Nazis

Holpriger Prozessauftakt in Hoyerswerda

15. Januar 2014 - 13:41 Uhr

In Hoyerswerda begann gestern vor dem Amtsgericht der Prozess gegen acht Männer, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, am 17. Oktober 2012 ein Paar bedroht und beleidigt zu haben. Das Ziel der Aktion sei es gewesen, die beiden „einzuschüchtern“ und ihre „Missachtung auszudrücken“. Da am Morgen nur sieben der mutmaßlichen Täter vor Gericht erschienen, musste der letzte der Angeklagten erst vorgeführt werden. Nach einer zweistündigen Wartepause konnte die Verhandlung im bis auf den letzten Platz besetzten Gerichtssaal schließlich fortgesetzt werden. Die Verlegung des Prozesses in einen größeren Saal oder in die Hoyerswerdaer Stadthalle hatte Richter Michael Goebel zuvor mit der Begründung abgelehnt, dass die Angeklagten im Alter zwischen 18 und 36 Jahren „nicht zum Schauobjekt“ degradiert werden sollten.

Da sich nur drei der Männer zum Tatabend äußern wollten, ergab eine anschließende Befragung durch Staatsanwalt Christopher Gerhardi und die Nebenklage kaum neue Erkenntnisse. Stattdessen herrschten überwiegend Erinnerungslücken und mit Ausnahme des Angeklagten Sven R. konnte nicht festgestellt werden, wer an besagtem Abend überhaupt den Hausflur des Plattenbaus betreten hatte. Vor Gericht gab R. lediglich zu, im Hausflur eine Lampe herausgedreht zu haben, an andere Details habe er sich nicht erinnern können. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, das Paar unter anderem mit „Komm runter Du Ratte!“ und „Wir machen Dich tot!“ bedroht zu haben. Der Frau war sogar damit gedroht worden, sie zu vergewaltigen. Der Grund des Übergriffs soll ein Artikel im Internet gewesen sein, in dem neben Fotos auch Namen und Adressen der Angeklagten veröffentlicht worden sein sollen. Das zumindest deutete einer der Angeklagten in einem Gespräch mit einem Polizeibeamten des Operativen Abwehrzentrums Monate nach der Tat an. Um die beiden dafür verantwortlich gemachten Personen „zur Rede zu stellen“, sei die Gruppe in den Abendstunden des 17. Oktobers zur Wohnung in der Robert-Schumann-Straße gezogen. Die beiden Betroffenen gehen jedoch davon aus, dass sie vielmehr wegen ihres politischen Engagements zum Ziel der Nazis wurden. In der Vergangenheit hatten sie immer wieder in aller Öffentlichkeit rechte Aufkleber entfernt und überklebt.

Auch 15 Monate nach der Tat waren den beiden Betroffenen die Folgen des Überfalls noch deutlich anzumerken. Beide seien gesundheitlich angeschlagen und hätten noch immer mit den psychischen Schäden zu kämpfen. In ihrer Befragung schilderten sie übereinstimmend, wie sie am 17. Oktober gegen 21 Uhr zunächst durch ein dauerhaftes Klingeln aufgeschreckt wurden. Danach sollen mehrere Personen aus einer vor dem Haus befindlichen Gruppe gegen ihre Wohnungstür getreten, den Strom abgestellt und den Türspion mit rechten Aufklebern zugeklebt haben. Erst nach mehreren Anrufen bei der Polizei, in denen sie um Hilfe gebeten hatten, seien zwei Beamte vorbeigekommen und hätten dem Paar geraten, die Tür hinter ihnen abzuschließen. Auch nachdem die Beamten die Wohnung wieder verlassen hatten, um mit der Gruppe vor dem Haus zu sprechen, gingen die Beleidigungen und Drohungen weiter. Im Nachgang hatte besonders ein Satz bundesweit für Empörung gesorgt. So hatte ein Polizeisprecher im Anschluss gegenüber dem MDR-Magazin exakt gesagt, dass es einfacher sei, „zwei Personen von einem Ort zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifen vor ein Haus zu stellen“. Bereits wenige Stunden nach dem Übergriff zog das Paar vorübergehend in eine Wohnung außerhalb von Hoyerswerda und lebt inzwischen anonym weit entfernt von Hoyerswerda in einer Großstadt. Der Besuch gestern, sei der erste nach dem Übergriff gewesen. Hoffentlich, so der 33jährige auf Nachfrage des Richters, aber auch der letzte.

