Nazis

30. bis 34. Verhandlungstag im Prozess gegen die „Gruppe Freital“

14. September 2017 - 05:35 Uhr

Dokumentation des Prozessberichtes der Opferberatung des RAA Sachsen

Als erstes wird der LKA-Beamte S. vernommen, der bereits am 10. Verhandlungstag ausgesagt hatte. Er wird nochmal zum Zustand des Küchenfensters nach dem Anschlag in der Bahnhofstraße befragt. S. erklärt, es habe sich um ein „modernes Thermofenster“ gehandelt. Als er eintraf, habe das Fenster offen gestanden, der Fenstergriff sei abgesprengt gewesen und habe ein Stück entfernt gelegen. Der Beamte meint aber, dass das Fenster oben und unten in den Angeln gehangen habe. Deswegen geht er davon aus, dass es vor der Explosion komplett geschlossen war. Er habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass jemand versucht habe vor Ort aufzuräumen, denn das hätte seiner Erfahrung nach Spuren verursachen müssen. Das jemand das Fenster wieder eingehangen habe, halte er für schwer möglich.

Für die Fotodokumentation des Tatorts habe er das Fenster später selbst geschlossen, allerdings habe er es nicht vollständig schließen können, da der Fensterrahmen durch die Explosion verzogen gewesen sei. Dabei hätten die Scharniere wie gewohnt funktioniert. Wäre der Sprengkörper zwischen Rahmen und einem angekippten Fenster platziert worden, würde der USBV-Experte auch eine größere Explosionswirkung nach außen hin erwarten, als er letztlich festgestellt hat.

Im Anschluss setzt das Gericht die Vernehmung von KHK M. fort, dessen Vernehmung am Ende des 20. Verhandlungstag unterbrochen wurde und der mit zahlreichen Aspekten der Ermittlungen betraut war.

So habe er im Auftrag des BKA die Fenster der angegriffenen Wohnung in der Bahnhofstraße ausgemessen, außerdem habe er den Typ festgestellt. Dies war nötig für die Vorbereitung der Sprengversuche, darüber hinaus sei er dort aber nicht involviert gewesen.

Der nächste Komplex ist die Auswertung des Smartphones des Angeklagten Timo S., die der LKA-Ermittler in drei Berichte unterteilt habe. Im Hauptbericht habe er alle sichtbaren Dateien ausgewertet, darunter mehrere hundert Kurzmitteilungen, gespeicherte Verbindungs- und Kontaktdaten, sowie Videodateien. Unter letztgenannten fanden sich Aufnahmen, die den Angeklagten Philipp W. zeigen, wie er einen Sprengkörper in einer Unterführung zündet. Der Ermittler vermutet, dass das Telefon erst im Juli in Betrieb genommen worden sei. Erste Telefonnummern in den Kontaktlisten sind die der ebenfalls Angeklagten Patrick F. und Philipp W., weiterhin finden sich zahlreiche Einträge mit den Kürzel „FTL“ und „DD“. Der Beamte erinnert sich, dass er zum Zeitpunkt der Auswertung drei Kontakte zu ihm damals bekannten Mitgliedern der Freien Kameradschaft Dresden gefunden habe, darunter Jeanette P.

Für die Chatprotokolle habe er einen zusätzlichen Auswertebericht verfasst, da es sich hier um insgesamt über 14.000 Nachrichten gehandelt habe. Als tatrelevant habe er jedoch nur wenige eingeschätzt, darunter einen Gruppenchat im Vorfeld des Geburtstags des FKD-Mitglieds Robert S., darin sei es möglicherweise nicht nur um die Partyvorbereitung gegangen. So wird Timo S. im Gespräch gefragt, ob er Personen „zur Unterstützung“ mitbringen könne, er antwortet, dass er „über fünf Personen verfüge“.

In einem weiteren Bericht habe KHK M. die Ergebnisse aus den KakaoTalk-Protokollen zusammengefasst. Die meisten Kontakte habe es hier mit Mirjam K. gegeben. In einer Nachricht von Patrick F. habe es geheißen, er habe einen Plan in Bezug auf eine weitere mögliche Zielperson, er benötige lediglich eine Rolle schwarzes Panzerband. In einer anderen Nachricht habe Philipp W. geschrieben: „Schöner V12. Gruß an Timo.“, dazu sei ein Video bereitgestellt worden, das die Explosion eines Sprengkörpers zeige. In dem Fall sei beides im Gruppenchat gepostet worden. Dessen Charakter beschreibt der Beamte als „normalen Chat“, bei dem alles dabei gewesen sei, längere Gespräche, Gespräche über Privates, zum Teil sehr detailliert. Der Vorsitzende Richter hält dem Beamten eine Passage vor, in der jemand bekundet, er habe „Hakenkreuze in den Augen“ angesichts „antideutscher Hetze“. Jedoch kann sich der Ermittler daran nicht erinnern. Gefragt nach aggressiven oder gewaltaffinen Äußerungen, verweist M. auf die Drohungen gegen Felix W. Er erinnert sich auch an eine Formulierung, in der jemand schrieb, der Bürgermeister der Stadt Meißen gehöre aufgeknüpft. Nicht ganz sicher sagen könne er jedoch, ob diese Äußerung tatsächlich bei der Auswertung des Mobiltelefons von Timo S. aufgetaucht sei.

