Nazis

Querdenken in Dresden – Von allen Seiten unterschätzt

15. März 2021 - 20:21 Uhr - Eine Ergänzung

Trotz eines durch die Versammlungsbehörde der Sächsischen Landeshauptstadt erlassenen und durch das Oberverwaltungsgericht in Bautzen am Tag darauf bestätigten Versammlungsverbots, zogen am Samstag knapp dreitausend Coronaleugner:innen durch Dresden. Ungeachtet der gerichtlichen Entscheidung kapitulierte die Polizei an diesem Tag kurzzeitig vor den selbst ernannten Querdenker:innen und ließ die ohne Abstandsregeln und Mund-Nasen-Schutz agierenden Menschen frei durch die Dresdner Innenstadt laufen (Fotos). Nach den Ausschreitungen in Leipzig im November 2020 sowie zahlreichen kleineren Aufmärschen der Coronaleugner:innen zeigten sich die für den Einsatz verantwortlichen Personen im Freistaat mal wieder über die Mobilisierungsfähigkeit und Gewaltbereitschaft der Demonstrant:innen überrascht. 

Es sollte eine Großkundgebung mit 5.000 angemeldeten Teilnehmer:innen werden. Unter dem Motto: „1 Jahr Lockdown“ hatte die Querdenken-Bewegung bundesweit in den 16 Landeshauptstädten zu Versammlungen aufgerufen. Nachdem die Stadt Dresden drei durch die Initiative „Querdenken351“ im Innenstadtbereich geplante Kundgebungen am Donnerstag den 11.03.2021 zunächst verboten hatte, folgten sowohl das Verwaltungs- als auch das Oberverwaltungsgericht der Entscheidung der Dresdner Versammlungsbehörde. Die Sächsische Polizei versuchte mit Unterstützung der Bundespolizei und Beamt:innen aus NRW das gerichtliche Verbot durchzusetzen. Insgesamt war die Polizei mit zwischenzeitlich bis zu 1.800 Beamt:innen, Wasserwerfern, Räumpanzern und Unterstützung aus der Luft im Einsatz. Trotz des massiven Aufgebots ging das Konzept der Einsatzleitung nicht auf und die Polizei verlor zumindest zeitweise die Kontrolle über die Innenstadt.

In die organisatorische Lücke, die durch das Verbot der Versammlung am Königsufer entstanden war, sprang die rechte Gruppierung „Heidenauer Wellenlänge“, welche erfolgreich eine kleine Kundgebung vor dem Kongresszentrum in Dresden anmelden konnte. Die Wellenlänge war vor allem durch ihre Teilnahme an den rassistischen Protesten in den Jahren 2015/2016 bekannt geworden. Seitdem organisiert die Kleinstgruppe immer wieder Kundgebungen in Dresden und Umland, an denen meistens nicht mehr als ein eine handvoll Leute teilnehmen. Die Gruppe hatte bereits zuvor Kontakt mit dem Dresdner Ableger von Querdenken. Bei der ebenfalls verbotenen Kundgebung am 12.12. war Organisator Marcus Fuchs zusammen mit der rechten Netzwerkerin Katja Kaiser sowie dem umtriebigen ehemaligen PEGIDA-Anwalt Jens Lorek am vormaligen Startpunkt der Kundgebung aufgetaucht.

Nicht so an diesem Samstagnachmittag. Mehrere hundert Menschen fanden sich bei der Kundgebung der Heidenauer Wellenlänge unweit des Sächsischen Landtag ein, die zuvor für lediglich 100 Menschen angemeldet und genehmigt worden war. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung vor Ort angespannt. Bereits die freundliche Ansprache der bis dahin breit eingesetzten Kontaktbeamt:innen sorgte für Aufregung auf Seiten der protestierenden Menschen. So kam es vor dem Kongresszentrum zu ersten Handgreiflichkeiten gegenüber Polizeibeamt:innen. Schließlich sickerten die Menschen durch die an dieser Stelle für sächsische Verhältnisse lockeren Polizeiketten und setzte sich als Demonstrationszug in Richtung Bahnhof Dresden-Mitte in Bewegung.