Der Prozess warf auch gestern wieder ein schlechtes Licht auf den Polizeieinsatz an besagtem Abend. So waren die ersten der auf der Robert-Schumann-Straße eingetroffenen Beamten mit der Situation offenbar vollkommen überfordert. Weder waren sie in der Lage dazu, den etwa 15 alkoholisierten und zumindest zum Teil auch der Polizei bekannten Nazis einen Platzverweis zu erteilen, noch hielten sie es für nötig, deren Personalien aufzunehmen. Vielmehr sollen die Beamten von der Gruppe nach Aussage der Geschädigten ausgelacht worden sein. Erst als zusätzlich angeforderte Kräfte eintrafen, gelang es der Polizei zwei Stunden nach der Tat, die Personalien von insgesamt elf Personen an einer Tankstelle in der Nähe des Tatortes festzustellen. Zu dem Zeitpunkt hatten jedoch schon mehrere Personen die Gruppe wieder verlassen. Auf die Idee, den Alkoholpegel zu testen, kam vor Ort allerdings niemand. Es ist nicht verwunderlich, dass sich die wenigen aussagewilligen Nazis vor Gericht immer wieder auf ihren übermäßigen Alkoholkonsum am Abend der Tat berufen konnten.

Zur Unterstützung der Prozessbeteiligten hatten sich im Gerichtssaal neben zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern auch ein dutzend Nazis aus dem Umfeld der Angeklagten eingefunden. Unter ihnen auch der stellvertretende Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Niederschlesien-Oberlausitz Torsten Hiekisch und seine Ehefrau, die Zittauer NPD-Stadträtin Antje Hiekisch. Obwohl während der Befragung der Betroffenen einige der vor Gericht stehenden mutmaßlichen Täter immer wieder lachten und Torsten Hiekisch mit seinem Telefon ein höhnendes Lachen abspielte, war der Richter nicht im Stande, im Gerichtssaal für Ruhe zu sorgen. Der im Februar 2010 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilte Torsten Hiekisch ist einer der Verantwortlichen für „NNO“ – eine Internetausgabe so genannter nationaler Nachrichten. Politische Motive der Täter schien die Staatsanwaltschaft jedoch ohnehin nicht zu interessieren, nicht anders ist zu erklären, weshalb sich die auch am Prozesstag mit rechter Szenekleidung anwesenden Nazis nicht wegen Landfriedensbruch, sondern lediglich wegen Bedrohung und Beleidigung vor Gericht verantworten müssen.

Das ehrgeizige Ziel des Richters, gestern auch ein Urteil zu sprechen, war angesichts der Prozessverzögerung zu Beginn und langen Zeugenbefragungen nicht möglich. Nun soll es am 27. Januar mit der Befragung weiterer der insgesamt 14 geladenen Zeuginnen und Zeugen weitergehen. Es bleibt zu hoffen, dass auch an diesem Tag die Betroffenen vor Gericht unterstützt werden. Wenig beeindruckt von den gegen sie laufenden Ermittlungen zeigte sich die rechte Szene der Stadt. Erst Ende September vergangenen Jahres hatten Personen aus dem Umfeld der so genannten „Autonomen Nationalisten Hoyerswerda“ vor einer Diskothek der Stadt Reizgas versprüht und dabei zwanzig Personen verletzt. Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte der Staatsschutz gemeinsam mit dem Operativen Abwehrzentrum danach sieben Wohnungen durchsucht und dabei neben Waffen und anderen verbotenen Gegenständen auch vier Patronen Gewehrmunition sichergestellt. Zum Bild passt, dass für Oberbürgermeister, Stefan Skora (CDU), „die wieder nur negative Berichterstattung über Hoyerswerda als Folge der Vorkommnisse am 17. Oktober 2012“ die größte Enttäuschung 2012 gewesen ist.

MDR exakt – Von Neonazis aus Hoyerswerda vertrieben:


Veröffentlicht am 15. Januar 2014 um 13:41 Uhr von Redaktion in Nazis

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