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Immer Ärger mit Dynamo

2. November 2011 - 12:06 Uhr - 7 Ergänzungen

Pyrotechnik beim DFB Pokalspiel gegen Borussia Dortmund

Stadionverbote, Geisterspiele, Auswärtsspielreiseverbot und der Rückzug des Hauptsponsors der Schwarz-Gelben. Die Vorschläge nach dem Pokalabend der SG Dynamo Dresden beim amtierenden deutschen Meister aus Dortmund vermitteln einmal mehr den Eindruck von Ratlosigkeit in den Chefetagen des deutschen Fußballs und Verlagshäusern, was den Umgang mit Problemfans betrifft. Obwohl an jedem Wochenende tausende Polizistinnen und Polizisten und fast ebensoviel Ordnungspersonal die Spieltage der oberen Fußballligen absichert, wird ein Live im ZDF übertragenes und von den Dresdner Fans ironischerweise selbst als Europapokalspiel bezeichnetes DFB-Pokalspiel vor mehr als 70.000 Fans zum Anlass genommen, um einmal mehr undifferenziert gegen das Stimmung zu machen, was den Event- und Verwertungscharakter des Fußballs stören könnte. Da verwundert es nicht wenn die Ausschreitungen einiger weniger sowohl vor als auch im Stadion pauschal zugleich denjenigen untergeschoben, die sich für das zugegeben exzessive Entzünden von Pyrotechnik im Stadioninneren verantwortlich gezeigt haben. Dabei gibt es trotz einiger personeller Überschneidungen in der Tat einen Unterschied zwischen gewaltbereiten Fußballfans und erlebnisorientierten Anhängern aus der stetig wachsenden Ultraszene.

"Ausreiseantrag? Abgelehnt!" Choreographie der Borussia Fans beim Pokalspiel (Quelle: bultras.net)
"Ausreiseantrag? Abgelehnt!" Choreographie der Borussia Fans beim Pokalspiel (Quelle: bultras.net)

Die von Dynamos Geschäftsführer Volker Oppitz nach dem Spiel geforderte Positionierung aus der Fanszene ließ nicht lange auf sich warten. Die Ultras von Dynamo kritisierten in einer eigenen Stellungnahme „die negativen Begleiterscheinungen abseits des Spielfeldes“ und verurteilten „das Zünden von Böllern, das Werfen von Pyrotechnik und gewalttätige Übergriffe im Stadion entschieden“. Damit wird einmal mehr deutlich, dass es auch innerhalb des organisierten Teils des Fanblocks kein Verständnis für die Aktionen einiger Fans aus ihren Reihen gibt. Der positive Verweis auf den Einsatz von Pyrotechnik macht jedoch auch klar, dass sich die Ultras auch nach den Vorfällen von Dortmund nicht wie der Verein von der Kampagne für die Legalisierung von Pyrotechnik in deutschen Stadien lösen werden. Der letztlich einseitig geführte Dialog mit der Kampagne aus mehr als 150 Ultragruppen war von den Verantwortlichen des DFB und der DFL im August ergebnislos und mit wenig stichhaltigen Begründungen abgebrochen worden. Seitdem wird in deutschen Stadien Woche für Woche wieder vermehrt Pyrotechnik abgebrannt. Auch die Fangemeinschaft Dynamo als Interessensvertreter und Dachverband der Dynamofans distanzierte sich vom „kriminellen Verhalten“ einiger Anhänger und sieht sich durch die Ereignisse in der Pflicht, über einen ehrlichen und offenen Dialog, „die Ursachen zu bekämpfen“. Was, so möchte man meinen, sollen sie angesichts der Medienschelte auch sonst sagen. Der Verein selbst hatte schon im Vorfeld auf die zu erwartende „empfindliche Strafe“ des DFB reagiert und für das Auswärtsspiel am 27. November beim FC St. Pauli den gesamten Gästeblock für die Fans der gastgebenden Mannschaft zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus behält sich der Verein vor, bei etwaigen Vorkommnissen in den kommenden Spielen auch auf das darauf folgende Auswärtskartenkontingent beim FC Hansa Rostock zu verzichten. Parallel dazu wird der Verein nach eigenen Angaben eine zweite Vollzeitstelle im Bereich Fan- und Mitgliederbetreuung schaffen, um damit „die Zusammenarbeit mit den eigenen Fans weiter zu optimieren“. Der DFB-Kontrollausschuss schloss den Verein letztlich für die kommende Spielzeit vom Pokalwettbewerb aus und verurteilte den BVB wegen unzureichender Einlasskontrollen zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro. Der Fall liegt nun vor dem DFB Sportsgericht.