Da die Chatprotokolle im Selbstleseverfahren in den Prozess eingeführt werden sollen, bleibt es bei einer überschaubaren Anzahl an Nachfragen. Das nächste Thema ist die Beschuldigtenvernehmung des Angeklagten Mike S., die im Zuge einer Haftprüfung im Juli 2016 und im Beisein der Bundesanwaltschaft und des Verteidigers stattgefunden habe. Mike S. sei nach seinen persönlichen Lebensweg gefragt worden und er habe beschrieben, dass er in Berlin aufgewachsen sei und nach der Bundeswehr nach Sachsen gezogen sei. Das sei damals acht oder neun Jahre her gewesen.

KHK M. schildert, dass es in der Befragung zunächst darum gegangen sei, herauszufinden, ob Mike S. die Wahrheit sage. Fragen habe er aber eher „lavierend“ beantwortet. So habe er sich selbst in Bezug auf Asylbewerber als „neutral“ bezeichnet, woraufhin die Beamten ihm einen Chatausschnitt vorgehalten hätten, in dem er geschrieben habe, er wolle „Kanaken aufknüpfen“. Mike S. habe dann aber nur gesagt, dass er davon nichts wisse. Der Eindruck bei KHK M. war, dass er nicht mit der Wahrheit herausrückt. Das habe sich im weiteren Gespräch fortgesetzt, in dem sich Mike S. als „generell gewaltfrei“ beschrieben habe. Chataussagen, in denen Mike S. empfohlen hat, einer Person die „Zähne einzuschlagen“ hätten das klar konterkariert und den Eindruck verfestigt, der damals Beschuldigte wolle sich als „Unschuld vom Lande“ darstellen.

Auch zu einem Übergriff auf einen PKW, der mit linken Demoteilnehmenden besetzt gewesen sei, habe Mike S. kaum etwas gesagt, obwohl an dem Fahrzeug seine Fingerabdrücke sichergestellt werden konnten. Dass er den Schlüssel für den ehemaligen Real-Markt übergeben bekommen und kurz darauf dort eine Brandstiftungsserie begonnen habe, habe er mit dem Hinweis kommentiert, dass er „alte Schlösser sammle“, berichtet der Kriminalhauptkommissar. Die Vernehmung sei entsprechend „sehr zäh“ verlaufen und, als auch auf Fragen zum Anschlag Bahnhofstraße „nichts substanzielles“ gekommen sei, mit Zustimmung des Staatsanwalts Neuhaus abgebrochen worden.

Anders die Vernehmung von Patrick F., die in der Abschrift 306 Seiten umfasse. Dort sei er mit den Kollegen chronologisch alle Straftaten durchgegangen und Patrick F. habe dazu Stellung genommen. Große Teile des Berichts des LKA-Beamten decken sich mit dem, was Patrick F. bereits in seiner Einlassung vor Gericht erzählt hat. Die Befragung habe neue Erkenntnisse geliefert, etwa zum Anschlag Bahnhofstraße, den Patrick F. trotz vieler belastender Indizien in der Vernehmung nicht eingeräumt habe. Weitere Ermittlungsansätze hätten sich aus seinen Schilderungen zum Zünden einer Kugelbombe vor der Asylunterkunft in der Bahnhofstraße ergeben, außerdem zu den insgesamt wohl vier Brandstiftungen im ehemaligen Real-Markt und zum Anschlag auf das Linken-Parteibüro.

Einen Hinweis auf eine Kronzeugenregelung habe es bei Patrick F. nicht gegeben, erläutert der Beamte, sondern nur bei Timo S., dem ein entsprechendes Formblatt vorgelegt worden sei. Timo S. habe die erste Aussage geliefert, die uns tatsächlich weitergebracht hat, sagt der Kriminalbeamte. Nach einer Frage des Verteidigers von Timo S., muss er einräumen, dass die damalige Vernehmung vorzeitig beendet werden musste, weil, und der Zeuge betont, das sei sehr peinlich, die Generalstaatsanwaltschaft keine weiteren Tonbänder für den Mitschnitt zur Verfügung gehabt habe. Eine schriftliche Einlassung von Timo S. sei ihm jedoch nicht bekannt, ergänzt er auf Nachfrage, er kenne nur die von Mike S. und Justin S.

Anschließend fragen die Nebenklagevertreter_innen detailliert zur Aussage nach. In Bezug auf den Angriff auf die Overbeckstraße bestätigt der Vernehmungsbeamte, dass Patrick F. gesagt habe, er sei zum Zeitpunkt des Angriffs davon ausgegangen, dass das Haus bewohnt gewesen war. Das sei ihm auch vorher beim Ausspähen des Objekts anhand beleuchteter Fenster und sichtbarer Personen aufgefallen. Er habe auch gesagt, dass das allen Beteiligten während der Tatplanung unter der Brücke klar gewesen sei. Zum Plan habe Patrick F. gesagt, dass sie die Scheiben einschlagen wollten, um anschließend die mit Buttersäure verbundenen Sprengkörper hineinzuwerfen. Aus einem Vorhalt geht hervor, dass Patrick F. ausgesagt habe, dass er beim Angriff Personen im Hausflur erkannt und gerufen habe: „Wir machen das. Schmeißt das Zeug bloß vor.“, was der Beamte bestätigt: er habe das als „Fluchtinstinkt“ interpretiert. In dem Moment, so die vorgehaltene Aussage Patrick F.s weiter, seien Leute bereits direkt am Haus gewesen. Es seien die Personen gewesen, die die Scheiben einschlagen sollten. An diesen Passus, so der Zeuge, könne er sich aber nicht mehr erinnern. Die Buttersäure-Sprengkörper-Kombinationen hätten Timo S. und Mike S. geworfen, ergänzt er.

Patrick F. habe auch von einem Angriff im Zuge einer AfD-Demonstration in Pirna berichtet, erklärt der Kriminalbeamte. Dabei sei es wohl zu einer Körperverletzung gegen einen Asylbewerber gekommen und Patrick F. habe bejaht, er wisse, wer auf den Geschädigten eingetreten habe. Er habe die entsprechenden Angaben nicht preisgegeben.

