Soziales

Von BLM-Dresden, Extremismustheorie und Identitätspolitik – Debattenbeitrag von Osman Oğuz

11. Juli 2020 - 12:33 Uhr

Die Gruppe “Black-Lives-Matter Dresden” plant für Sonntag, den 12. Juli 2020 eine Demonstration, zu der bitte (wortwörtlich weitergegeben) keine “linksextremen Fahnen/Bekleidung etc.” mitgebracht werden sollen. Dies wurde auch im Flyer noch einmal mit dem folgenden Satz betont: „Das muss zuhause gelassen werden: […] Jeglicher Ausdruck der Instrumentalisierung im extremistischen/gewaltbereiten/sexistischen Sinne.“ Die Gruppe bleibt außerdem bei ihrer Entscheidung, dass auch Polizist*innen bei der Organisation der Demo mitmachen dürfen, sofern sie nicht weiß sind.

Gastbeitrag von Osman Oğuz

Laut mehreren Kritiken (aus meiner Sicht eigentlich Vorwürfen und Unterstellungen) der Gruppe, die zum Teil öffentlich gemacht worden sind, sei die Solidaritätsdemo in Dresden am 6. Juni 2020 “von Weißen dominiert” worden. „Die Antifa“ habe demnach die Absicht, die Demonstration und dadurch die ganze BLM-Bewegung zu vereinnahmen, um den Moment als Gelegenheit zu nutzen, ihre Gewaltbereitschaft auszuleben – wie etwa Sachen anzuzünden oder die Polizei zu beschimpfen. 

Ein Instagram-Beitrag von einer Privatperson und der Facebook-Post einer Frauenorganisation im Vorfeld zur Demonstration heizten die Diskussion weiter an. Dabei waren viele Menschen (einschließlich mir) sowohl von der Art und Weise der Kommunikation (z.B., dass sie gar nicht auf uns zugekommen sind, um zu diskutieren), als auch über die erhobenen Vorwürfen einigermaßen fassungslos. Im Diskussionsprozess zur ersten Demonstration wurden Menschen, die sich auf Grund ihrer Erfahrungen mit rassistischer Polizeigewalt gegen die Beteiligung von Polizist*innen an der Vorbereitung ausgesprochen hatten, komplett ignoriert.

Nach der Demonstration hatte der Verein Afropa im Interview mit addn.me zu den Diskussionen mit den folgenden Aussagen Stellung genommen: “Die Kritik war berechtigt, da eine Schwarze Person aufgrund ihrer Berufsgruppe von dem Organisationsteam ausgeschlossen wurde. Die Demonstration sollte nicht von linksradikalen Bewegungen instrumentalisiert werden. Aufgrund der kurzen Zeit wurde die Demo von weißen Aktivist*innen organisiert. Kommende Demos werden von Schwarzen Menschen und People of Color organisiert, damit solche Ausschlüsse nicht noch einmal passieren können. Es geht um rassistische Polizeigewalt und die können wir nur bekämpfen, wenn wir fest im System auch in Polizeiberufen verankert sind.”

Mein größtes Problem an den Aussagen ist, dass sie nicht stimmen. Der erste Schritt für die Organisation der Demo wurde von zwei nicht-weißen Geflüchteten gemacht. Die Demonstration wurde nicht „von weißen Aktivist*innen“ organisiert und Afropa e.V. war auch im Organisationsteam vertreten. Niemand wurde „aufgrund einer Berufsgruppe“ ausgeschlossen, sondern, (durch die Entscheidung von nicht-weißen Menschen) weil sie eine Polizistin war und es bei der Demonstration vordergründig um das Thema rassistische Polizeigewalt gehen sollte. 

Die linksradikalen Bewegungen hatten zudem im gesamten Diskussions- und Organisationsprozess nicht ein einziges Mal die Absicht vermittelt, „die Demo zu instrumentalisieren”. Darüber hinaus ist es schlicht eine kaum zu haltende These, dass rassistische Polizeigewalt nur diejenigen bekämpfen können, die selbst Polizist*innen werden. Genau das Gegenteil zeigen die Erfahrungen aus Deutschland und anderen Ländern. Die These, nur „fest im System verankert“ sein zu müssen, um etwas zu erreichen, weist aber auf grundlegende Unterschiede zur Art der Politik hin.