Mehr als 10.000 Dynamo-Fans waren beim Pokalspiel in Dortmund dabei (Quelle: Ultras Dynamo)
Mehr als 10.000 Dynamo-Fans waren beim Pokalspiel in Dortmund dabei (Quelle: Ultras Dynamo)

Doch zurück zum Pokalspiel in Dortmund. Schon auf dem Weg zum Stadion bestätigten wie schon gegen Frankfurt mehrere hundert Fans der Schwarz-Gelben mit „Kanaken“-und „Dönerverkäufer“-Rufen das schlechte Bild der Dresdner in der bundesweiten Öffentlichkeit. Zur Erinnerung: Nach dem Halbfinalspiel Deutschlands gegen die Türkei bei der Europameisterschaft 2008 hatten in einem alternativen Stadtteil Dresdens mehrere dutzend schwarz vermummte rechte Hooligans mehrere Dönerläden angegriffen und etliche Menschen zum Teil schwer verletzt.
Schließlich wurde in Dortmund wieder einmal unmissverständlich klargemacht, dass es beim unvermeidlichen „Abziehen“ von Fanutensilien keine Rolle spielt, ob die Person einen Ultrahintergrund hat oder nicht. So war desöfteren zu beobachten, dass unter den Augen der auch nach dem Spiel erstaunlich untätigen Polizei kleinen Kindern mit Gewalt die Schals weggenommen wurden. Ein Verhalten, welches sich auch mit szenetypischen Verhaltensregeln nicht erklären lässt und schon im Vorfeld durch die Fangemeinschaft von Dynamo kritisiert worden war.

Dass die vom DFB mittlerweile inflationär ausgesprochenen Strafen kein Allheilmittel zur Bestrafung von Fehlverhalten sein können, zeigt nicht nur die Beliebigkeit, mit der ein zehnköpfiger Kontrollausschuss des DFB defacto die Gerichtsbarkeit an sich gerissen hat. Eine Alternative zu den allerorten geforderten ordnungspolitischen Maßnahmen wäre beispielsweise eine Aufstockung der Gelder für die chronisch unterfinanzierten Fanarbeit und die Verteilung der üppigen Fernsehgelder auch an Amateurvereine, die in den unteren Spielklassen Woche für Woche hervorragende ehrenamtliche Arbeit leisten. Der Leiter der Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS), Michael Gabriel, forderte die Vereine auf, auch in Zukunft den Dialog „kontinuierlich und glaubwürdig“ fortzusetzen und betont die Rolle der Fanprojekte als „kommunikative Brücke“. Auch der Leiter des Dresdner Fanprojekts Torsten Rudolph betonte gegenüber der FAZ, dass der Verein „diese Rückschläge […] aushalten“ müsse und die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt hätten, dass sich das Fanverhalten verbessert hat. Aber so lange es ruhig bleibt, gibt es eben auch nichts zu berichten.

Obwohl das mediale Echo auch eine Woche nach dem Spiel gewaltig ist, fällt an den zahlreichen Kommentaren zu dem Spiel auf, dass es in den ersten Berichten zunehmend Polizeimeldungen sind, die das nach Außen transportierte Meinungsbild der Massenmedien bestimmen. Wie der Chemieblogger in seinem Artikel richtigerweise feststellt, dominiert inzwischen die Perspektive von Polizei und Ordnungspolitik; „wenn Medien randalieren“ wird da zum referentiellen Selbstzweck. Eine der wesentlichen Aufgaben von Medien ist es aber eben nicht nur darüber zu berichten was ist, sondern Ereignisse auch zu hinterfragen, einzuordnen und zu analysieren. Wenn aber der ehemalige Leichtathlet Wolf-Dieter Poschmanns bei einem Blick in den mit mehr als 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauern gefüllten Auswärtsblock von dumpfen Gesichtern spricht und das ZDF passend dazu in der Halbzeit mit frisch veröffentlichten Zahlen glänzen darf, zeigt sich, dass medial immer wieder das zum Thema gemacht, womit sich Medien eben nicht nur vor laufenden Fernsehkameras beschäftigen sollten. Es spricht nichts dagegen, sich mit dem Einsatz von bengalischen Fackeln und Rauchbomben kritisch auseinanderzusetzen, dennoch sollten sich Medienvertreter auch ihrer besonderen Verantwortung bewußt werden, den fußballinteressierten Menschen vor den Bildschirmen ein möglichst vielschichtiges und komplexes Bild der Fanszenen zu vermitteln. Diese nicht unbedeutende Funktion wird jedoch von den Massenmedien im zunehmenden Maße nach unten delegiert. Es kommt nicht von ungefähr, dass es vor allem Artikel aus der Bloggerszene und damit einer weitesgehend unkommerziellen und verwertfreien Berichterstattung sind, die ein heterogenes Bild der Zustände in und um Fußballstadien zeichnen.

