Antifa

Gedenken an Marwa El-Sherbini und Protest gegen neurechtes Zentrum

1. Juli 2013 - 23:42 Uhr - 5 Ergänzungen

Während heute im Dresdner Villenstadtteil Weißer Hirsch etwa 80 Menschen gegen die Eröffnung eines „Zentrums für Jugend, Identität und Kultur“ protestierten und dabei mit Wasserbomben und Anti-Antifamusik empfangen wurden, verlief eine vom Dresdner Ausländerrat vor dem Landgericht angemeldete Gedenkveranstaltung in Erinnerung an die am 1. Juli 2009 ermordete Marwa El-Sherbini Gedenkveranstaltung mit etwa ebenso vielen Menschen ohne Zwischenfälle.

Obwohl die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) dem Vorwurf Rassismus mit ihrem Slogan „0% Rassismus, 100% Identität“ versucht entgegenzutreten, werden bei einem Blick auf ihre personelle Zusammensetzung und inhaltliche Ausrichtung ganz klare Bezüge zur rechten Ideologie sichtbar. In ihrem Flugblatt kritisierten die Gruppe Contra Públic das heute auf dem Lahmannring 18a eröffnete Zentrum als Kaderschmiede für die „Identitären“, die sich, ebenso wie ihr französisches Vorbild, für einen Ethnopluralismus und den „Schutz des europäischen Kontinents vor Überfremdung, Massenzuwanderung und Islamisierung“ einsetzen. Um diese Ziele umzusetzen, fordert die mittlerweile in Chemnitz, Dresden und Aue-Schwarzenberg aktive neurechte Bewegung eine „geistig-kulturelle Revolution“ auf Grundlage einer sogenannten „ethnokulturellen Identität“.

Kundgebung am Weißen Hirsch

Inhaltliche Übereinstimmungen der erst Ende des letzten Jahres verstärkt öffentlich in Erscheinung getretenen Bewegung gibt es mit der seit 2004 als Schülerzeitung herausgegebenen „Blauen Narzisse“ des Chemnitzers Felix Menzel. Dieser war für eines seiner zahlreichen Referate im April 2012 vom Amtsgericht Chemnitz wegen Beleidigung der Grünen-Politikerin Claudia Roth zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Menzel, der bei etlichen rechten Burschenschaften ein gern gesehener Redner zum Thema „Ausländergewalt“ ist, schreibt außerdem in der Zeitschrift Sezession des Instituts für Staatspolitik. Bei einer Veranstaltung des Bund Junges Ostpreußen (BJO) im April vergangenen Jahres in einer Dresdner Jugendherberge saßen nach Recherchen von Gamma unter anderem der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer, Holger Szymanski und der Fraktionspressesprecher der Partei, Thorsten Thomsen, im Publikum. Die personellen Überschneidungen zeigten sich auch heute, so nahm an der Eröffnung der 60qm in einem Hinterhaus neben Menzel auch der zuletzt in Berlin wohnhafte langjährige Autor der „Blauen Narzisse“, Johannes Schüller, teil.

Vorbild für „Das Haus der Alternativen Rechten” sind Hausprojekte der italienischen Neofaschisten und Mussolini-Anhänger von „CasaPound“, aus deren Umfeld Gianluca Casseri stammte. Dieser hatte am 13. Dezember 2011 in Florenz zwei senegalesische Straßenhändler erschossen und drei weitere verletzt. Auf der Flucht vor der Polizei beging der 50jährige schließlich Selbstmord. Das von „CasaPound“ inspirierte Projekt auf dem Weißen Hirsch besteht aus angemieteten Büroräume im Keller eines Hinterhauses und besitzt einen Konferenzraum, in dem in Zukunft nach den Vorstellungen der neuen Mieter in regelmäßigen Abständen neben Vorträgen und Gesprächsrunden auch kostenpflichtige Wochenendseminare in Kooperation mit der überregionalen rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ stattfinden sollen.