In der Beschuldigtenvernehmung F.s wurde auch dessen Kontakt zu Polizisten thematisiert. Hierzu habe Patrick F. gesagt, er wolle keine Bekannten in das Verfahren hineinziehen. Er habe den Beamten um einen Gefallen gebeten, da sei es aber nur um Informationen zu einer Verkehrskontrolle bezogen auf seinen Chef gegangen. Aus dem Verfahren gegen Faust des Ostens (FdO), wisse KHK M., dass Patrick F. rege Kontakte zu FdO gehabt habe und auch zu einem Polizisten. Patrick F. habe sich bei dem Thema gesperrt, er habe nur gesagt, dass er diesen Polizisten einmal an der Aral-Tankstelle getroffen habe. Mehr Angaben habe er nicht gemacht. Dem Ansinnen F.s den Tonbandmitschnitt abzuschalten, habe der Beamte nicht zugestimmt: „Das wäre ja noch fataler.“ Ansonsten wisse M. nur noch, dass sich ein weiterer Polizist freiwillig gestellt habe, der unmittelbaren Kontakt zu Patrick F. gehabt haben soll.

Gegen 15:50 Uhr wird die Befragung bis Freitag unterbrochen. Das Gericht kündigt außerdem an, dass es zur kommenden Sitzung Fragen der Nebenklage an Patrick F. aufgreifen möchte.

Das Gericht setzt die Befragung des Kriminalhauptkommissars M. fort. Zuerst berichtet er heute von der Beschuldigtenvernehmung des Angeklagten Philipp W. im Januar 2016. Die Vernehmung im Beisein seines Anwalts sei zunächst mitgeschrieben worden, später sei man auf einen Tonbandmitschnitt „umgeschwenkt“.

Philipp W. habe knappe Angaben zum Anschlag Wilsdruffer Straße gemacht. Man sei zuerst nach Tschechien gefahren, habe sich dann an der Aral-Tankstelle und später in Kleinnaudorf getroffen, um das Vorgehen zu planen. Dabei hätten alle „durcheinander geplappert“. Der Beschuldigte habe angegeben, „sie“ seien dann nochmal um das Objekt herumgelaufen und hätten später den Angriff mit den Sprengkörpern durchgeführt. Wer ihm diese gegeben habe, wisse er nicht mehr. Die Schilderung bezeichnet der Ermittler als „vage“ und „zurückhaltend“. Insbesondere Namen habe Philipp W. kaum genannt, er erinnere sich lediglich an Patrick F., Mike S., Rico K. und Sebastian S. – ansonsten habe er sich darauf berufen „stark alkoholisiert“ gewesen zu sein.

Zur Tatausführung habe Philipp W. angegeben, dass er das rechte Fenster angegriffen hätte. Dort habe er beim Ablegen oder Ankleben des Sprengkörpers kurz eine Person gesehen, die zum Flur hinaus gegangen sei. Die anderen hätten in dem Moment bereits ihre Sprengkörper gezündet, er habe das mit leichter Verspätung getan und sei dann mit den anderen weggerannt. W. habe dabei die Explosionen gehört und sei dann wie verabredet in das bereitstehende Auto gestiegen. Wer hier Fahrer war, wisse er nicht mehr. In Gompitz bei McDonalds sei er zu Timo S. umgestiegen. Mit dem sei er nochmal am Tatort vorbeigefahren.

Die Beteiligung am Angriff auf das Linken-Parteibüro habe Philipp W. bestritten, von weiteren Taten will er keine Ahnung gehabt haben. Der Vernehmungsbeamte habe deswegen den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte mit der Wahrheit hinter dem Berg halte. Seine politische Einstellung habe Philipp W. als „asylkritisch“ beschrieben, obwohl ihm etwa die Gruppenfotos vom Windberg mit dem Hitlergruß vorgehalten worden: Diese seien nicht zum herumzeigen gewesen, habe er geantwortet. Philipp W. habe eingeräumt, dass er die Facebookseite Widerstand Freital eingerichtet habe, bei der Bürgerwehr FTL 360-Seite sei er Administrator oder Moderator gewesen. Die sei von Timo S. gegründet worden, später sei auch Mike S. als Administrator hinzugestoßen.

KHK M. war auch bei der Beschuldigtenvernehmung von Maria K. dabei. Die sei direkt nach der Wohnungsdurchsuchung am 5. November 2015 durchgeführt worden. Maria K. sei vorgeworfen worden, am Anschlag Wilsdruffer Straße beteiligt gewesen zu sein. Sie habe angegeben, dass sie zum Tatzeitpunkt bei einer „Homeparty“ zweier Freunde gewesen sei und dort ein bisschen was getrunken habe. Sie habe dann nur gehört, dass in der Wilsdruffer Straße „was in die Luft geflogen sei“ und sei deswegen dort vorbeigefahren. Später habe sie ergänzt, dass das „die Kakaotruppe plane“. Sie wolle aber nicht, dass in den Akten stehe „Maria sagt aus“. Das wäre nicht gut und das würde sie nicht machen.

Zum Angriff auf das Wohnhaus in Übigau habe sie berichtet, dass sie dort Leute getroffen habe. Mehr wolle sie aber nicht sagen, da sie Angst habe und die Sache dann ausbaden müsse. KHK M. habe aber trotz Nachfrage keine konkreten Anknüpfungspunkte für diese Angst gesehen. Auf den Vorhalt mitgeschnittener Telefonate erklärt Maria K., „die Freitaler“ hätten den Angriff geplant, es sei ein »Racheplan« gewesen, sie selbst habe daran nicht teilgenommen. Zum Anschlag auf das Linke-Parteibüro habe sie keine Angaben gemacht, berichtet der Kriminalbeamte. Sie sei zwar immer in der Nähe gewesen, habe aber keine Angaben zu eigenen Tatbeiträgen gemacht.