Ich habe mich an der Organisation der Solidaritätsdemo am 6. Juni 2020 in Dresden beteiligt und bin Teil des Bündnisses, welches nach dieser Demo von unterschiedlichen Organisationen aus dem linken Spektrum gegründet worden ist. An der Demonstration Anfang Juni nahmen ungefähr 4.000 überwiegend junge Menschen teil. Für den antirassistischen Kampf in Dresden war die Veranstaltung ein erfreulicher, für die Betroffenen von Rassismus ein empowernder Moment.

Beim Organisationstreffen zur Demonstration, welches erst zwei Tage vor der Demo stattgefunden hatte, kamen knapp 20 Gruppen zusammen. Entscheidungen zum Demoinhalt, der Route etc. kamen durch Vorschläge der BIPoCs, die ebenfalls zahlreich an der Organisation beteiligt waren, zustande. Die einzige „weiße“ Anmerkung kam nicht etwa aus der „Antifa-Ecke“, sondern aus dem bürgerlichen Lager, nämlich der SPD. Während der Demonstration wurden alle Redebeiträge bis auf die von der Vertreterin des Dresdner Ausländerrats von nicht-weißen Menschen gehalten. Alle Inhalte waren nicht im Einklang mit dem bestehenden Integrationsverständnisses, sondern im Gegenteil: anklagend und empowernd.

Nachtrag: „Es wurde vom Afropa e.V. angemerkt, dass die Person zwar ein bekannter SPD´ler ist, aber am Treffen nicht als Vertreter der Partei teilgenommen hat. Das stimmt und kann die Leser:innen zu der falschen Annahme führen, dass die SPD an der Organisation der Demo beteiligt gewesen wäre. Ich stelle diesen Fehler richtig und entschuldige mich für die falsche Formulierung.“

Ich nehme diese ganzen Ereignisse zum Anlass, meine Überlegungen zur Art und Weise der Identitätspolitik zum Ausdruck zu bringen, denn darum geht es aus meiner Sicht hauptsächlich. Ich finde es berechtigt, dass ich nun den Weg an die Öffentlichkeit gehe, da die Vorwürfe ebenfalls in die Öffentlichkeit gebracht wurden, bevor überhaupt der Versuch unternommen wurde, sie an die Adressat*innen heranzutragen.

Dies passierte trotz gemeinsamen Diskussionsrahmens in der neu gegründeten Selbstorganisation und entgegen des dabei mehrfach geäußerten Wunsches nach einer konstruktiven Diskussion(-skultur). Ich bleibe bei diesem Wunsch und möchte die Gedanken, die mich seit Wochen sehr stark beschäftigen mit der Hoffnung äußern, alle Beteiligten zu einer solchen Diskussion animieren zu können. Denn wenn wir nicht zu dieser Diskussion kommen, werden die Konflikte schnell auf einer hochemotionalisierten und persönlichen Ebene ausgetragen; was ein Miteinander unmöglich macht, obwohl unsere Meinungsverschiedenheiten durchaus das Potential einer notwendigen Diskussion bieten könnten.

Notwendigkeit einer linken Identitätspolitik

Identität, als Teil davon das „kollektive Gedächtnis„, stellt für mich einen unweigerlichen Teil des politischen Feldes dar. Jede politische Bewegung fußt auf Identitäten – auch wenn darunter lediglich die Absicht verstanden wird, eine oder andere Identitäten zu bekämpfen. Der Erfolg einer politischen Bewegung ist u.a. auf eine gelungene Identitätsbildung angewiesen – das gilt für die Frauenbewegung ebenso für antirassistische Bewegungen. Darüber hinaus stehen die Diskurse um Identitäten, die auf historischen und gegenwärtigen Komplexitäten beruhen, in einer permanenten Wechselwirkung mit der Praxis der Bewegungen und den darin aktiven Individuen, die ihre jeweiligen Eigenschaften in die Bewegung einbringen. 

So war schon der marxistischen Theorie vor mehr als 100 Jahren bewusst, wie entscheidend es ist, ob es sich um ein “unterdrücktes” oder “unterdrückendes” Volk handelt. Einer unterdrückten bzw. benachteiligten Gruppe anzugehören bedeutet zugleich, zusätzliche Schwierigkeiten bezüglich des Zugangs zu Diskursen (und Menschenrechten) zu haben. Diese Schwierigkeiten bedingen einer emanzipatorischen Perspektive, die eine Verteidigung des Selbstbewusstseins, Selbstwertgefühls und der Handlungsfähigkeit beinhaltet. 