Ein Teil des Zuges schwenkte jedoch zur Marienbrücke mit dem Ziel, die Brücke zu überqueren. Hier stellten sich jedoch ca. 15 entschlossene Antifaschist:innen entgegen und brachten den Zug durch lautstarke Parolen zur Umkehr. Die zurückgewichenen Menschen schlossen sich nun wieder dem Rest des Querdenker:innenzuges an, der mittlerweile an der Yenidze vorbeizog. Der mehrere hundert Menschen fassende Demonstrationszug überrannte auch hier Polizeiketten und versuchte auf der Magdeburger Straße in Richtung des in der Messe aufgebauten Impfzentrum zu kommen. Dieses wurde daraufhin den restlichen Tag über durch Wasserwerfer und Räumfahrzeuge gesichert. Schluss war jedoch für einen Großteil der Demonstrierenden schon kurz hinter der Arena der Dresdner Eislöwen, wo die Polizei schließlich mehrere hundert Menschen kesselte. Die darauf folgenden Personalienkontrollen dauerten bis zum frühen Abend. 

Unterdessen sammelte sich ein weiterer Zug der Querdenker gegenüber des Landtagsgebäudes und zog von dort aus nahezu unbehelligt in Richtung Innenstadt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei bereits die Kontrolle verloren und konnte nur noch vereinzelt Straßen absperren – den Zug aufhalten konnte sie allerdings nicht. Am Altmarkt setzten Beamt:innen Schlagstöcke ein, um die Menge zurück zu drängen. In der Folge kam es zu mehreren Angriffen auf Polizist:innen. Ein Video dokumentiert, wie ein Beamter einer Polizeieinheit aus Nordrhein-Westfalen gezielt zu Fall gebracht wird. Mehrere Personen treten daraufhin im Vorbeilaufen den Polizisten. Neben der an mehreren Stellen zu beobachtbaren Gewaltbereitschaft zeigte sich erneut die offene antisemitische und menschenverachtende Einstellung von Teilen der Proteste. So waren auch an diesem Tag zahlreiche Menschen mit gelben Davidstern zu sehen, auf dem ungeimpft stand. 

Auf der Waisenhausstraße setzten sich dann Mitglieder der Identitären Bewegung (IB) mit einem Transparent an die Spitze eines dritten Demonstrationszuges. Erst nach mehreren hundert Metern wurde der Zug auf der Reitbahnstraße durch die Polizei gestoppt und Teile der Teilnehmer:innen auf der Prager Straße eingekesselt. Für die Identitären dürfte der Tag ein großer Erfolg gewesen sein. Schon lange konnte sich die im Untergang befindende Gruppe nicht mehr so prominent präsentieren. Ob dies jedoch den wachsenden Bedeutungsverlust der Faschist:innen um den Bautzner IB-Kader Maximilian Thorn aufhalten wird, ist eher zu bezweifeln.

Während die Kundgebung am 4. November 2020 lediglich als Startsignal für breit angelegte Proteste auch im Freistaat diente, dürfte spätestens seit den Ereignissen vom zurückliegenden Wochenende bei vielen der Querdenker:innen das im Vorfeld prophezeite Gefühl eines neuen ’89 dominant geworden sein. Auf einschlägigen Telegram-Kanälen feierten sie im Anschluss die Spontandemonstrationen und die Selbstermächtigung, sich die Straße ungeachtet des Verbots genommen zu haben. Wie stark das Selbstbewusstsein der Gruppierung ist, wurde im Anschluss auch daran deutlich, dass der Chef des Dresdner Ablegers, Marcus Fuchs, gegenüber Tag24 erklärte, dass der Tag einen friedlichen Verlauf genommen hätte, wären die angedachten Kundgebungen nicht verboten worden. Inzwischen diskutiert die Szene nun auch öffentlich, in Zukunft nur noch spontan und ohne Anführer:innenaufzulaufen. 

Die Geschehnisse vom Samstag sind ein eindrückliches Zeichen der Radikalisierung weiter Teile der Querdenken-Unterstützter:innen. Im vermeintlichen Kampf gegen ein diktatorisches System und so genannte Eliten in Politik und Medien, ist die Akzeptanz für Gewalt gegen Menschen enorm gestiegen. Während zu Beginn Menschenleben vor allem durch bewusstes Leugnen einer Gefahr durch COVID-19 riskiert wurden, zeigen die Vorfälle in Sachsen seit den November-Protesten von Leipzig eine zunehmende Radikalisierung bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Das Video eines Mannes, der am Rande der Demonstrationen ankündigte, beim nächsten Mal seine Waffe mitzunehmen, um jemanden „umzuschießen“, sollte als ernsthafte Warnung aufgenommen werden. Die vorläufige Bilanz von Samstag sind 12 verletzte Polizist:innen, 47 Straftaten sowie 943 eingeleitete Ordnungswidrigkeitsverfahren. Darüber hinaus kam es zu Übergriffen auf Journalist:innen.

