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Geflüchtete protestieren gegen Zustände in Dresdner Zeltlager

30. Juli 2015 - 00:22 Uhr

Nicht einmal eine Woche nach Öffnung eines Zeltlagers für bis zu 1.100 Menschen in der Friedrichstadt, ist es am Mittwoch zu ersten Protesten durch darin untergebrachte Bewohnerinnen und Bewohner gekommen. Mit einer Sitzblockade im Eingangsbereich forderten etwa 50 von ihnen bessere Bedingungen. Erst nach einer etwa einstündigen Diskussion mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuz (DRK) sowie Helferinnen und Helfern trafen Vertreter der Stadtverwaltung und der Präsident der Sächsischen Landesdirektion vor Ort ein und führten die Diskussion anschließend im Inneren des Lagers fort. Auf Grund der Gesamtsituation hatte sich Stunden zuvor das Netzwerk „Dresden für Alle“ aus der Koordination der Hilfe zurückgezogen und die Verantwortung an den DRK-Landesverband übergeben. Gleich zu Beginn hatte das Netzwerk in kürzester Zeit insgesamt drei Arbeitsgruppen gebildet. Neben der Vermittlung von freiwilligen Übersetzerinnen und Übersetzern mit unterschiedlichsten Sprachkenntnissen hatte eine zweite Gruppe die zahlreichen Spenden aus der Bevölkerung sortiert und weitergegeben. Eine dritte Gruppe hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Betreuung der Menschen zu übernehmen.

Der Sitzstreik am Mittwoch richtete sich gegen die unzulänglichen Sanitäreinrichtungen, die derzeit aus Dixie-Toiletten bestehen. Weiterhin gebe es zu wenig Essen bei der Ausgabe und es komme generell zu Problemen bei der Verteilung von Lebensmitteln. Trotz des Einsatzes von DRK und dutzender Freiwilliger gebe es zudem noch immer Schwierigkeiten bei der Bereitstellung gespendeter Kleidung. Letztlich ging es aber auch um die unwürdige Unterbringung in Zelten. Helfer sprachen von Menschen, die über Nacht teilweise unter freiem Himmel schlafen mussten, da es in den Zelten zu wenig Platz und keinerlei Privatssphäre gebe. In einem von Insassen selbstgedrehten Video sind Feldbetten zu sehen, die dicht gedrängt und ohne warme Decken in den Notzelten stehen. Nach Aussagen von Vertretern der Kommune habe die Errichtung des Zeltlagers auch die Stadt in der Urlaubszeit „kalt erwischt“. Der kürzlich neugewählte Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) sei erst ab Montag zu erreichen, Innenminister Markus Ulbig (CDU) im Sommerurlaub in Schottland.

Mit der Ankunft von Dresdens Sportbürgermeister Winfried Lehmann (CDU), Kulturbürgermeister Ralf Lunau und dem Präsidenten der Landesdirektion Sachsen, Dietrich Gökelmann, löste sich die Versammlung auf. Alle drei versprachen nach Angaben der Sächsischen Zeitung „rasche Verbesserungen“ und kündigten als erste Maßnahme die Aufstellung weiterer Sanitärcontainer, Müllbehälter und eine bessere Lebensmittelversorgung an. Die Errichtung eines provisorischen Lagers war Ende der vergangenen Woche durch das Sächische Innenministerium innerhalb kürzester Zeit beschlossen und umgesetzt worden. Schon am ersten Tag war es dabei nach einer Kundgebung der NPD zu gewalttätigen Übergriffen durch Nazis gekommen, bei denen drei Personen verletzt wurden. Auch am Mittwochabend kam es nach dem erfolglosen Versuch von mehreren dutzend Nazis, eine Spontandemonstration auf der Bremer Straße anzumelden, zu Tumulten mit der Polizei, die anschließend mehrere Personalien aufnahm und neben Sturmhauben auch Quarzhandschuhe sicherstellte.

