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Lord of the Toys: Jackass für Arme

2. Februar 2020 - 18:57 Uhr - 6 Ergänzungen

Im Herbst 2018 veröffentlichten zwei Absolventen der Filmakademie Baden-Württemberg im Bereich Dokumentarfilm-Regie den Film „Lord of the Toy„, der sich mit dem Alltag des Dresdner Youtubers Max Herzberg beschäftigt. Für den Dokumentarfilm wurde Regisseur Pablo Ben Yakov und Kameramann André Krummel 2018 mit dem mehrere tausend Euro dotierten Leipziger Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Die Ehrung erregte damals große Aufmerksamkeit. Kritikerinnen und Kritiker warfen den jungen Filmemachenden vor, mit ihrem Werk Rassismus und Antisemitismus unkritisch zu reproduzieren. Jetzt ist die Dokumentation auf DVD erschienen. Grund genug für unsere Redaktion, sich den Film und die Gruppe noch einmal genauer anzuschauen.

Eine schemenhafte Beobachtung.

Schon die Bilder am Anfang des Filmes entfalten eine verstörende Wirkung. Der Protagonist Max sprüht unter „Ich vergase Dich“-Rufen einem sichtlich angetrunkenen und unzurechnungsfähigen Jugendlichen minutenlang Deospray ins Gesicht. In guter deutscher Tradition hat man gelernt, dass eine „Vergasung“ nur dann funktionieren kann, wenn der Raum abgeschlossen ist: die Fenster werden prompt geschlossen. Es sind diese Bilder, die Ben-Yakov (32) und André Krummels (29) in ihrem Erstlingswerk „Lord of the Toys“ einzufangen und damit ein dystopisches Abbild eines Milieus darzustellen versuchen, welches einen Großteil der über 30-Jährigen verständnis- und sprachlos zurücklassen wird. Der Dokumentarfilm wurde 2018 bei der Leipziger Dok-Filmwoche uraufgeführt und mit der Goldenen Taube, dem Hauptpreis des Leipziger Dok-Festivals ausgezeichnet.

Im Mittelpunkt des Filmes steht der 21 Jahre alte Dresdner Youtuber Max Herzberg und seine Clique. Mit über 300.000 Abonnenten seines Youtube-Kanals sind seine Videos schon lange keine Jugendspielereien mehr, sondern knallhartes Business. Den Grundstein seines Erfolges legte Max aka Adlersson vor allem mit sogenannten Unboxing-Videos. Dieses spezielle Youtube-Format besteht darin, dass zugeschickte Werbeartikel vor laufender Kamera ausgepackt und erklärt werden – ein rein kommerzialisiertes Werbeformat also. Mittlerweile hat Max Herzberg mit Videos die seinen „lifestyle“ darstellen sollen, ein zweites Standbein bei Youtube. Auch wenn die Videos häufig nicht mehr bieten, als endlose Sauferei und Scherze auf Niveau eines 12-Jährigen, werden diese hunderttausendfach geschaut. Inzwischen hat Herzberg damit auch über Sachsens Landesgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt. Mehrere regionale und überregionale Zeitungen widmeten Adlersson bereits zumeist unkritische Artikel.

Diese Videos von scheinbar ziel- und planlos durch Dresden umherirrenden Jugendlichen, waren es dann wohl auch, die den Machern den Impuls gaben, die Gruppe über drei Monate hinweg zu begleiten und den Alltag einer Clique abzubilden, deren Erwartungen an das Leben häufig nicht über einen „ordentlichen Suff“ hinausgehen. Entsprechend ist auch die szenische Umsetzung. Unkommentiert wird die Kamera auf alles drauf gehalten, was die Gruppe in Dresden anstellt. Ob exzessive Suffabende, abbrennen von verschiedensten Dingen oder eine Schlägerei mit POCs auf dem Oktoberfest in München, die Herzberg mit der Aussage quittiert „we are Nazis from eastgermany, we are fucking Nazis“ – vieles was auf Bild festgehalten wird, ist für Kinobesucherinnen und Kinobesucher am Rande des Aushaltbaren. Fast omnipräsent zieht sich eine rassistische, homophobe und antisemitische Grundhaltung durch den Film.