In Dresden ist die personell überschaubar gebliebene Gruppierung bislang vor allem durch Aufkleberaktionen und ihren Internetauftritt in Erscheinung getreten. Ob sich mit der Etablierung eines finanziell gut ausgestatteten Zentrums im Norden der Stadt etwas daran ändert, bleibt abzuwarten. Die Bemühungen, mit dem neuen Zentrum öffentlich wahrgenommen zu werden, stehen jedoch im Widerspruch zur Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes, der der Bewegung im Dezember lediglich einen „virtuellen Charakter“ bescheinigte. Trotz eines für Dresden übliches immenses Aufgebot, konnte die Polizei nicht verhindern, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Protestkundgebung aus einem Haus abseits der Veranstaltung mit Wasserbomben beworfen wurden. Zuvor war vom Dach des Gebäudes rechte Musik abgespielt worden.

Gedenken an Marwa El-Sherbini

Zeitgleich mit der Protestkundgebung hatten sich vor dem Landgericht unweit des Sachsenplatzes etliche Menschen versammelt, um an Marwa El-Sherbini zu erinnern. Stunden zuvor hatten im Innenhof des Gebäudes Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Justiz der grausamen Tat vor vier Jahren gedacht. In seiner Ansprache erinnerte Sachsens derzeitiger Justizminister Jürgen Martens (FDP) daran, immer wieder für die „Würde des Menschen“ einzutreten. Gleichzeitig forderte er Verständnis dafür, aus Gerichtsgebäuden „keine Festungen“ zu machen, um „das Prinzip der öffentlichen Verhandlungen“ am Leben zu erhalten.

Bei der vom Ausländerrat der Stadt organisierten Gedenkveranstaltung am Abend verwies Marianne Thum von der Opferberatung des RAA Sachsen e.V. auf die „gesamtgesellschaftliche Herausforderung“, angesichts aktueller politischer Debatten über „Armutszuwanderung“ und der Diskriminierung von Flüchtlingen islamischen Glaubens, Rassismus und Islamfeindlichkeit „mit allen uns zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln“ zu bekämpfen. Angesichts der anhaltenden rechten Übergriffe in der Stadt forderte sie die politisch Verantwortlichen dazu auf, als „Ausdruck der Anerkennung und Wertschätzung ihrer Zivilcourage“ einen Platz nach Marwa El-Sherbini zu benennen.


Veröffentlicht am 1. Juli 2013 um 23:42 Uhr von Redaktion in Antifa

Ergänzungen

  • Dieses „Zentrum“ ist nicht im 1. OG Hinterhaus, sondern im Keller des Vorderhauses.

  • Marwa El-Sherbini: Platz Umbenennug Dresden!

    4.Todestag Marwa El-Sherbini: Platz umbenennung in Dresden!
    In Erinnerung an die am 1. Juli 2009 ermordete Marwa El-Sherbini wurde eine Platz am Landgericht Dresden umbenannt.
    Was war passiert:

    Die 31jährige Frau war am 1. Juli 2009 während einer Berufungsverhandlung von Alexander Wiens mit einem Messer attackiert und niedergestochen worden. Dieser hatte am 21. August 2008 Marwa und ihrem damals zweijährigen Sohn auf einem Spielplatz im Dresdner Stadtteil Johannstadt islamfeindlich beleidigt und war dafür von Marwa El-Sherbini angezeigt und vom Amtsgericht Dresden wegen Beleidigung drei Monate später zu einer Geldstrafe von 780 Euro verurteilt worden.

    Der Täter war, nachdem Marwa vor Gericht gegen ihn ausgesagt hatte, mit einem 18cm langen Küchenmesser auf die im dritten Monat schwangere Frau losgegangen und hatte vor den Augen ihres Sohnes mindestens 15mal auf sie eingestochen. Als der Verteidiger des Angeklagten und ihr Ehemann dazwischen gegangen und ebenfalls mit dem Messer attackiert worden waren, stürmten zwei Bundespolizisten in den Saal und schossen dem Ehemann der Ermordeten ins Bein. Erst im Anschluss daran, konnte der eigentliche Täter überwältigt und festgenommen werden. Alexander Wiens war nur wenige Monate später vor dem gleichen Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er die Tat mit direktem Vorsatz und nicht im Affekt begangen hatte. Ihre Ermordung hatte auch in der islamischen Welt für Entsetzen gesorgt.

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