Im Unterschied zu vielen Meldungen in den sozialen Netzwerken, war für die Beobachter:innen von addn.me an dem Tag keine größere Beteiligung von organisierten Nazis und Hooligans zu erkennen. Hatte dieses Klientel im vergangen Jahr zu den Protesten in Leipzig und Dresden noch offensiv mobilisiert, dürften sie am Samstag eher die Geschehnisse beobachtet haben. Dennoch könnte die sichtbar gewordene Gewaltbereitschaft für ein organisiertes rechtes Spektrum Anlass sein, bei kommenden Veranstaltungen wieder präsenter aufzutreten. Die Tatsache, dass die Kundgebung der Heidenauer Wellenlänge als einziger legaler Anlaufpunkt funktionierte, hatte nicht nur maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf der Proteste, sondern dürfte von der rechten Seite dennoch als großer Erfolg verbucht werden. Euphorisch war dann auch das Echo in den Sozialen Netzwerken, wo neben der neu gegründeten rechten Partei „Freies Sachsen“ auch die AfD die Proteste feierte. Die Partei hatte mit Autokorsos aus verschiedenen sächsischen Städten zu den Protesten mobilisiert. 

Verschiedene Seiten übten im Nachgang Kritik am Einsatz der Polizei. Trotz der offensichtlichen Gewalt, die von den Protestierenden ausging, sprach Polizeisprecher Thomas Geithner im Nachgang gegenüber der Presse von einem „friedlichen Einsatz“. Anders als noch zehn Jahre zuvor, als linke Proteste im Februar bundesweit für Schlagzeilen sorgten, sei das Problem an dem Tag eher die „Dynamik“ gewesen. Politiker:innen verschiedenster Parteien kündigten bereits an, eine parlamentarische Aufarbeitung der Geschehnisse von Samstag anzustreben. Darüber hinaus wurde wie schon im November die Forderung nach personellen Konsequenzen laut. Insbesondere Innenminister Roland Wöller (CDU) steht dabei im Mittelpunkt der Kritik; immerhin eine Parallele zu den Protesten im Februar 2011, als Sachsens damaliger Innenminister Markus Ulbig (CDU) (letztlich unbeschadet) von einem Skandal zum nächsten stolpern durfte. Kritik fand auch der Umstand, dass trotz mangelnder Polizeikräfte eine Gruppe Antifaschist:innen auf der Prager Straße durch Beamt:innen eingekesselt wurde. Den Teilnehmer:innen wurde vorgeworfen, an einer nicht angemeldeten Versammlung teilgenommen zu haben.

Im Gegensatz zur angekündigten Großdemonstration im Dezember 2020 wurde jedoch von allen Seiten die Mobilsierungsfähigkeit der Querdenker:innen unterschätzt. Warnten im Dezember noch zahlreiche zivilgesellschaftliche sowie Antifagruppen vor den Protesten und insbesondere vor drohenden Ausschreitungen durch Hooligans und organisierte Nazis, fehlte für den 13. März eine Einschätzung der Mobilisierung gänzlich. Das zeigt einmal mehr, dass die Organisierung der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen bisher schwer zu greifen sind und wenn eine offensive Anreise von organisierten Nazis ausbleibt, auch auf linker Seite eine wichtige Grundlage für die Einschätzung fehlt. Fest steht, dass der Tag trotz knapp 900 eingeleiteter Ordnungswidrigkeitsverfahren und 12 vorübergehenden Festnahmen, sowohl für die Proteste der Coronaleugner:innen, als auch die extreme Rechte ein Signal der Selbstermächtigung gesendet hat, welches dazu führen wird, dass sich Teile des bürgerlichen Protestlagers in Zukunft weiter radikalisieren. Wohin das führen kann, haben nicht zuletzt die 2014 begonnenen rassistischen PEGIDA-Proteste in Dresden gezeigt.

Foto: Matthias Schwarz


Veröffentlicht am 15. März 2021 um 20:21 Uhr von Redaktion in Nazis

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