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Sachsen – ein Sommertrauma

25. August 2011 - 10:59 Uhr - 4 Ergänzungen

Hello! My name is "Sächsische Demokratie" (Quelle: flickr.com/photos/haskala/6033259273)

Was sich in den vergangenen Monaten in Sachsen und im Besonderen in Dresden abspielte, wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Verhältnissen in Weißrussland verglichen. Bespitzelungen, massenhafte Überwachung von Mobilfunkteilnehmern und Ermittlungen gegen einige NazigegnerInnen mithilfe des umstrittenen Ermittlungsparagraphen 129 Strafgesetzbuch. Als der Freistaat vor knapp drei Wochen seine Kompetenzen auf das Nachbarland Thüringen ausweitete, erreichten die Ermittlungen ihren vorläufigen Höhepunkt. Dazu wollen wir einen Blick zurück in die letzten Wochen der „sächsischen Demokratie“ werfen.

Nachdem die Wohn- und Arbeitsräume des Jenaer Theologen Lothar König am 10. August durch sächsische Beamte durchsucht worden waren, hatten zahlreiche politisch Verantwortliche und Geistliche dieses Vorgehen zum Teil scharf verurteilt. König selbst verwies in einem Grußwort auf die Hintergründe des § 129 als reinen Ermittlungsparagraphen, der es den Ermittlungsbehörden ermöglicht, „alle technisch möglichen Maßnahmen gegen verdächtige Personen durchzuführen“. Dazu gehört das Abhören von Telefonaten ebenso wie das Observieren von vermeintlich Tatverdächtigen. Tatsächlich wurde gegen König seit mindestens 7. Februar als Mitglied einer „kriminellen Vereinigung“ ermittelt. Das wurde während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Sächsischen Landtags am 23. August bekannt. Danach sei das Verfahren gegen König wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zwar inzwischen vorläufig eingestellt worden, der Grund liegt nach Angaben des Grünen Politikers Johannes Lichdi jedoch vor allem darin, dass bei einer Verurteilung wegen „aufwieglerischen Landfriedensbruchs“ mit einer schärferen Bestrafung zu rechnen sei.

Während der Sitzung hatte sich der Obmann der CDU-Fraktion hinter die Aussagen seines Parteikollegen Steffen Flath gestellt. Dieser hatte am Samstag in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung Kritikerinnen und Kritikern an den Ermittlungsmethoden der Sächsischen Polizei vorgeworfen, damit „Gewaltausbrüche gegenüber Vertretern des staatlichen Gewaltmonopols“ zu unterstützen, gleichzeitig aber auch Defizite bei der Erklärung von juristischen Abläufen und Handlungen eingeräumt. Auch der CDU Landtagsabgeordnete Marko Schiemann betonte nach der Sitzung, dass es seiner Ansicht nach keine Gründe für „Zweifel an der Verhältnismäßigkeit oder gar Rechtmäßigkeit der Ermittlungsarbeit“ gebe.

In seinem offenen Brief an Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich hatte der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) zuvor das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft heftig kritisiert und von einem „erheblichen Vertrauensverlust“ bei den Menschen gesprochen, die sich den Nazis am 19. Februar „mutig und friedlich“ in den Weg gestellt haben. Darüber hinaus zeigte er sich verwundert, dass weder das Thüringer Innen- noch das Justizministerium im Vorfeld von der Razzia in Kenntnis gesetzt worden waren. Sein Brief an den Sächsischen Ministerpräsidenten endete mit einer Einladung zu einem Gespräch nach Jena.

Die Reaktion auf das Schreiben ist bezeichnend für den Umgang der politisch Verantwortlichen in Sachsen mit dem Thema. So antwortete nicht etwa Tillich auf den Brief, sondern Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. In seinem Schreiben an den Jenaer Oberbürgermeister verwies Fleischmann einmal mehr auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen bei der Bekämpfung „jede[r] Form von Extremismus“. Er verteidigte die Funkzellenabfrage zehntausender Bürgerinnen und Bürger und erneuerte den Vorwurf des Dresdner Staatsanwalts Jan Hille, der gegenüber der taz die mediale und politische Kritik an den sächsischen Ermittlungsmethoden mit Vorwürfen aus der „rechtsextremen Ecke oder von Querulanten“ verglichen hatte. Obwohl das Innenministerium in Erfurt gegenüber dem MDR erklärte, nicht über die Razzia informiert gewesen zu sein, hatten die Thüringer Behörden nach Angaben Fleischmanns „sowohl auf polizeilicher als auch auf staatsanwaltschaftlicher Ebene“ Kenntnisse von der bevorstehenden Razzia in der Wohnung des Jenaer Jugendpfarrers.