Die Stärke der Dokumentation, die Protagonisten sich unkommentiert selbst bloßstellen zu lassen, ist gleichzeitig auch die große Schwäche des Filmes. Eine Einordnung in größere gesellschaftliche Entwicklungen findet nicht statt. Wer, wie, warum, Ursachen und Gründe werden nicht erfragt – auch wenn von den Protagonistinnen und Protagonisten dazu wenig zu erwarten gewesen wäre. So stellt Herzberg in einer Szene fest, warum die Gruppe etwas mache sei eigentlich egal, solange die ihnen zugewandte Fancommunity es nachahmen würde. Durch die fehlende Analyse des gezeigten, werden die Zuschauer in einer Ratlosigkeit zurück- und mit dem Gesehenen allein gelassen.

Dabei gäbe es viel zu analysieren und zu erzählen. Viel über die gesellschaftlichen Hintergründe einer Dresdner Jugend, deren Moralentwicklung maßgeblich durch PEGIDA mitgeprägt wurde. Wo „ein bisschen Rassismus halt dazu gehört, wir sind hier halt im Osten“, wie Herzberg dazu treffend in einem seiner Videos formuliert. Wo Rassismus nur ein schlechter Witz ist, man doch aber eigentlich unpolitisch sei und trotzdem Ausdruck der politischen Geisteshaltung einer ganzen Stadt ist. Einer Generation, die durch soziale Medien Hunderttausende erreicht und sich doch nur selbst bestätigt. So führte Herzberg unlängst auf seinem Kanal aus, wie überrascht er war, dass so viele seinen Film kritisierten. Bisher habe er nur Menschen getroffen, die seine Videos lustig fanden. Mit dem Schritt aus der eigenen Blase, den die Gang mit dem Film wagte, wird eine Generation portraitiert, in der Freundschaft sich häufig mehr über den ökonomischen Nutzen definiert, als über wirklichem Zusammenhalt. Eine Jugend, die aufgewachsen ist zwischen der Freiheit des Internets und der Unfreiheit der Wirklichkeit, eine Jugend, die nichts anderes mehr kennengelernt hat, als die neoliberale Realität.

Viel zu erzählen gäbe es auch über die fast ausschließlich männlichen Protagonisten und deren Verstrickungen in die rassistischen Ausfälle ab 2014. Über Frederic Seibt, der noch 2015 neben dem später als Mitglied der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) verurteilten Robert Stanelle vor dem Asylbewerberheim auf der Stetzscher-Straße stand und gegen die Unterbringung von Geflüchteten protestierte. Über Moritz W., der zusammen mit dem ebenfalls im Film vorkommenden Marvin Claus das Nazisfestival 2017 in Themar besuchte. Auch der unscheinbar wirkende Patrick Gamel Singh entpuppt sich als rechter Gewalttäter. Er war mit hunderten anderen Nazis an dem Überfall auf den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt und attackierte schon 2015 mit Mitgliedern der FKD Pro Refugee Aktivistinnen und Aktivisten auf der Bremer Straße.

Frederic Seibt rechts mit Deutschlandfahne

Es war zu beobachten, dass spätestens mit der polizeilichen Zerschlagung der FKD die jüngeren Mitglieder in der Gruppe von Herzberg eine neue Heimat fanden, wie auch Kenner der rechten Szene in Dresden gegenüber addn.me bestätigten. Wesentlich einfacher konnten sie dort ihre menschenverachtenden Einstellungen konservieren, eine Gemeinschaft finden und sogar noch Profit daraus schlagen. So konnte vor allem Frederic Seibt massiv von der Popularität Max Herzbergs profitieren und besitzt mittlerweile über 30.000 Follower auf Instagram.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Im besonderen Herzberg ist kein Nazi. Er würde sich nie einer Gruppierung anschließen, dafür steht Hedonismus, Lifestyle und Profitstreben für den mittlerweile 28-Jährigen zu sehr im Mittelpunkt. Auch wenn es in seinen Videos häufig nicht so erscheinen mag, ist er doch fernab der Kamera auf der Suche nach dem Übergang von pubertärem Verhalten in ein gut bürgerliches Leben – regelmäßige Pauschalreisen in die warmen Regionen der Welt inklusive.