In der Vernehmung sei ihm dann mitgeteilt worden, dass Maria K. auf Anweisung Oberstaatsanwalt Wiegners vorläufig festgenommen werden soll. Das habe er der Beschuldigten mitgeteilt und sie entsprechend belehrt. Maria K. habe darauf sehr emotional reagiert, was KHK M. in einem Vermerk dokumentiert habe. Sie sei dann nochmal nach der Wilsdruffer Straße gefragt worden, sie habe aber auf Felix W. verwiesen und gesagt, Timo S. sei in der Lage „ganze Horden von geistig Minderbemittelten zu mobilisieren“. Deshalb sehe sie sich in Gefahr.

Eingeräumt habe Maria K. die Herstellung der „To-Do-Liste“, die dann am Parteibüro der Linken angebracht worden sei. Die habe sie mit Patrick F. und Mirjam K. hergestellt. Das ganze sollte „ein Gag“ sein.

Sich selbst habe sie als „weder rechts noch links“ beschrieben. Sie habe darauf verwiesen, dass sie schon in die Türkei in den Urlaub geflogen und zeitweise mit einer Polin befreundet gewesen sei. Sie sei aber „unzufrieden“ mit „der Politik“. Die anderen in der Gruppe hingegen seien „rechts“ gewesen. Jedoch äußere sich Patrick F. nicht so scharf, wie etwa Timo S.

Die nächsten Fragekomplexe betreffen die Auswertung der Asservate, für die KHK M. verantwortlich war. Zunächst geht es um die sichergestellten Asservate aus der Durchsuchung der Wohnung von Patrick F., darunter eine Sporttasche mit Sprengkörpern, losem Schwarzpulver, Zündschnüre, schwarzen Latexhandschuhen und vier Metallrohren. Diese seien etwa 28 cm lang gewesen, im Durchmesser etwa 2 cm stark und an den Enden mit einem Gewinde versehen.

Der Kriminalbeamte habe auch die Asservate aus der Wohnung von Mike S. ausgewertet. Darunter befanden sich unter anderem Aufkleber mit rechten politischen Motiven, zu denen der Ermittler jedoch keine unmittelbare Tatrelevanz erkannt habe, da sie nicht an bekannten Tatorten verklebt worden seien. Die Aufkleber seien möglicherweise fotografiert worden. Außerdem hätten sich bei Mike S. Teleskopschlagstöcke gefunden, eine Gummischleuder mit dazugehörigen Stahlkugeln, eine Schreckschusswaffe mit Platzpatronen, ein Baseballschläger, eine Stichschutzweste, sowie sechs Packungen buttersäuregefüllte Glasampulle. Auch hier wurden die meisten Gegenstände nicht als verfahrensrelevant eingestuft, sie lagern jedoch noch im Asservatenraum. Ob der Baseballschläger Gebrauchsspuren aufgewiesen habe, könne der Ermittler nicht sagen. Seine Befragung wird an dieser Stelle unterbrochen und wird in der kommenden Woche fortgesetzt.

Das Gericht stellt dem Angeklagten Patrick F. nun wie angekündigt weitere Fragen. Franz R. von der Freien Kameradschaft Dresden (FKD) habe er im August 2015 kennengelernt, schon länger bekannt sei er mit Tom A. und Maik, den er als groß und dünn beschreibt, beide kenne er aus der Zeit von Faust des Ostens. Evtl. sei ihm daher auch Florian N. bekannt gewesen.

Das Objekt in der Overbeckstraße sei bereits Anfang Oktober ein potentielles Ziel gewesen, es sei ihnen bereits am zweiten Tag in Übigau gezeigt worden, so der Angeklagte. Richter Scheuring thematisiert nochmals den Baseballschläger. Er hält Patrick F. eine Aussage vor, in der es heißt, Maria K. habe den Baseballschläger mitgebracht und genommen habe ihn Maximilian R., F. antwortet, er habe den Namen „nochmal erörtert“ und denke auch, dass Maximilian R. mit ihnen hinter dem Haus gewesen sei. Ob er aber den Baseballschläger gehabt habe, könne er nicht sagen, weil das nicht in seinem Fokus gewesen sei. Er schließe es aber nicht aus.

Patrick F. verneint in einer FKD-Chatgruppe drin gewesen zu sein, vor Übigau habe er sich aber via Chat mit FKD-Leuten ausgetauscht. Worum es da ging, könne er aber nicht mehr sagen.

Zum Anschlag auf den PKW Richter erklärt Patrick F., dass die PET-Flasche nur zu zwei Drittel voll gewesen sei. Er habe Schwarzpulver und Kiesel nacheinander eingefüllt, an die Reihenfolge erinnere er sich aber nicht mehr. Den USB-Stick mit dem Material zum Bau von Rohrbomben habe er von Mike S. erhalten, der habe ihn von Sandro M. bekommen. Ob er den Stick verwendet habe, könne er nicht sagen: „Wenn, dann hat er es mir nicht gesagt“.