Als vor fast genau einem Jahr in Dresden das alternative Wohnprojekt „Praxis“ auf der Columbusstraße Ziel eines rechten Brandanschlags geworden war und es dabei nur einem Zufall zu verdanken gewesen ist, dass niemand verletzt oder sogar getötet wurde, konnte niemand ahnen, dass das Haus ein halbes Jahr später erneut zum Ziel rechter Attacken werden sollte. Am 19. Februar randalierten fast 200 Nazis unter den Augen der untätigen Polizei vor dem Haus, warfen mit Steinen, Flaschen und Zaunslatten zahlreiche Fensterscheiben ein und beschädigten zwei vor dem Haus geparkte Fahrzeuge. Das bis heute nicht einer der zumindest zum Teil namentlich bekannten Täter verhaftet worden ist zeigt, dass das eigentliche Ziel der Sächsischen Ermittlungsbehörden die notwendige Verhinderung antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Widerstandes gegen Naziaufmärsche wie denen am 19. Februar ist.

Ein Beispiel für diesen konsequenten sächsischen Weg der Gleichsetzung von faschistischer Ideologie mit linker Gesellschaftskritik war das vergangene Woche, als mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten eine Entscheidung des Bautzner Oberverwaltungsgerichtes durchsetzten und in der Leipziger Innenstadt defacto den Ausnahmezustand verhängten. Mit der Entscheidung jeglichen politischen Protest aus polizeitaktischen Gründen zu unterbinden wird deutlich, welchen Weg Sachsen in Zukunft einschlagen wird. Wenige Stunden vor einer geplanten Kundgebung der NPD am Leipziger Hauptbahnhof hatte das Oberverwaltungsgericht nicht nur die Kundgebung, sondern auch jeden Protest dagegen verboten. Im Vorfeld hatte Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski in seiner „Gefahrenprognose“ für die Stadt eine „erhebliche Gefahr für die Ordnung und Sicherheit“ gesehen und aus diesem Grund den „polizeilichen Notstand“ ausgerufen. Letztendlich kamen jedoch nicht einmal 200 Nazis nach Leipzig, welche nach dem nicht mehr anfechtbaren Demonstrationsverbot in Leipzig nach Roda bei Grimma auswichen und auf dem Gelände des NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold ein Konzert durchführten. Da mutet es nur konsequent an wenn, ganz im Sinne der Trennungsprinzips, der oberste Dienstherr der sächsischen Polizei Bernd Merbitz vorhat, bei den kommenden Bürgermeisterwahlen in Leipzig als Spitzenkandidat der CDU zu kandidieren.


Veröffentlicht am 25. August 2011 um 10:59 Uhr von Redaktion in Antifa, Freiräume

Ergänzungen

  • Nato-Kriegsverbrechen – und die Position der antifa Sachsen?

    http://www.arbeiterfotografie.com/nordafrika/index-nordafrika-0026.html

    In den Friedenspolitischen Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein ist am 2.2.2008 zu lesen: „Täglich starten auf der US-Air Base Ramstein riesige Transportmaschinen, vollgepackt mit Soldaten, Waffen und Munition – auch für das andauernde Morden im Irak – und die Regierungen in Berlin und Mainz schauen tatenlos zu. Auch der Bundestag und der rheinland-pfälzische Landtag ergreifen keine Initiativen, um die von Lügnern und Betrügern in den Irak entsandten Mörder zu stoppen. Was nützen pflichtgemäße Reden an Gedenktagen, die Verbrechen aus unserer Vergangenheit beklagen, wenn neue Verbrechen, die auch von unserem Territorium ausgehen, unwidersprochen fortgesetzt werden dürfen, obwohl unsere Verfassung und das Völkerrecht das verbieten. Alle Regierenden, die einen Amtseid auf unser Grundgesetz geleistet haben, und alle Abgeordneten, die zu kontrollieren haben, dass Regierungen nach Recht und Gesetz handeln, sind mitschuldig an den Verbrechen, die täglich im Irak begangen werden.“ [25]