In den Interviews mit einigen Spielern und den beiden Trainern der Vereine im Anschluss an das Spiel zeigte sich erneut die Diskrepanz zwischen auf Moral getrimmter Medienberichterstattung und der Selbstwahrnehmung der Akteure auf dem Rasen. Der Fokus der Berichterstattung lag auch nach dem Spiel nicht auf einer Analyse des eigentlichen Spielgeschehens, welches Dynamo zumindest stellenweise erstaunlich offen gestalten konnte, sondern ausschließlich auf der Betrachtung der medial kolportierten Randale vor und während des Spiels. Dabei ließen es sich mit Ausnahme des Dresdner Spielers Robert Koch zumindest einige der befragten Spieler und Vereinsverantwortlichen beider Vereine nicht nehmen, im Unterschied zur gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Kriegsberichterstattung wenigstens im Ansatz ein Gefühl von Objektivität zu vermitteln.
Passend zu den Bildern wurde von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei mit Sitz in NRW just am Tag des Pokalspiels der Saisonabschlussbericht der Presse vorgestellt. Demnach seien in der vergangenen Spielzeit bei den Begegnungen der ersten beiden deutschen Profiligen ingesamt 846 Personen verletzt worden, darunter 243 Polizeibeamte, 259 sogenannte Störer und 344 Unbeteiligte. Zeitgleich besuchten mehr als 17,4 Millionen Menschen die Partien der Ersten und Zweiten Bundesliga. Es besteht also durchaus Anlass zur Hoffnung, dass es sich bei den an den gewalttätigen Ausschreitungen beteiligten Personen um einen verhältnismäßig kleinen Teil der Fußballfans handelt. In diesem Sinne, wir haben es überlebt.

Spruchband von Ultras zur Berichterstattung des ZDF (Quelle: Ultras Dynamo)
Spruchband von Ultras zur Berichterstattung des ZDF (Quelle: Ultras Dynamo)

Verkehrte Welt dann am letzten Spieltag beider Vereine. Während es am darauffolgenden Spieltag gegen den Karlsruher SC im weiten Rund der Dynamos mit Ausnahme einiger medienkritischer Spruchbänder friedlich blieb, griffen nach Polizeiangaben Dortmunder Anhänger Fans des SV Werder Bremen auf dem Parkplatz einer Tankstelle mit Knüppeln an.

Lesenswerter Artikel zum Thema: Die Moral der sogenannten Journalisten

Dynamos Ultras zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Zusammenfassung von Elbkaida

Rassismus

Polizeisprecher nach dem Spiel


Veröffentlicht am 2. November 2011 um 12:06 Uhr von Redaktion in Freiräume, Kultur

Ergänzungen

  • Was soll diese ganze FussballScheiße auf ADDN? Mir persönlcih ist die FussballKacke scheißegal. Die Fans von irgendwelchen Fussball“MANN“schaften sind eh alle dumm. Und nen tummelplatz für Nazis, Sexisten und andere Arschlöcher ist das auch noch!

  • Natürlich können wir Deine Sicht auf den Sport allgemein nachvollziehen, auch wir haben wahrscheinlich mehr Kritik als Lob am Phänomen Fußball, aber wenn es wie im Fall von Dynamo auch immer wieder negative Begleiterscheinungen wie rassistische Vorfälle gibt, werden wir uns weiter darum bemühen, das zum Thema zu machen. Außerdem lohnt sich ab und an mal der Blick über den Tellerrand der eigenen Szene hinaus 😉 Aus dem Grund finden wir es auch toll, dass Leute sich u.a. auch Fußball bei der Veranstaltungsreihe im Conni zum Thema gemacht haben oder findest Du das dort auch „scheißegal“?

  • Endlich mal ein ausgewogener Artikel zum Thema. Von mir aus gern mehr davon auf ADDN, den Nazis und Sexisten nicht die Fußballkultur überlassen!

  • ne, stimmt. naja, fussball kritisch betrachten. und den ganzen scheiß der da abgeht bissel was entgegenhalten ist ganz gut. Aber was bei Dynamo und bei allen anderen Vereinen Für Fans(Fanatiker) am Start sind geht ja gar nicht.

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