Patrick F. räumt ein, dass er die Behauptung in der polizeilichen Vernehmung erfunden habe, nach der die Wilsdruffer Straße angegriffen worden sei, weil dort ein Drogendealer wohnen würde. Auf die Nachfrage von Richter Magnussen, wie es nun um seine Behauptung in Bezug auf die Bahnhofstraße stehe, reagiert er ausweichend. Auf die Frage wie der Anschlag ausgewertet worden sei, antwortet Patrick F.: „Dreimal gescheppert, und, juhu, alle Fenster kaputt“. Mehr habe es nicht gegeben, da man sich nicht noch einmal getroffen habe.

Am 32. Verhandlungstag wird die unterbrochene Befragung von KHK M. wird fortgesetzt. Er berichtet heute als erstes zu einem bei Patrick F. sichergestellten USB-Stick. Der Stick sei von Sandro M. mit Anleitungsmaterial zum Bau von Rohrbomben und weiteren unkonventionellen Sprengsätzen bespielt worden und dann über den Mitangeklagten Mike S. an Patrick F. übergeben worden. Das USB-Gerät sei zweimal mit unterschiedlichen Vorgaben ausgewertet worden, einmal von ihm selbst, berichtet KHK M., das andere Mal von seinem Kollegen KOK F.

Ihm selbst sei es bei seiner Auswertung nur um Dateien gegangen, die zum Zeitpunkt der Beschlagnahme tatsächlich sichtbar gewesen seien, dementsprechend habe er wiederhergestellte Daten über das Auswerteprogramm herausgefiltert. Letztlich habe er dann drei Dateiordner mit 98 Dateien vorliegen gehabt, im Ordner „Anleitungen“ habe sich Material zum Bau verschiedener Bomben befunden. Nach technischen Gesichtspunkten habe M. die Dateien nicht ausgewertet, die Frage, an welchen Computern der Stick angeschlossen war, könne er nicht beantworten. Das sei eine Frage für die IT-Forensik.

KHK M. sagt auch, er sei davon ausgegangen, dass eine ausführliche Auswertung seines Kollegen vorliege. Es sei entschieden worden, die Auswertung der beschlagnahmten Asservate auf die Einsatzabschnitte des OAZ aufzuteilen. Grundlage für die Auswertung sei eine zweiseitige Schlagwortliste gewesen. Den Auswertebericht von F. habe er nur „fragmentarisch“ gelesen, intensiv überprüft habe er ihn aber nicht. Als ihm vorgehalten wird, dass sich auf dem Stick ein Bild mit Adolf Hitler-Porträt und dem Schriftzug „Je größer der Jude, desto wärmer die Bude“ befunden habe, dass aber in der Auswertung nicht auftauche, äußert M. Zweifel an der korrekten Auswertung: „Das hätte rein gemusst.“ Es sei Bestandteil des Auswerteauftrags gewesen. Er schränkt aber auch ein, dass ideologische Dokumente und Inhalte nur „zum Teil“ eine Rolle gespielt hätten. Außerdem habe es für die Auswertung ein Zeit- und Personalproblem gegeben.

Im nächsten Komplex befasst sich das Gericht mit der Rolle von Torsten L. Dazu erklärt der Ermittler, dass es den ersten Kontakt gegeben habe, als er und seine Kollegen im Nachgang zum Angriff auf die Overbeckstraße eine Aussage bekommen hätten, bei der sich später herausgestellt habe, dass sie von Torsten L. stamme. Diese Aussage sei insofern relevant gewesen, als dass sie eine »gewisse Grundlage für Ermittlungen« bereitet habe. Sie sei auch wegen der beigefügten Chatausdrucke ein »Türöffner« gewesen. Damals hätten sie nur erfahren, dass dem Zeugen Vertraulichkeit durch die Staatsanwaltschaft zugesichert worden sei. Seine Ermittlungsgruppe Deuben hätte aber darauf gedrängt, den Namen zu erfahren.

Den zweiten Kontakt habe es dann am 1. Juni 2016 gegeben, an dem KHK M. eine umfangreiche Beschuldigtenvernehmung mit Torsten L. geplant hatte. Zuvor habe es zwar im Fall „FKD“ eine Befragung von L. am 9. März 2016 gegeben, der damalige Vernehmungsbeamte habe aber „unsere Akte“ nicht mitnehmen wollen. Zum dann verabredeten Termin sei Torsten L. nicht an seiner Wohnadresse gewesen. Nach einem Telefonat hätten sie ihn dann an einer anderen Adresse aufgesucht, dort sei aber eine Baustelle gewesen, eine Vernehmung hätte dort keinen Sinn gemacht. Daher habe M. den Versuch abgebrochen. Nur wenige Tage zuvor habe die Staatsanwaltschaft die Zusicherung der Vertraulichkeit für den Zeugen zurückgezogen. M. vermutet, dass das an den Hinweisen lag, nach denen Torsten L. beim Angriff in der Overbeckstraße nicht nur unbeteiligter Zeuge, sondern Täter gewesen sei. Nach Aussage von Timo S. habe er dort Steine geworfen.

Torsten L. sei auch schon im Rahmen der Ermittlungen um den Angriff auf einen PKW von linken Flüchtlingsunterstützern aufgetaucht. Dass er als vertraulicher Zeuge behandelt worden sei, habe bei ihm „Stirnrunzeln“ ausgelöst, erklärt der Beamte. Zumal er Torsten L. bereits im Zuge eines Aufklärungsauftrags im Umfeld von Kundgebungen um das Hotel Leonardo in Freital gesehen habe. Sie hätten damals u.a. Torsten L.s Fahrzeug zum Bahnhof verfolgt. Dieser habe sich in „aggressiver Grundhaltung“ dorthin begeben, wohl in der Annahme, dass dort Linke eintreffen. Laut KHK M. sei dann aber nichts passiert.