Die Unterdrückungsverhältnisse beispielsweise in Bezug auf (post-)koloniale Herrschaft bringen zwangsläufig unterschiedliche Formen des Widerstands oder des Gehorsams zu Tage. Hier bin ich komplett bei Frantz Fanon, der beschreibt, welche Folgen die Kolonialherrschaft bei der Vergesellschaftung der Unterdrückten hervorbringt. Dass ein Mensch selbst davon überzeugt ist, gegenüber den Weißen aus dem Westen minderwertig zu sein, ist die internalisierte Folge von Unterdrückungsverhältnissen und muss ein Thema von Identitätspolitik sein. 

Dass ein Mensch einem innerlichen Wunsch nachgeht, die „westliche Zivilisation“ in irgendeiner Weise in Frage zu stellen und zu transformieren, selbst wenn er keiner bewussten politischen Einstellung folgt, ist auch eine Art des Widerstands und muss ein Thema von Identitätspolitik sein. Die beiden Formen des kolonialisierten Daseins stellen ein politisches Feld dar, auf dem emanzipatorische Arbeit geleistet werden soll. Es ist jedoch zugleich ein Feld, dessen Möglichkeiten zum politischen Widerstand auch in anderen Weisen (wie etwa Islamismus) (aus-)genutzt werden könnte. Diese These basiert für mich nicht nur auf theoretischen Analysen, sondern auch persönlichen Erfahrungen bzw. Beobachtungen. Was das heißt? Identitätspolitik ist per se ein leeres Blatt. Es ist der Boden, auf dem unterschiedlichste politische Programme aufgebaut werden können. Wie bell hooks beschreibt, bietet Marginalität einen Raum des Widerstands an, mit dessen Möglichkeiten eine politische Nähe aufgebaut werden kann. Die Frage ist: Mit welchem Inhalt? 

Die kurdische Befreiungsbewegung ist hier ein sehr gutes Beispiel: Sie baut seit mehr als 40 Jahren auf diesem Boden ein antikapitalistisches, emanzipatorisches Programm auf, das es schafft, die kolonialisierte, rassifizierte und zu einer Ohnmacht geführte Identität zu revolutionieren und zeitgleich von der konservativen Tradition der eigenen Bevölkerung teilweise abzukoppeln, die z.B. die Beteiligung der Frauen am politischen Geschehen unmöglich gemacht hätte. Dies ist gleichzeitig als Kampf gegen die Folgen der türkischen Besatzung in Kurdistan zu verstehen, welcher infolge der Analyse von Abdullah Öcalan, wonach Kurdistan kolonialisiert worden ist, zuallererst auf das vorherrschende Ohnmachtsgefühl der eigenen Bevölkerung zielte. (1)

Kern antirassistischer linker Politik kann nicht die Befürwortung einer „offenen Gesellschaft“ oder „Diversität“ sein. Diese mag ein Ziel sein, Ausgangspunkt jeglichen Handels sollte allerdings die Frage sein, worauf Rassismus basiert. Die Betonung der Folgen kolonialer Vergangenheit ist hier ein sehr guter Ausgangspunkt. Zugleich ist dieser Ausgangspunkt aber auch unzureichend, da er die Gefahr birgt, die Ursachen von Rassismus im Heute und Jetzt zu übersehen. Der historische Kolonialismus war eine Form der kapitalistischen Produktions- und Verteilungsverhältnisse, die heute in anderen Formen weiterleben. 

Kapitalismus ist heute wie damals auf Ungleichheiten angewiesen. Die Globalisierung der Märkte ist die heutige Form des Kolonialismus, die die Sklaverei „geschickter“ organisiert. Grob formuliert: Während die Arbeiter*innen im Westen die Produktion hauptsächlich „organisieren“, müssen die Arbeiter*innen in anderen Ländern als billige und widerstandsunfähige Arbeitskraft die Drecksarbeit übernehmen. Dieser Prozess paralysiert die Vergesellschaftung insbesondere in „Billige-Arbeitskraft-Ländern“ (2). Die Folgen dieser Paralysierung sind divers – die Regierungsformen und moderne Komplizenschaften mit der westlichen „Zivilisation“ zählen für mich unbedingt dazu. Die Entstehung der heutigen Kriege lassen sich ebenfalls nicht jenseits von kapitalistischen Produktions- und Verteilungsverhältnissen verstehen. Das ist für mich der Boden, auf dem die Entmenschlichung, der „Ausnahmezustand“ und das „nackte Leben“ entstehen (3). Hauptsächlich bestimmen diese Verhältnisse die Anerkennungsprozesse.