Überzeugte Standpunkte lassen sich bei Herzberg kaum finden. Einstellungen jedoch umso mehr. Offen zur Schau gestellte Männlichkeit und Homophobie sind bei Herzberg ständiges Thema. Darüber können auch nicht die regelmäßigen homoerotischen Tänze und Kussszenen in seinen Videos hinwegtäuschen. Diese sind weniger als Widerspruch zu seinen homophoben Tendenzen, sondern vielmehr als Ausdruck eines provokativen jugendlichen Spielens mit der heteronormativen Realität zu verstehen.(1) Auch die Behauptung, nicht rassistisch zu sein, da mit Hektor Panzer alias Elias Dohrn auch eine „schwarze Person“ Teil der Gruppe sei, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Schutzbehauptung. Es kann nur als Symptom der „Identifikation mit dem Aggressor“ innerhalb der rassistischen Normalität der Gruppe interpretiert werden, wenn Elias Dohrn Arm in Arm mit dem langjährigen rechten Gewalttäter Felix Friebel im Division-Sachsen-Shirt bekleidet, am lautstärksten von allen „Opa war Sturmführer bei der SS“ mitsingt.

All das beleuchtet der Film nicht und lässt damit eine Chance aus, Erklärungen für das gute Abschneiden der AfD bei den unter 25-Jährigen zu liefern. Auch schaffen die Filmemacher es nicht, Herzberg und seine Crew aus der Reserve zu locken. Als stille Beobachter und Filmer müssen sie sich stattdessen den Vorwurf gefallen lassen, nur eine ästhetischere Darstellung der Szenen zu liefern, die bereits Wochen zuvor auf dem Kanal von Herzberg in schlechterer Qualität liefen. Auch dass der Instagram-Kanal des Films fast ausschließlich von der Crew mit Content gefüllt wurde, zeugt von der geringen Sensibilität der beiden Studenten. Der häufig geäußerte Vorwurf, allein auf den kommerziellen Erfolg der Gruppe aufspringen zu wollen, ist hier durchaus nicht abwegig. Nichtdestotrotz bietet das Material kritischen Beobachterinnen und Beobachtern genügend Diskussionsstoff, um sich mit dem Alltag der Gruppe auseinanderzusetzen und eigene Schlüsse zu ziehen. Der Film dürfte zumindest vielen Menschen einen spaltbreit Einblick in eine Welt gegeben haben, mit deren Symbolen und Codes sie zwar regelmäßig in Dresden konfrontiert sind, sie aber häufig nicht einordnen können.

(1) Mit Klaus Theweleit, dem Autor des Buches „Männerphantasien“ lassen sich diese Szenen interpretieren, als Ventil mit dem Homoerotik zwischen Männern ausgelebt werden kann. Dabei sorgen die engen Regeln dieser Rituale dafür, dass alle Handlungen im Spiel verbleiben und die eigene homophobe Grundhaltung gestärkt werden kann. Die unterdrückte Seite der eigenen Persönlichkeit kommt hier für einen kurzen, reglementierten Moment zum Vorschein. Interview mit Theweleit im Freitag

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-panzer-des-mannes-ist-bruechig


Veröffentlicht am 2. Februar 2020 um 18:57 Uhr von Redaktion in Nazis, Soziales

Ergänzungen

  • Vielen Dank für den Artikel. Als Charakter besonders aufgefallen ist mir, Davids (Ex-)Freundin, welche im Film nur als „A.“ bekannt gegeben wird. Sie zeigt rechtes Gedankengut am offesten und ist auch die Person, welche die Schlägerei auf der Wiesn anzettelt. Zu Ende des Films wird dann behauptet, sie sei jetzt bei der Bundeswehr. Wie kann eine so offenkundig rechtsextreme Person dort landen? Und wieso genießt ausgerechnet sie, eine so hohe Anonymität im Film? Auch in anderen Medien konnte ich nicht mehr zu ihrer Identität finden. Liegen Ihnen denn weitere Informationen zur Identität und zum weiteren Verbleib in der Bundeswehr vor?

  • Warum braucht es jemanden, der das Geschehen für einen einordnet? Das kann man schon selber, und gerade weil die Macher davon absehen es zu kommentieren, entfaltet der Film seine Wirkung. Außerdem: der Autor tut gut daran, sich anzuschauen, wie man Kommas setzt — immer vor einem „als“ schon mal nicht. Insgesamt aber ein lesenswerter Artikel, danke.

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