis besetzt und geplündert. Allerdings vergisst der Autor dieses Textes zu erwähnen, dass am Vortag noch die ursprünglich sozialdemokratisch dominierte Führung der „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaften“ zusammen mit den Nationalsozialisten den 1. Mai begangen haben.

Ein lesenswerter Text über die Anarchosyndikalisten im Raum Dresden zeigt deren Geschichte, aber auch die Begrenztheit ihres Einflusses. Sie waren zahlenmäßig einfach zu klein. Die Reihen der in der „Syndikalistischen Arbeiter-Föderation“ organisierten Männer und Frauen blieb überschaubar. Spannend ist, dass es diesen 1930 bis 1933 gelang, in Dresden aller drei bis vier Wochen die Zeitung „Der Arbeitslose“ herauszubringen, die sich, der Name verrät es bereits, an Erwerbslose richtete. Zeitweise war das Blatt wegen Gefährdung der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ verboten.

Die Auswahl der Texte und ihrer Themen im Heft scheint willkürlich und die Leerstellen sind alles andere als vielfältig, so fehlt etwa ein eigenes Kapitel zum Thema linke Frauen in Dresden gänzlich. In fast allen Texten im Heft bleiben Frauen nur Randgestalten. Da verwundert es auch kaum, dass lediglich zwei der insgesamt 12 Texte von Autorinnen geschrieben wurden. Auch andere Bereiche linker Geschichte werden kaum beleuchtet. Der antifaschistische Widerstand im Nationalsozialismus in Dresden wird etwa am Beispiel einer einzelnen Personenbiografie abgehandelt.

Anstrengend sind ebenso die in manchen Texten aufblitzenden DDR-NS-Analogien. Selbst in dem dünnen Format der Hefte-Reihe wäre noch Platz für mehr gewesen. Zwei Aufsätze wirken bei dem Titel „Das ‚linke‘ Dresden“ reichlich deplatziert. Der Text über linke Adelige kratzt an einem Randphänomen und hat kaum einen Dresden-Bezug. Der letzte Aufsatz über den Repräsentationsanspruch linker Intellektueller sowie Marxistinnen und Marxisten – die mit „der Linken“ gleichgesetzt werden, hat letztlich überhaupt keinen Dresden-Bezug.

Es wäre also noch Platz gewesen. Platz für linke Frauen wie Rosa Menzer, die „Rosa Luxemburg von Striesen„. Für die Kämpfe am 15. März 1920 in Dresden in Folge des konterrevolutionären Kapp-Lüttwitz-Putsches, bei denen in bewaffneten Kämpfen zwischen konterrevolutionären Teilen der Reichswehr und streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter am Dresdner Postplatz 59 Menschen getötet und 150 verletzt wurden. Für eine Darstellung des linken Jugendwiderstandes im Nationalsozialismus in Dresden, etwa die Gruppen „Alaunmob“, „Hechtmob“, „Fleischermob“ oder die „Woitzer-Broadway-Bande“. Für ein Porträt der anarchistischen DDR-Oppositionsgruppe „Wolfspelz“.

Für das Heft sprechen vor allem einzelne Aufsätze darin und der günstige Preis.

Eine ausführliche und differenzierte linke Lokalgeschichte Dresdens jenseits von SED-Dogmen und extremismustheoretischer Verblendung muss aber noch geschrieben werden.

Dresdner Geschichtsverein e.V.: Das ‚linke‘ Dresden, Dresdner Hefte, Nr. 130, Dresden 2017


Veröffentlicht am 9. Januar 2018 um 00:47 Uhr von Redaktion in Antifa, Kultur

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.