Zusammenfassend: Rassismuskritik ohne Kapitalismuskritik geht nicht. Umgekehrt stimmt der Satz ebenso: Kapitalismuskritik, die die besonderen Auswirkungen des Rassismus und der rassifizierten Vergesellschaftung übersieht, geht auch nicht. Diese Feststellung stellt für mich die Bedingung einer linken Identitätspolitik dar. Ein “Privilegiencheck”, der nicht darauf fokussiert ist, woher diese Privilegien kommen und wie sich dagegen gestellt werden kann, ist für mich kein politisches Programm. 

Eine „offene Gesellschaft“, welche „auf Diversität beruht“, kommt nicht dadurch zustande, dass wir unsere Geschichten der Betroffenheit vermehrt erzählen oder dass z.B. Konzerne wie H&M eine schwarze Managerin haben. Dies klappt auch dann nicht, wenn die Polizei ihre Werbung mit den Bildern von BIPoCs gestaltet. Rassismus kommt nicht zustande, weil wir einander nicht hübsch finden, sondern weil es Ungleichheiten gibt, auf deren Grundlage die Wissensproduktion und der Erkenntnisgewinn jeder Einzelnen beruhen. Wenn jedoch das gesamte System und die gesamte Gesellschaft auf dieser Ebene infrage gestellt werden, ist das schon per Definition “extremistisch”.

“Extremismus raus aus den Köpfen”?

In der Diskussion in Dresden kursieren die Wörter „Extremismus“, „Gewaltbereitschaft“ und „Antifa“, was aus meiner Sicht mit der Art und Weise der Identitätspolitik verbunden werden kann, zu der ich im ersten Teil des Textes meine Überlegungen zusammengefasst habe. Es ist davon auszugehen, dass die Gruppe diese Formulierungen der Hufeisentheorie bewusst übernimmt, um sich vom linksradikalen Spektrum distanzieren zu können.

Zuallererst: Ich bin fest davon überzeugt, dass in Bezug auf rassistische Vergesellschaftung auch die linksradikalen Organisationen hinterfragt, kritisiert und in Frage gestellt werden sollen und müssen. Dass sie keine rassistische Einstellungen haben können, weil sie ja ein Teil des antirassistischen Kampfes sind, wäre eine zumindest naive Behauptung. Dass die Strukturen von Weißen dominiert sind, steht für mich auch außer Frage. Die gesamte antifaschistische/antikapitalistische Bewegung in Deutschland muss sich weiterhin und stärker damit auseinandersetzen, wie die Unterdrückungsverhältnisse und deren Folgen sichtbarer werden können und wie eine Bewegung auch als Plattform für diese Perspektiven gestaltet werden kann. Bei der Frage sehe ich mich ebenfalls verantwortlich, in diese Räume zu intervenieren. Meines Erachtens ist das auch eine der wichtigsten Aufgaben einer Selbstorganisation von BIPoCs.

Wer sich der Extremismustheorie nähert, sagt zugleich, dass es der Extremismus ist, ob von Rechts oder Links, der problematisch ist. Das bringt eine Gleichsetzung von Rechts und Links, die einerseits z.B. die Gefahr von Neonazi-Strukturen relativiert und andererseits radikale Kritik an der bestehenden Gesellschaft kriminalisiert. Diese Gleichsetzung wird natürlich auch von der bestehenden Form des Staates bzw. der Gesellschaft beeinflusst, indem z.B. gegen die NSU-Strukturen lange nicht interveniert wurde, während sich linke Bewegungen schon seit längerer Zeit einer enormen Kriminalisierung ausgesetzt sehen. Rechtsradikale/rassistische Meinungen sind außerdem kein Produkt der Ränder, sondern in der Mitte der Gesellschaft verankert. Dies zeigen sowohl Wahlergebnisse, als auch Mitte-Studien.

