Organisierung in Zeiten von Corona – Interview mit Sophie Lindner vom Künstlerbund Dresden
29. März 2020 - 14:16 Uhr
Im Bereich der Kultur tätige Menschen sind derzeit stark von den Ausgangsbeschränkungen und finanziellen Konsequenzen im Zuge der Corona-Pandemie betroffen. Mit jedem Tag, an dem keine Veranstaltungen stattfinden können, fallen Aufträge weg, Honorare werden nicht gezahlt und es entstehen massive Lücken im sowieso schon knappen Geldbeutel. Wir haben mit Sophie Linder vom Künstlerbund Dresden über die Situation von Kulturschaffenden gesprochen.
Wie stellt sich die aktuelle Situation aus Sicht des Künstlerbundes dar?
SL: Dem Künstlerbund Dresden (KBD) ist die prekäre Lebens- und Arbeitssituation Bildender Künstler:innen sowohl seit der Corona-Krise, als auch vor der Krise bewusst. Mit nahezu 500 Mitgliedern ist er der größte Künstler:innenverband in den neuen Bundesländern. Die Mitglieder begrenzen sich allerdings nicht nur auf die Stadt Dresden, sie reichen bis in den ländlichen Raum Sachsens. Da der KBD die Interessen und sozialen Belange seiner Mitglieder vertritt, sowie versucht die Grundlagen und Bedingungen freier künstlerischer Tätigkeit zu sichern, muss er gerade jetzt handlungsfähig bleiben- ja sogar mehr leisten als vor der Corona-Krise. Viele Mitglieder sind in existenzieller Not. Sie können ihre jetzt anstehenden Mitgliederbeiträge nicht mehr zahlen, suchen Rat und Hilfe für alle momentan akuten Probleme. Die Geschäftsstelle kann dem Ausmaß an Bedürfnissen kaum nachkommen, es sprengt alle ohnehin schon begrenzten Kapazitäten. Viele Mitglieder sind älter als 50 Jahre und haben außerhalb des KBD keine Netzwerke, an die sie sich wenden können.
Mit welchen Problemen habt ihr konkret auf lokaler Ebene zu tun? Was sind Dresden-spezifische Themen in der Kultur während Corona?
SL: Ich bin erst seit knapp drei Jahren Mitglied, seit letztem Sommer im Vorstand. Meine Beobachtung ist, dass der Draht zwischen den größeren Kulturinstitutionen in Dresden und den lokalen Künstler:innen kaum oder sehr beschränkt vorhanden ist. Die Bereitschaft zum Gespräch, zur Kooperation, also „gemeinsam“ Strukturen für den Kulturbereich zu entwickeln, sollte selbstverständlicher sein. Ein Dresden- spezifisches Problem ist die Vernetzung allerlei politischer, subkultureller und branchenspezifischer Gruppen aus der Kultur untereinander. Durch Corona entstehen aber neue Möglichkeiten und hoffentlich Visionen, dies zu ändern.
Wie versucht ihr gerade, mit der aktuellen Situation umzugehen und wie könnt ihr handlungsfähig bleiben?
SL: Wir haben als Vorstand Maßnahmen beschlossen, um die Geschäftsstelle trotz Schließung und Absagen vorheriger Aktionen, Veranstaltungen etc. bis auf Weiteres intakt zu halten. Wir haben unsere Mitglieder auf mehreren Kanälen sofort über die Einschränkungen informiert (Mail, Anrufbeantworter, Website). Darüber hinaus haben wir eine Umfrage an unsere Mitglieder gestartet: Ob und wie sie jetzt konkret in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind. Gewünscht sind Angaben zum Wegfall von z.B. Ausstellungen, Honoraren, Stipendien, Nicht Einhalten der Einkommensschätzung vor der Künstlersozialkasse (KSK) und vor allem: wie allerlei Brotjobs von der momentanen Situation betroffen sind. Das können andere freiberufliche Tätigkeiten sein, aber auch 450 € Jobs usw. Aus diesen Angaben heraus wollen wir konkrete Forderungen an die Landespolitik formulieren, reichen diese aber auch an den Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) weiter.
Was sind aus eurer Sicht notwendige Maßnahmen?
SL: Darüber gibt es noch keine Einigkeit, da der Austausch mit den Mitgliedern erst begonnen hat. Ideen gibt es aber trotzdem. Kurzfristig könnte es um Forderungen wie das Aussetzen der Einkommensprüfungen durch die KSK im laufenden Jahr oder das Aussetzen der Rückerstattungen von Fördergeldern für nicht stattfindende Projekte und Stipendien gehen. Langfristig sehe ich Handlungsbedarf, die Förderstrukturen zu überdenken, das Thema Gleichstellung im Kunst- und Kulturbetrieb sowie in den sozialen Sicherungssystemen für Bildende Künstler:innen ganz nach oben zu katapultieren.
Kunst zu machen ist nicht erst seit Corona prekär. Ist die Situation auch eine Chance, sich längerfristig Gehör zu verschaffen?
SL: Auf jeden Fall. Das macht die Corona-Krise aber umso „prekärer“: Wem jetzt Netzwerke fehlen oder die Zeit, sich zu engagieren wegen Fürsorgearbeiten – die jetzt völlig ohne Betreuung, Möglichkeit auf räumliche Trennung geleistet werden müssen – hat es schwerer, sich Gehör zu verschaffen. Ich denke, wir sollten jetzt alle lernen nachzufragen: Wie geht es Dir und warum?
Welche Rolle könnte die Kunst spielen bei einer gemeinschaftlichen Herangehensweise an die Krise?
SL: Kunstschaffende arbeiten und schöpfen aus allen möglichen ökonomischen Verhältnissen, sie können Wertschöpfung und Ökonomien von der Basis her anders denken. Trotzdem haben wir die gleichen Bedürfnisse nach Grundsicherung, Gleichstellung, Vereinbarkeit von Beruf, Partner:innenschaft und Familie wie andere Bürger:innen auch. Die Kunst könnte Modelle, die uns alle betreffen, formulieren, vermitteln und helfen, sie zu popularisieren.
Vielen Dank für das Interview und viel Kraft für die nächsten Wochen.
Weitere Texte: https://www.addn.me/freiraeume/kunst-kultur-krise-welche-unterstuetzung-notwendig-ist/
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Veröffentlicht am 29. März 2020 um 14:16 Uhr von Redaktion in Freiräume, Kultur, Soziales