    Das galt und gilt für den Krieg gegen den Irak. Für den Krieg gegen Libyen gilt es genau so. Hinzu kommt ein entscheidender Punkt, nämlich der, daß die Bundeswehr entgegen ihrer offiziellen Bekundungen am Krieg beteiligt ist, und zwar an der Auswahl der Bombenziele. [26]

    Thierry Meyssan klagt am 19.8.2011 die Medien an, mit der Verbreitung von Kriegspropaganda Verbrechen gegen den Frieden zu begehen. Die Journalisten sind nach seiner Auffassung „noch schuldiger als die Militärs geworden, die (in Libyen) Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschheit begangen haben, weil keines dieser Verbrechen möglich gewesen wäre, wenn die Journalisten nicht vorher das Verbrechen gegen den Frieden begangen hätten.“ [27]

    Elias Davidsson ergänzt am 26.08.2011: „Die Schlagzeilen der Massenmedien waren in den vergangenen Monaten von einer schreienden Unterlassung gekennzeichnet. Sie berichteten über die sogenannten Siege der libyschen Rebellen und verschwiegen die entscheidende Rolle der NATO bei der Zerstörung eines Mitgliedstaats der Vereinten Nationen. Ohne die 20.000 Lufteinsätze der NATO wäre Libyen weiter ein souveräner Staat. Und: Die Medien berichteten ebensowenig über das, was hinter den NATO-Angriffen auf Libyen steckte – über die Interessen der ehemaligen Kolonialmächte an der Zerstörung dieses unabhängigen Staates. Chefredakteure wählten sorgfältig Bilder und Schlagzeilen aus. Ihnen war selbstverständlich die entscheidende Rolle der NATO in diesem Angriffskrieg klar. Aber diese Erkenntnisse enthielten sie der Öffentlichkeit absichtlich vor. Die Anstifter und Finanzierer dieses terroristischen Krieges sollen weiter im Schatten bleiben. Und ihre Interessen ebenfalls… Wir müssen die Verbrecher und Lügner beim Namen nennen und ihnen ihre Waffen wegnehmen.“ [28]

    Dabei mitzuwirken, ist eine entscheidende Aufgabe der Friedensbewegung und aller Menschen, die sich noch auf irgendeine Weise humanistischem Denken verpflichtet fühlen. Alles andere wäre verheerend und eine regelrechte Einladung zu weiteren Verbrechen. Es mag anzuerkennen sein, Krieg generell zu verurteilen, aber mit der Übernahme von Kriegspropaganda wird dem Krieg objektiv Munition geliefert und es gelingt, die Friedensbewegung zu paralysieren

    [25] Die US-Invasion und die Besetzung haben im Irak eine Million Menschen getötet
    Publikation der Friedenspolitischen Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein vom 02.02.08
    http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_08/LP01408_020208.pdf

    [26] BRD führt heimlich Krieg
    Artikel von Jörn Boewe auf der Titelseite der Tageszeitung ‚junge Welt‘ vom 20.08.2011
    Deutschland ist, anders als es die Bundesregierung bislang dargestellt hat, doch direkt militärisch an den NATO-Angriffen auf Libyen beteiligt. Die Bundesrepublik besetze »derzeit elf Dienstposten mit Soldatinnen und Soldaten aus dem Bereich der Luftwaffe«, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne). »Sie nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben, u.a. auch – ohne derzeit allerdings Führungs- oder Entscheidungsfunktionen zu besetzen – Tätigkeiten im Bereich der sogenannten Zielauswahl, wahr.«
    http://www.jungewelt.de/2011/08-20/062.php

    [27] Libyen und das Ende der westlichen Tricksereien
    Publikation der Friedenspolitischen Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein vom 28.08.11
    Der investigative französische Journalist Thierry Meyssan klagt die USA und die NATOan, den Überfall auf Libyen mit Propagandalügen begründet zu haben, und fordert die Bestrafung der westlichen Journalisten, Politiker und Militärs, die für die Verbrechen gegen den Frieden, die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind, die in diesem Krieg begangen wurden.
    http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_11/LP14211_280811.pdf

    [28] Lehren aus den NATO-Angriffen in Libyen ziehen! Aufruf zum Kampf gegen den wahren Terror
    Elias Davidsson in der Neuen Rheinischen Zeitung am 26.08.2011
    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16874.

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