Eine Kategorie der Hufeisentheorie ist ebenfalls der “Ausländerextremismus” (die offizielle Beschreibung), worunter beispielsweise die kurdische Befreiungsbewegung fällt. Kurd*innen werden ständig aufgrund politischer Aktivitäten verfolgt und ihren Vereinen wird die Gemeinnützigkeit aberkannt. Es geht soweit, dass die Wohnungen, Büros und Verlage durchsucht und Menschen inhaftiert werden. Diese ganzen letztlich rassistisch motivierten Angriffe werden durch die Extremismustheorie legitimiert und basieren auf einer staatlichen Willkür, die nahezu unmöglich zu beeinflussen ist.

Ich habe mit Kurd*innen Interviews geführt, die seit mehr als zehn Jahren ohne einen sicheren Aufenthaltsstatus und mit einer Residenzpflicht in Deutschland leben, nur weil sie an politischen Aktivitäten beteiligt waren. Die eingereichten Widersprüche bringen nichts, da die politische Aktivität der Kurd*innen laut dem Verfassungsschutz und der medialen Stimmungsmache “extremistisch” verortet wird. Die Hufeisentheorie schafft also Ausnahmezustände, in denen die Rechte der Einzelnen weniger Geltung finden. Außerdem zeigt uns die Verwendung der Theorie an mehreren Stellen, dass sie rassistisch ist.

Ähnliche Prozesse kommen auch zustande, wenn es um eine eurozentristische Debatte zur Gewalt geht. In Debatten ist häufig keine Differenzierung und Kontextualisierung zu finden. Die herrschende eurozentristische Erzählung zur Gewalt setzt die antikoloniale Gewalt (z.B. von BLM-Bewegungen in den USA oder der kurdischen Befreiungsbewegung im Nahen Osten) mit rassistischer Gewalt gleich. Das passiert in einer Welt, in der Gewalt in verschiedenen Facetten zum Alltag gehört und die Emanzipation kolonialisierter bzw. unterdrückter Menschen eine Selbstverteidigung bedingt. Dass im Flyer der BLM-Demo in Dresden das Wort „Gewaltbereitschaft“ benutzt wurde, um der für möglich gehaltenen Gewaltbereitschaft der Demonstrant*innen vorzubeugen, weist für mich auch auf diese Undifferenziertheit hin.

Meine Hoffnung liegt wie am Anfang gesagt darin, in eine konstruktive Debatte zu kommen und mit diesem Text hoffentlich zu einem solchen Prozess beigetragen zu haben. Die Debatte ist vielschichtig und es würde mich freuen, wenn diese Vielschichtigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zur Schau gebracht würde. Eines ist aber mir leider schon im Vorfeld einer möglichen Debatte klar: Aufgrund der Kritik, die ich in diesem Text teilweise zum Ausdruck gebracht habe, und des bisherigen Umgangs mit der Kritik durch die Orga-Gruppe, distanziere ich mich von der Demonstration am Sonntag in Dresden. Mit einem Kontext, in dem die rassistische und kriminalisierende Extremismustheorie reproduziert wird, kritische Stimmen ignoriert werden und Erfahrungen mit rassistischer Polizeigewalt nicht ernst genommen werden, kann ich mich nicht identifizieren.

(1) Hier verweise ich auf die Diskussionen zur Rolle bzw. dem Charakter der Radikalität und Gewalt in antikolonialen Bewegungen und kolonialisierten/unterdrückten Gesellschaften – insbesondere auf die Analyse von Frantz Fanon und die Erfahrung der kurdischen Befreiungsbewegung.

(2) Ich weigere mich, diese Länder mit einem im Westen konstituierten “Entwicklungsbegriff” zu definieren. Mir scheint die Definition “Billige-Arbeitskraft-Länder” zutreffender zu sein.

(3) Für die Begriffe “Ausnahmezustand” und “das nackte Leben” verweise ich auf Agambens Werke, die aus meiner Sicht die Funktionsweisen gesellschaftlicher Ein- und Ausschlussprozesse sehr gut zur Schau bringen – insbesondere in Bezug auf die Verortung des “Flüchtlings” und den Rassismus gegen Geflüchteten.

Osman Oğuz ist ein freier Journalist aus Dresden, der über die Themen Selbstorganisation, kurdische Freiheitsbewegung und Sächsische Verhältnisse schreibt.

Kontakt:

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Mail: oseoguz@gmail.com

Weitere Texte:

Selbstorganisierung gegen Rassismus – erschiene im Lower Class Magazin


Veröffentlicht am 11. Juli 2020 um 12:33 Uhr von Redaktion in Soziales

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