Zum Stichwort „Kaiser“ erklärt M., dass es sich dabei um einen Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz handeln solle. Torsten L. habe bestätigt, dass dieser „Kaiser“ ihn mehrmals kontaktiert habe, aber ein Treffen sei wohl nicht zustande gekommen. Woher die Beamten vom Kontaktgesuch erfahren hätten, daran könne M. sich nicht mehr erinnern, die Information könne aus einer TKÜ oder einem Chat stammen. Laut eines Aktenvermerks habe Torsten L. im Rahmen einer Asservatenrückgabe erklärt, er Suche Kontakt zu BKA- bzw. OAZ-Beamten für eine Aussage. Er habe dort auch behauptet, dass er immer noch in einem KakaoTalk-Chat sei und es wöchentliche Treffen gäbe – dazu wolle er reinen Tisch machen. KHK M. ist dieser Vorgang jedoch nicht bekannt. Abschließend erklärt der Beamte, dass er die Vertraulichkeitserklärung für „völligen Schwachsinn“ halte. Eine Begründung sei ihm nie bekannt geworden, ein Kollege habe auf die „RiStBV“ verwiesen, aber er halte das für den falschen Weg. Das habe er den zuständigen Kollegen auch „mündlich, lautstark“ mitgeteilt. Aber als EG Deuben seien sie letztlich vor „vollendete Tatsachen“ gestellt worden.

Vor der offenen Fragerunde wird der Zeuge gebeten, den allgemeinen Gang der Ermittlungen darzustellen. KHK M. berichtet, dass er bis zum 21. September 2015 mit dem Oldschool-Society-Fall beschäftigt war, bis dahin habe sein Kollege R. allein zum Anschlag PKW Richter ermittelt. Am genannten Tag sei dann die EG Deuben gegründet worden, weil sich gezeigt habe, dass die Situation „schlimmer“ sei, als gedacht. R. habe die EG geleitet, M. sei sein Stellvertreter gewesen, hinzu gekommen seien noch zwei Kolleginnen. Bei der Staatsanwaltschaft sei Frau Kirchhof zuständig gewesen.

Die Straftaten seien als Einzelstraftaten verfolgt worden. Ab dem 21. September habe man erste Verbindungsdaten erhoben und erste Namen bekommen, darunter die von Axel G. und Timo S. Dann sei „wie aus dem nichts“ der Anschlag auf das Wohnhaus in der Overbeckstraße durchgeführt worden. Die TKÜ-Maßnahmen habe man bis zu dem Zeitpunkt nicht live mitgehört, KHK M. merkt dazu „selbstkritisch“ an: „Das hätte man besser gemacht.“ Allerdings habe es bis dahin an Indizien gefehlt, mit dem Angriff haben sich aber Hinweise auf eine Personengruppe „verdichtet“. Vor dem 1. November seien die ersten Anregungen für einen Haftbefehl herausgegangen, weiterhin liefen verdeckte Maßnahmen, TKÜ und Observationen. Diese Observationen habe seiner Erinnerung nach das MEK Staatsschutz übernommen. Am 5. November 2015 seien dann die Exekutivmaßnahmen ausgeführt und die Ermittlungsgruppe sei auf sechs bis sieben Leute aufgestockt worden. Im April 2016 hat dann „endlich“ die Bundesanwaltschaft das Verfahren übernommen und die Einzelverfahren zu einem Organisationsdelikt gemacht.

Der Generalstaatsanwaltschaft hätten sie regelmäßig Einschätzungen und Anregungen zum Verfahren zukommen lassen. Die Frage der Nebenklagevertreterin Pietrzyk, ob die Ermittler_innen dachten, dass die Voraussetzungen für Ermittlungen nach §129, Bildung einer kriminellen Vereinigung, nicht vorgelegen hätten, verneint KHK M.: Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Spätestens um den 18. Oktober herum seien sie von einem organisierten Täterzusammenhang ausgegangen. Daher hätten sie „öfters“ Strukturermittlungen angeregt, weil eine Struktur „klar erkennbar“ gewesen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft habe diese aber abgelehnt, eine Begründung sei ihnen dafür nicht mitgeteilt worden.

Auf Nachfrage von Nebenklagevertreter Nießing schätzt der Beamte ein, dass das Verfahren unter dem §129 in ihren Augen „einfacher“ geworden wäre. M. habe dabei gar nicht zuerst die Anwendung von strafprozessualen Mitteln im Blick, erklärt er, sondern es hätte schon die „sinnlose Aktenzeichenvergabe“ für die über 20 Straftaten eingeschränkt. Das habe sie „permanent bedrückt“ und sei mit großem Aufwand verbunden gewesen. Hier wäre die Zusammenfassung schlicht „praktikabel“ gewesen.

Dass der Generalbundesanwalt die Übernahme prüfe, habe M. im Zusammenhang mit der Übergabe des Verfahrens an die Generalstaatsanwaltschaft gehört. Bis der GBA übernommen habe, habe es auch keine Änderung des Ermittlungsauftrags gegeben. Gefragt, ob er von einem Prüfverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Dresden wisse, das klären solle, ob bei den Freital-Ermittlungen ein §129 in Betracht komme, antwortet M.: „Vor der Übernahme? Nee!“

Noch ein letztes Mal nimmt KHK M. am 33. Verhandlungstag vor Gericht Platz. Er beantwortet noch einige verbliebene Fragen zur Auswertung von Datenträgern. Der Ermittler beschreibt das Vorgehen, wonach sie zuerst den Blick auf „gängige Dateitypen“ gerichtet hätten, also Bild-, Audio-, Text- und Videodateien. Erst wenn dabei eine Verfahrensrelevanz festgestellt worden sei, sei eine erweiterte Aufbereitung erfolgt, die dann auch Systemdateien und ähnliches umfasste. Habe diese Verfahrensrelevanz gefehlt, sei der Datenträger nicht weiter beachtet worden. Thematisiert wird auch die Auswertung von Smartphones. M. bestätigt in einem Fall, dass sie überprüft hätten, mit welchem Rechner das Telefon synchronisiert worden sei, er erinnere sich aber nicht mehr an das Ergebnis. Die letzte Frage zielt auf einen Kontakt zwischen Axel G. und einem Polizisten. Dazu seien ebenfalls Ermittlungen angestellt worden, es habe sich hierbei aber um private Kontakte zu einem Schwager gehandelt. Mehr wisse M. nicht, da er nicht weiter in den Vorgang involviert gewesen sei.