Der Sprecher von „Dresden für Alle“, Eric Hattke, hatte zuvor die Errichtung des Zeltlagers als „logistische Überforderung“ bezeichnet. Trotz einer „unglaublichen Hilfsbereitschaft“ der Dresdner Bevölkerung sei „die extrem beengte Unterbringung in Zelten auf einem dafür ungeeigneten Grundstück weder unter hygienischen, sozialen noch unter Sicherheits-Aspekten zu verantworten.“ Schon am Dienstag hatte der Sächsische Flüchtlingsrat die Zustände als „unzumutbar“ kritisiert. Ali Mouradi, der Geschäftsführer des Vereins, zeigte sich vor allem über die hygienischen Zustände vor Ort bestürzt: „Im Interesse der Gesundheit von Geflüchteten und Helfern muss sofort u.a. ein regelmäßige Müll-Entsorgung gewährleistet werden. Hier ist nicht allein das DRK, dessen Helfer bis an die Grenzen ihrer Leistungskraft arbeiten, sondern auch das Innenministerium selbst in der Pflicht.“

Im Gegensatz zu den rassistischen Protesten in den letzten Tagen war die Polizei am Mittwochabend schnell mit fünf Einsatzfahrzeugen zur Stelle. Ein Beamter beschwerte sich zugleich über den Protest der Geflüchteten mit den Worten: „Erst drei Tage hier und schon Forderungen stellen.“ Bereits ab dem frühen Abend hatten mehrere einschlägige Seiten aus dem Umfeld von PEGIDA und seiner Abspaltung „Dresden für direkte Demokratie“ ebenso wie die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ gegen den Flüchtlingsprotest gehetzt. So fanden sich dann auch 10-15 „besorgte Bürger“ vor dem Zeltlager ein. Schon am Vortag war die Dresdner Polizei mit Helmen und Brustpanzerung in das Lager gekommen, um damit die Essensausgabe zu überwachen. Da den Bewohnerinnen und Bewohnern kein „zivilisiertes Verhalten beim Anstellen“ zugetraut worden sei, sollte mit der Maßnahme der anwesende Sicherheitsdienst unterstützt werden.

Parteiübergreifend waren die Übergriffe der letzten Tagen verurteilt worden. Während CDU-Innenexperten Christian Hartmann im Vorgehen der Polizei „eine deutliche Sprache“ erkennen wollte, sprach sich Valentin Lippmann von den sächsischen Grünen ebenso wie die Linksfraktion für eine Sondersitzung des Innenausschusses am kommenden Montag aus: „Ich erwarte deutliche Antworten von Innenminister Ulbig auf die Frage, wie er die Sicherheitslage in Sachsen wieder in den Griff bekommen will. Dazu braucht es auch eine klare Aussage, wie Flüchtlingsunterkünfte wirksam durch die Polizei geschützt werden können. Die Übergriffe der vergangenen Tage haben erhebliche Zweifel aufkommen lassen, ob der Freistaat noch in der Lage ist, seinem Schutzauftrag jederzeit vollumfänglich nachzukommen.“

Die Landtagsabgeordnete und Sprecherin ihrer Fraktion für Migrations- und Flüchtlingspolitik, Juliane Nagel (Die Linke), hatte die Sächsische Landesregierung am Mittwoch aufgefordert, endlich ein tragfähiges Konzept vorzulegen, welches „neben räumlichen Kapazitäten auch die Versorgung, medizinische Erstuntersuchung, eine adäquate Erstberatung und Maßnahmen gegen rassistische Stimmungsmache thematisiert“. Das von der Staatsregierung Anfang Juli vorgelegte Papier sei ihrer Ansicht nach „eine bloße Zusammenfassung bekannter und unzulänglicher Pläne ohne qualitative Aussagen. Die Zeltstadt in Dresden illustriert täglich die Überforderung.“ Angesichts weiter steigender Asylzahlen forderte sie einen Asylgipfel, zu dem auch Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen, Gewerkschaften und Kirchen eingeladen werden sollten. „Die Umsetzung des Asylrechts“, so Nagel abschließend, sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“


Veröffentlicht am 30. Juli 2015 um 00:22 Uhr von Redaktion in Antifa

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