Nach 20 Minuten wird der Zeuge entlassen. Es folgt eine Erklärung durch Nebenklagevertreter Hoffmann, der hervorhebt, dass die Auswertung aller Datenträger in Frage gestellt ist, da sie möglicherweise unvollständig ist. Das sei eine der „wichtigen“ Erkenntnisse aus der Vernehmung des Beamten. Er regt an, dass das Gericht zumindest Images aller Datenträger zur Verfügung stellt, damit gegebenenfalls Beweisanträge für eine gezielte Auswertung gestellt werden können. Zum USB-Stick mit den Anleitungen zum Bombenbau erklärt Hoffmann, dass sich aufgrund der darauf befindlichen großen Menge privater Daten des Mike S., Fotos und Musikdateien, die Frage stellt, ob der Angeklagte nicht viel stärker in Planungen zum Rohrbombenbau involviert gewesen sei.

Im Anschluss entscheidet das Gericht einige Anträge, insbesondere wird die Dokumentation der Chatprotokolle im Selbstleseverfahren in den Prozess eingeführt.

Den Abschluss des Prozesstages bildet ein Antrag von Nebenklagevertreter Hoffmann. Er beantragt die Erteilung eines rechtlichen Hinweises durch das Gericht, dass im Fall der Overbeckstraße auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Frage kommt. Im ausführlichen Antrag verweist er auf die bisher erfolgte Beweisaufnahme, die verdeutliche, dass bereits in der Tatplanung die lebensgefährliche Verletzung von Hausbewohner_innen in Kauf genommen worden sei. Zur Begründung verweist die Nebenklage auf das rechtsmedizinische Gutachten, die Einlassungen der beiden Angeklagten Justin S. und Patrick F., sowie die Zeugenaussagen zum entsprechenden Tatkomplex. Als der Antrag verlesen wird, kommt es immer wieder zu Unruhe auf Seiten der Angeklagten und ihrer Verteidigung. Rico K. ruft herein: „Ich hab das nie gesagt“, als eine Aussage aus seiner polizeilichen Vernehmung angeführt wird. Dem Antrag schließen sich weitere Nebenklagevertreter_innen an.

Die Bundesanwaltschaft erklärt, dass sie über die bald anstehende Sommerpause zum Antrag Stellung nehmen möchte. Die Beweiserhebung habe in der Frage wichtige Erkenntnisse geliefert, die zum Zeitpunkt der Anklageerhebung noch nicht klar gewesen seien. Oberstaatsanwalt Hauschild verweist insbesondere auf das rechtsmedizinische Gutachten und auf die nicht kontrollierbare Verlaufskette, die die Angeklagten mit dem Einsatz der Sprengkörper in Gang gesetzt hätten. Er glaube nach wie vor, dass die Angeklagten keine Menschen töten wollten, diese Absicht sei aber an der Stelle juristisch nicht nötig. Hauschild verweist dazu auch auf entsprechende Urteile in ähnlich gelagerten Fällen.

Die Verteidiger_innen reagieren zurückhaltend auf den Antrag. Sie behalten sich vor Stellung zu beziehen, sofern das Gericht tatsächlich den Hinweis gibt.

Die Hauptverhandlung am 34. Verhandlungstag beginnt mit einer Erklärung von RA Sturm, der zur zurückliegenden, über mehrere Tage andauernden Vernehmung von KHK M. Stellung nimmt. Dabei konzentriert sich Sturm auf die Aussagen des Beamten über die Beschuldigtenvernehmung mit seinem Mandanten Timo S. Der habe laut KHK M. viele Angaben gemacht, die weit über seine eigene Tatbeteiligung hinausgingen. Damit, so Sturm weiter, habe er die Ermittlungen „entscheidend“ beeinflusst und es sei eine Strafmilderung nach §46b StPO in Betracht zu ziehen.

Die Bundesanwaltschaft wendet dagegen ein, dass diese Angaben oftmals nichts mit hier verhandelten Tatvorwürfen zu tun gehabt hätten. Oberstaatsanwalt Hauschild wundert sich auch, dass Timo S. bis heute keine weiteren Angaben in der Hauptverhandlung nachgeliefert habe. Aus den Reihen der Nebenklage wird ergänzend auf die „Gefängniskassiber“ von Timo S. verwiesen, in denen es darum ging die Aussagen von Mitbeschuldigten zu beeinflussen. Außerdem wird an das Bedrohungsszenario erinnert, das etwa im Fall Felix W.s gegen aussagewillige Personen auch von Timo S. aufgebaut worden sei.

Im Anschluss an diese Diskussionen beginnt die Vernehmung von Kriminalhauptkommissar Pe., der seit ungefähr 18 Jahren als „Entschärfer“ beim LKA arbeitet. Er sei im Juli nach dem Anschlag auf den Linken-Stadtrat Michael Richter zum Tatort gerufen worden. Als er mit seinem Kollegen vor Ort eingetroffen sei, war der PKW bereits von einer Abschleppfirma nach Wilsdruff transportiert worden. Sie seien dann dorthin gefahren und hätten das in einer Halle geparkte Fahrzeug für bessere Lichtbedingungen nach draußen geschoben, um dann mit der Spurensicherung zu beginnen.

„Gewohnheitsmäßig“ habe der Abschlepper herumliegenden Autoteile in das Fahrzeuginnere geworfen, diese hätten sie zunächst herausgenommen und sich dann Schritt für Schritt zum Sprengzentrum vorgearbeitet. Pe. habe die Spurensicherung fotografisch dokumentiert und er erklärt im Folgenden anhand der Lichtbildmappe Details ihrer Untersuchungen.

Sie hätten festgestellt, dass die Heckscheibe von der Explosion herausgedrückt worden sei, deswegen seien auf der Hutablage keine Splitter zu finden gewesen. Im Gegensatz dazu lagen die Scherben des Fensters der Beifahrerseite im wesentlichen im Fahrzeuginneren. Der Sprengsatz sei auf dem Fahrersitz explodiert, das Dach sei durch den Explosionsdruck ausgebeult und der Fahrzeugrahmen so verzogen worden, dass nicht mehr alle Türen zu öffnen waren. Im Dachhimmel seien Plastiksplitter eingeschlagen, außerdem habe es auch größere Ausbeulungen gegeben, die möglicherweise durch den Einschlag von Kieselsteinen verursacht worden seien. Ein 1,5 Millimeter starkes Stahlblech der Sitzschale sei von der Explosion komplett durchschlagen worden. Die Kriminaltechniker hätten zudem Reste einer PET-Flasche gefunden, die sie als Teil der Sprengvorrichtung betrachtet hätten, weil dort Pappreste der Pyrotechnik eingeschmolzen gewesen seien. Außerdem habe es Anhaftungen verbrannten Schwarzpulvers gegeben. Auf dem Beifahrersitz sei eine thermische Belastung erkennbar gewesen.

Der Ermittler erklärt, dass das Gesamtbild auf eine „stark schiebende Wirkung“ des Sprengstoffs schließen lasse. Das heißt beim Abbrennen des Sprengstoffs entsteht in sehr kurzem Zeitraum eine große Menge Gas, die sich dann ausbreite und gegen die Begrenzung drücke. Das sei „typisch“ für Pyrotechnik. Anhand von Etikettresten hätten sie „relativ zweifelsfrei“ einen Cobra-12-Sprengkörper identifizieren können, der im Auto zum Einsatz kam. Die Flasche sei nach Meinung von Pe. mit dem Sprengkörper verbunden gewesen, darauf deuten auch Reste von Klebebandspuren auf dem Cobra-12-Etikett hin. Nachdem ihm die Schilderungen Patrick F.s vorgehalten werden, schränkt er ein, dass die Flasche zumindest direkt neben dem Cobra-12 auf dem Fahrersitz zum Liegen gekommen sein müsse, anders wären die eingeschmolzenen Pappreste in den Resten der PET-Flasche nicht zu erklären. Schon bei einem Abstand von 10 bis 15 Zentimetern seien solche Anhaftungen nicht möglich gewesen. Er könne das rückwirkend aber nicht mehr genau sagen.

Die Sprengwirkung des Cobra-12-Sprengsatzes sei aber zumindest so hoch, dass es wahrscheinlich sei, dass auch Schwarzpulver in der PET-Flasche „ausgelöst“ werde und abbrenne, weniger als Explosion, sondern als Verpuffung. Das würde auch erklären, warum die Kieselsteine vor allem auf der Beifahrerseite gelegen hätten.

Nicht genau beantworten kann der Zeuge, wie groß die PET-Flasche tatsächlich gewesen sei. Er sei von einer 1,5 Liter-Flasche ausgegangen, habe das aber nicht ausgemessen. Bei Bedarf könne das aber nachgeholt werden. Die Chance, dass die Flasche mit einem Aufbau, wie von Patrick F. beschrieben, zündet, schätzt Pe. auf 50 zu 50.

Nach gut einer Stunde wird der Zeuge entlassen. Der Nebenklagevertreter Hoffmann erklärt zur Vernehmung, dass sie klare Hinweise geliefert habe, die Glaubwürdigkeit der Angaben von Patrick F. anzuzweifeln. Anschließend stellt die Verteidigung von Sebastian W. drei Beweisanträge, jeweils zu den Handyvideos, auf denen die Sprengversuche zu sehen sind. Zu zwei Videos soll ein Sachverständigengutachten erstellt werden, um die Distanz zwischen den Sprengkörpern und den beteiligten Personen zu ermitteln, beim dritten Video soll ein Gutachten zeigen, dass aus dem Video gar nicht erkennbar sei, welche Art von Pyrotechnik bei dem Versuch eingesetzt wurde. Alle anderen Angeklagten schließen sich den Anträgen an.

Oberstaatsanwalt Hauschild regt an, einen Sachverständigen für Türen und Fenster anzuhören, um die Frage zu beurteilen, ob das Fenster in der Bahnhofstraße 26 zum Zeitpunkt des Anschlags angekippt oder geschlossen war. Das Gericht will das berücksichtigen und kündigt bereits weitere Sitzungstermine bis Ende Februar an. Dann ergeht ein Senatsbeschluss, mit dem die Hauptverhandlung bis zum 31. Juli 2017 unterbrochen wird.

Bericht aus Sicht der Nebenklage und fortlaufender Pressespiegel

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Veröffentlicht am 14. September 2017 um 05:35 Uhr von Redaktion in Nazis

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